Bundestagswahl:Der Schulz-Hype lässt die Grünen schrumpfen

Grünes Spitzenduo für Bundestagswahl 2017

Grünes Spitzenduo für die Bundestagswahl 2017: Cem Özdemir, Parteivorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, und die Fraktionsvorsitzende der Partei im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Mit der wiedererstarkenden SPD hat die Partei einen unerwarteten Gegner bekommen. Den Grünen fällt es schwer, ihre alten Überzeugungen ins Hier und Jetzt zu übersetzen.

Von Stefan Braun, Berlin

Günther Oettinger hat das nicht böse gemeint mit den Elefanten, den Mäusen und den Grünen. Immerhin war er es, der, noch als CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, gerne die erste schwarz-grüne Koalition geführt hätte. Deshalb darf man ihm schon Sympathie mit den Grünen unterstellen, wenn er beklagt, dass es für die Ökopartei schwer ist in diesen Wochen. Der Aufstieg von Martin Schulz und seiner SPD sei gut für die Demokratie und die Volksparteien, erklärte der EU-Kommissar gerade. Die Kleinen aber müssten sich Sorgen machen. Denn: "Wenn zwei Elefanten im Raum sind, haben die Mäuse ein Problem."

Seit der Inthronisation von Schulz und dem nachfolgenden Hype um den Sozialdemokraten schrumpfen die Grünen in sich zusammen. Jüngste Umfragen verorten sie bei gerade mal sieben bis neun Prozent - nach drei Jahren, in denen sie sehr stabil zehn bis zwölf Prozent Zustimmung erhalten hatten. Während die SPD ein Drittel zulegt, verlieren sie ein Drittel - und dieser Trend ist noch nicht zu Ende.

Die Grünen regieren in elf Ländern mit, können daraus aber keinen Profit schlagen

Die SPD hat mit ihrem Schachzug alles über den Haufen geworfen, was die Grünen sich drei Jahre lang so schön erdacht hatten. Zünglein an der Waage wollten sie sein; daher die Entscheidung, sich nicht auf einen Koalitionspartner festzulegen. Nun läuft alles auf die Frage zu, ob Merkel bleibt oder abgelöst wird - da dürfte es sehr schwer werden, an beiden Optionen festzuhalten. Außerdem waren die Grünen so stolz auf die Urwahl. Sie sollte Lob bringen, die eigenen Leute mobilisieren und sich als besonderer Akt der Basisdemokratie von der Konkurrenz abheben. Doch vier Wochen nach der Verkündung des Siegerduos erscheinen Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt nicht wie der frohgemute Aufbruch, sondern gefährlich normal und altbekannt neben einem Martin Schulz, der erstaunlich neu wirkt.

Bundestagswahl: SZ-Grafik; Quelle: Umfragen Forschungsgruppe Wahlen (Sonntagsfrage)

SZ-Grafik; Quelle: Umfragen Forschungsgruppe Wahlen (Sonntagsfrage)

Zur Beruhigung ist nun in vielen Zirkeln der Partei zu hören, man sei froh, dass das alles jetzt passiere, weil es noch schlimmer wäre, wenn sich der Trend im Sommer gegen die Grünen wenden würde. "Jetzt wissen wenigstens alle, dass es losgeht", ist aus der Fraktionsspitze zu hören. "Dass wir den Ernst der Lage zu spüren bekommen, wird alle disziplinieren." Strohhalme müssen die Hoffnung am Leben halten.

Dazu kämpft das Spitzenduo derzeit darum, die größten Gefahren für seine Autorität aus dem Weg zu räumen. Was nichts anderes heißt als Winfried Kretschmann und Jürgen Trittin zu mehr Loyalität zu bewegen. Zu diesem Zweck haben Göring-Eckardt und Özdemir vor wenigen Tagen Kretschmann getroffen und seine wichtigsten Leute mit einbezogen, um den Oberrealo aus Stuttgart zum Verzicht auf Alleingänge zu bewegen. Wie es heißt, ist das gelungen; er und auch seine Berlin-kritischen Vertrauten hätten das versprochen. Parallel dazu sprachen Vertreter der Parteispitze mit Trittin; seither heißt es, der Ex-Spitzenkandidat habe klargemacht, dass er der Partei helfen wolle. "Auch der Jürgen möchte nicht, dass die Grünen total abstürzen", lautet der Satz, auf den sie ihre Hoffnung setzen.

"Zurück zu den Wurzeln!"

Allerdings gibt es nicht nur das Problem äußerer Umstürze und interner Alpha-Tierchen. Die Grünen haben es zudem bisher nicht geschafft, aus der Tatsache, dass sie in elf Bundesländern mitregieren, Profit zu schlagen. Im Gegenteil: Es hat Interessen teilweise dramatisch auseinandergetrieben. Am deutlichsten zeigt sich das beim Thema Afghanistan und Abschiebungen. Im Grundsatz lehnen alle die Abschiebungen ab, aber mancher Landesverband und Landesminister vertritt auch die Position, dass ein kompletter Verzicht auf Abschiebungen, so bei Straftätern, ein falsches Signal wäre. Um den Zwiespalt zu lösen, schrieben die Landesverbände zu Jahresanfang ein Papier. Sie wollten eine gemeinsame Linie definieren. Das Ergebnis aber nennen sie in der Parteispitze heute "verheerend", weil es Abschiebungskritikern wie jenen in Schleswig-Holstein ebenso Raum geben sollte wie jenen in Baden-Württemberg und Hessen, die das anders sehen.

Die gemeinsame Linie verweist darauf, dass die Bundesregierung am Ende die Grundlinie vorgebe und deshalb auch die Grünen die Abschiebungen nicht auf Dauer ablehnen könnten. Als das Papier, als internes geplant, von der Kretschmann-Seite als begrenztes Ja zu Abschiebungen öffentlich gemacht wurde, fühlten sich andere derart desavouiert, dass sie sofort widersprachen - und die Öffentlichkeit so das Gefühl verlor, was die Grünen wirklich möchten.

Alte Überzeugungen kollidieren mit neuen Realitäten

Ähnlich verschwommen und unklar ist bis heute das Bild, das die Grünen im Umgang mit der Silvesternacht in Köln 2015 abgeben. Unmittelbar nach den Ereignissen vor gut einem Jahr hatte nicht die Führung, sondern die Ex-Parteichefin Claudia Roth den Ton vorgegeben. Ihre Aussage: So etwas gebe es auch auf dem Oktoberfest in München. Ihre Botschaft dahinter: Köln sei kein Phänomen, das man der Flüchtlingskrise zuordnen dürfe. Als andere diese Linie bestätigten, verfestigte sich das Bild, dass dies die Linie der Partei sei.

Und so ging die Chance verloren, den Blick zu weiten, was wenigstens Renate Künast versucht hatte. Sie warb damals dafür, dass die Grünen "gerade in solchen Fällen die entschlossensten Aufklärer" sein müssten. Also darum kämpfen sollten, auch bei Flüchtlingen die bundesrepublikanische Werteordnung durchzusetzen. Nur so gerate die Partei nicht in einen Konflikt zwischen den ihr eminent wichtigen Frauenrechten und einer Flüchtlingspolitik, die sie verteidigen möchte. Nicht wenige sehen das bis heute wie Künast; in der Öffentlichkeit aber hat sich anderes festgesetzt. Und das wurde durch Simone Peters erste Reaktion auf das Verhalten der Polizei ein Jahr später bestätigt. Da half es nicht mehr viel, dass Özdemir, Göring-Eckardt und andere Peters Kritik zurückwiesen, die Polizei habe sich bei ihren Kontrollen womöglich von rassistischen Motiven leiten lassen. Hängen bleibt, wie schwer es den Grünen fällt, alte und wohlgeprüfte Überzeugungen in das Hier und Jetzt zu übersetzen, wenn sie plötzlich mit neuen Realitäten kollidieren.

Vielleicht ist es deshalb nicht nur ein Zeichen des Trotzes, sondern der Klugheit, was Anton Hofreiter jüngst zu den schlechten Umfragewerten gesagt hat. Ja, die Zahlen seien nicht schön, aber mit Themen wie dem Klimaschutz und dem Ausstieg aus der Massentierhaltung werde man die Wähler bis Sommer wieder besser erreichen. Das klingt sehr nach einem "Zurück zu den Wurzeln!" Nur: Özdemir und Göring-Eckardt sind in anderen Themen besser zu Hause.

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