Bundesverfassungsgericht:Verein will Fünf-Prozent-Hürde kippen

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Der Verein "Mehr Demokratie" möchte dafür sorgen, dass der Sprung in den deutschen Bundestag für kleine Parteien nicht schwieriger wird. (Foto: Annegret Hilse /Reuters)

Bürger klagen gegen die Sperrklausel bei Bundestagswahlen. Sie wollen verhindern, dass erfolgreiche Direktkandidaten nach der geplanten Wahlrechtsreform leer ausgehen könnten.

Von Michael Schlegel

Ein Sonntagabend im Spätsommer 2025, Deutschland hat einen neuen Bundestag gewählt. In den ersten Hochrechnungen zeichnet sich etwas ab, das nie zuvor passiert ist: Die CSU landet unter fünf Prozent und fliegt aus dem Parlament. Die Wahlrechtsreform der Ampel könnte dieses Szenario Realität werden lassen. Wenn nicht vorher eine Klage des Vereins "Mehr Demokratie" die Fünf-Prozent-Hürde kippt. 4242 Bürgerinnen und Bürger unterstützen seine Verfassungsbeschwerde, die an diesem Freitag in Karlsruhe eingeht. "Diese Wahlrechtsreform verschärft die Sperrklausel", sagt Ralf-Uwe Beck, Sprecher des Bundesvorstands von "Mehr Demokratie". "Wir fordern eine Drei-Prozent-Hürde."

Bislang konnte eine Partei auch dann in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewann. Grundmandatsklausel hieß diese Regelung. Nur ihretwegen kam die Linkspartei 2021 in den Bundestag, obwohl sie lediglich 4,9 Prozent der Zweitstimmen auf sich vereinte.

Ursprünglicher Zweck des neuen Wahlrechts war es, den Bundestag zu verkleinern. Nach der letzten Bundestagswahl ließen Überhangs- und Ausgleichsmandate das Parlament auf 736 Sitze anwachsen. SPD, Grüne und FDP wollen dieses System abschaffen, um die Größe des Bundestags auf 630 Sitze zu begrenzen. "Eigentlich haben wir den Ansatz begrüßt, den Bundestag wieder auf Normalmaß zurückzusetzen", sagt Ralf-Uwe Beck. Doch dass die Regierung die Grundmandatsklausel abschaffen will, sei ein Schock gewesen.

Es ist die vierte Klage gegen das neue Wahlrecht

Für "Mehr Demokratie" stellt noch eine zweite Neuerung die Fünf-Prozent-Hürde infrage: Der Gewinner eines Wahlkreises käme künftig nur dann in den Bundestag, wenn seine Partei die Fünf-Prozent-Hürde überschreitet. Würde die CSU bei der nächsten Bundestagswahl unter fünf Prozent landen, gingen so alle ihre erfolgreichen Direktkandidaten leer aus. Beck befürchtet, dass bald insgesamt mehr als acht Millionen Stimmen nicht im Bundestag repräsentiert sein könnten.

Es ist die bislang vierte Klage gegen das neue Wahlrecht. Auch die CSU-geführte bayerische Staatsregierung, die CSU selbst und die Linkspartei reichten diesen Juni jeweils eigene Klagen gegen die Reform ein. Ist eine weitere Klage da nicht überflüssig? "Unsere Klage braucht es, weil wir aus Sicht der Wählerinnen und Wähler argumentieren und nicht aus Parteiensicht", sagt Beck. Und keine der anderen drei Klagen stellt die Fünf-Prozent-Hürde grundsätzlich infrage.

Die Verfassungsrechtlerin Ann-Katrin Kaufhold von der Ludwig-Maximilians-Universität München bezweifelt jedoch, dass die Klage erfolgreich sein wird. Zwar sieht sie in der Fünf-Prozent-Hürde "eine Ungleichbehandlung, die man rechtfertigen muss". Doch in früheren Verfahren habe das Bundesverfassungsgericht anerkannt, dass eine solche Sperrklausel gerechtfertigt sei - zur Sicherung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments. Und aus Kaufholds Sicht rechtfertigt dieser Grund die Fünf-Prozent-Hürde auch nach Abschaffung der Grundmandatsklausel. "Meine Auffassung ist, dass die Fünf-Prozent-Hürde auch im neuen Wahlrecht verfassungsrechtlich zulässig ist", sagt Kaufhold.

2011 brachte das Verfassungsgericht die Fünf-Prozent-Hürde bei Europawahlen zu Fall

Thorsten Kingreen, Jura-Professor an der Universität Regensburg, sieht das anders. Er wird "Mehr Demokratie" in Karlsruhe vertreten. Auch er argumentiert mit vergangenen Urteilssprüchen. Denn immerhin brachte das Bundesverfassungsgericht 2011 bereits die Fünf-Prozent-Hürde bei Europawahlen zu Fall. Im Urteil dazu hieß es, der Gesetzgeber müsse eine Sperrklausel überprüfen, "wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Norm durch neue Entwicklungen in Frage gestellt wird". Ralf-Uwe Beck sagt: "Mit dieser Aufgabe ist die Ampel ausgesprochen fahrlässig umgegangen."

2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Sperrklausel bei Europawahlen gar für gänzlich verfassungswidrig. Doch Verfassungsrechtlerin Kaufhold sagt, Sperrklauseln für das deutsche und das Europäische Parlament seien unterschiedlich zu bewerten. Denn während das Wahlrecht für das Europäische Parlament die EU-Mitgliedsstaaten bestimmen, beschließt das Bundestagswahlrecht der Bundestag selbst. "Wenn der Bundestag arbeitsunfähig ist, weil sich keine stabilen Mehrheiten bilden lassen, dann kann er sich nicht am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen", sagt Kaufhold.

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Der Bundestag beschloss im Juni dieses Jahres auch, auf europäischer Ebene wieder eine Sperrklausel einzuführen. Ihre Höhe soll noch festgelegt werden und zwischen zwei und fünf Prozent betragen. Die Satirepartei "Die Partei", die derzeit mit zwei Mandaten im Europäischen Parlament vertreten ist, klagte dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kündigte an, das Gesetz deshalb vorerst nicht zu unterschreiben. Er will warten, bis Karlsruhe darüber geurteilt hat. Die Wahlrechtsreform der Ampel hat er bereits unterschrieben.

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