Wahlkampf 2017:Schulz nutzt die Chancen, die seine Partei nicht hatte

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Der SPD-Kanzlerkandidat erinnert einen ans Rumpelstilzchen und dessen Unterfangen, Stroh zu Gold zu spinnen. Das Schulz-Merkel-Duell schwächt die AfD, die Linken - und ganz besonders die Grünen.

Kommentar von Heribert Prantl

Ein Wahlkampf ähnelt der Überquerung des Atlantiks: Er dauert; und Wellen, Wind und Wetter sind unberechenbar. Bisweilen bleibt einer Partei im Wahlkampf nichts anderes übrig, als es mit dem Briefträger Heinz zu halten, der eine der Hauptfiguren ist in Herbert Achternbuschs Film "Die Atlantikschwimmer". Der Heinz schwimmt in Teneriffa aufs Meer hinaus, um den Ozean zu durchkreuzen, und seine letzten Worte lauten: "Du hast keine Chance, aber nutze sie."

Einst waren es die Grünen, die mit solch anarchischen Sprüchen und Methoden politisch kokettierten. Den Erfolg, den sie damit hatten, haben heute andere. Martin Schulz nutzt die Chancen, die seine Partei, die SPD nicht hatte. Ein wenig erinnert er einen dabei an das Rumpelstilzchen und dessen Unterfangen, Stroh zu Gold zu spinnen.

Er begeistert mit seiner Begeisterung ein Publikum, das einen gewissen Überdruss an der Kanzlerin Angela Merkel vor sich herschiebt. Merkel erfährt im zwölften Jahr ihrer Kanzlerschaft, wie zwar ihre Erfahrung geschätzt wird und sie als Anker der Stabilität in einer chaotischen Welt gilt. Aber zugleich zeigen die erstaunlichen Zahlen für die Schulz-SPD eine Lust von Wählern darauf, den Anker zu lichten und Fahrt aufzunehmen.

Ankern und fahren zugleich - diese Vorstellung ist es wohl, die in Umfragen dazu führt, dass sich eine stattliche Zahl der Befragten zwar weiter eine große Koalition wünscht, diese aber unter Führung von Schulz und der SPD. Hätte ein SPD-Chef vor einem halben Jahr eine solche Überlegung vorgetragen, man hätte das als verzweifelten Witz betrachtet.

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Heute ist das nicht komplett irreal. Das hat Auswirkungen auf die kleineren Parteien. Die Konzentration von Interesse, Aufmerksamkeit und Spekulationen auf das Schulz-Merkel-Duell schwächt deren Chancen. Die Reibungshitze, die das Schulz-Merkel-Duell erzeugt, lässt die Umfragewerte bei Linken, AfD und Grünen schmelzen; am deutlichsten ist der Schwund bei den Grünen.

Die abschreckende Kraft des extremen US-Populisten Donald Trump

Martin Schulz stahl der AfD die Show. Er nahm ihr die Überaufmerksamkeit weg, die sie bisher genoss und die zu ihrer Überbedeutung führte. Hinzu kommt das Führungschaos bei der AfD, hinzu kommen die in Teilen der Partei grassierenden Antisemitismen; und hinzu kommt, vor allem, die abschreckende Kraft des extremen US-Populisten Donald Trump. Die Welt erlebt derzeit nicht eine globale Befruchtung, sondern eine globale Selbstentlarvung des sogenannten Rechtspopulismus.

In den Niederlanden, die kurz vor der Parlamentswahl stehen, ist die Partei des radikalen Geert Wilders, der sich als ein holländischer Donald Trump sieht, bereits etwas abgesackt. Das ist ein Menetekel für die AfD: Diejenigen ihrer bisherigen bürgerlichen Wähler und Sympathisanten, denen Recht, Ordnung und Anstand wichtig sind, dürften durchaus abgestoßen sein von der Lust an Grobheit und Flegelei sowie der Verhöhnung von Anstand und Diplomatie, wie sie sich in Trumps Politik zeigt. Das alles dämpft die Aussichten der AfD.

Die Linke spürt das Schulz-Merkel-Duell so, wie es womöglich auch noch die FDP zu spüren kriegen wird. In dem Maß, in dem rot-rote Wähler erleben, wie die Schulz-SPD das Thema Gerechtigkeit wieder zu buchstabieren versucht, wenden sie sich wieder mehr der SPD zu. Und liberalkonservative und wirtschaftsliberale Wähler, die eigentlich der FDP zu einem bundespolitischen Neustart verhelfen wollten, werden, wenn sie um die Mehrheit der Union fürchten, womöglich ihr Kreuz dort machen.

Am schlimmsten aber trifft es die Grünen. Das ist kein Wunder, weil der Schulz-Hype die schon lang bestehenden Schwächen der Partei offenlegt. Die Partei leidet an Langeweile, an programmatischer Auszehrung und daran, dass sie die Stärke, die sie in den Ländern hat, bundespolitisch nicht umsetzen kann.

Eine Partei, für die vor zehn Jahren die Grenzen des Wachstums nicht zu gelten schienen, stürzt wieder dahin, wo sie herkommt: Richtung fünf Prozent. Sie hat ihr Wahlkampf-Spitzenduo (Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir) mit eher kläglichen Zustimmungsraten und zu einem Zeitpunkt gewählt, an dem dieses noch von Schwarz-Grün träumte. Weil jetzt Rot-Rot-Grün möglich zu sein scheint, orientieren sich die beiden Spitzenleute wieder um. Besonders glaubwürdig ist das nicht.

Früher waren die Grünen frech und provokant. Frech ist heute Martin Schulz; provokant ist die AfD; die Mutlosigkeit der Grünen spiegelt sich darin, dass sich jüngst keine der jungen grünen Frauen bei der Urabstimmung für das Führungsduo gegen Göring-Eckardt anzutreten traute. Die Streitlust ist weg. Die Grünen schauen aus wie entchlorophylliert. Sie sitzen in elf der 16 Bundesländer in der Regierung; aber sie machen zu wenig daraus; sie stellen, zum Beispiel, keinen einzigen Innenminister. Die Grünen sind dabei zu verkrautern.

Der Zeitgeist bläst jetzt anders

Die Grünen wurden lange von einem kritisch-aufgeklärten Zeitgeist getragen, den sie selber mit hergestellt hatten. Sie ernteten die Früchte der biologisch-dynamischen frühen Jahre. Der Zeitgeist bläst jetzt anders, und für die Grünen bleibt bundespolitisch nur die ökologische Stammwählerschaft. Die Grünen müssten eigentlich nach ihrer Geschichte und ihrem Wesen das Gegenmodell sein zur AfD. Sie, die einmal radikaldemokratisch waren, müssten den Wert der Demokratie leidenschaftlich verkünden, den Schutz der Minderheiten propagieren, die alternativen Lebensmodelle mit Verve verteidigen.

Stattdessen lassen sie sich bei der "Ehe für alle" nun von Martin Schulz die Butter vom Brot nehmen. Die Grünen waren die Partei, die für das Asylrecht eintrat, als die anderen Parteien die Grundgesetzänderung beschlossen. Sie sind die einzige Partei, die einen Vorsitzenden mit migrantischen Wurzeln hat. Das alles könnten sie offensiv und kämpferisch vertreten. Sie tun es zu wenig. Keine Chance?

Der SPD-Hype, von dem noch niemand weiß, ob es Schulz gelingt, ihn zu stabilisieren, zeigt, wie schnell sich in einer gereizten Gesellschaft die Dinge ändern können. Der Satz "Du hast keine Chance, aber nutze sie" ist das Wahlkampfmotto 2017.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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