Wenn Martin Schulz in den vergangenen Wochen schildern wollte, was aus seiner Sicht in Deutschland schieflaufe, dann erzählte er von einem Mann, den er kürzlich bei einem Betriebsbesuch kennengelernt habe: Mit 14 Jahren habe dieser Arbeitnehmer im Betrieb angefangen, mittlerweile sei er 50 und fürchte sich vor dem Jobverlust - weil er dann nur 15 Monate Arbeitslosengeld bekäme, bevor er auf das Arbeitslosengeld II zurückfiele, bekannt als Hartz IV.
Das dürfe nicht sein, folgerte Schulz. Er kündigte ein Konzept an, um diese und weitere Härten der Agenda 2010 abzufedern. Knapp zwei Wochen nach der ersten Ankündigung ist dieses Konzept nun fertig, es liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Der SPD-Kanzlerkandidat wird damit erstmals im Wahlkampf konkret.
Das Konzept sieht Korrekturen und Weiterentwicklungen der Agenda vor - jenes Reformprogramms, das 2003 unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder ins Werk gesetzt wurde und die Partei spaltete. Ein zentraler Punkt betrifft das Arbeitslosengeld I. Bislang erhalten Arbeitslose es höchstens zwölf Monate - es sei denn, sie sind älter als 50, dann steigt die maximale Bezugsdauer schrittweise auf 24 Monate. Hier setzt das Konzept an, das Arbeitsministerin Andrea Nahles in ihrer Funktion als Leiterin der entsprechenden SPD-Arbeitsgruppe zum Wahlprogramm erarbeitet hat. Am Montag soll es in den SPD-Spitzengremien beraten werden.
Künftig sollen Arbeitslose ein Recht auf Weiterbildung haben, das es so bisher nicht gibt. Finden sie innerhalb von drei Monaten keine neue Stelle, sollen sie ein Angebot für eine "Qualifizierungsmaßnahme" bekommen. Zuständig sein soll die Bundesagentur für Arbeit, die in "Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung" umbenannt würde. Für die Dauer der Qualifizierung soll der Teilnehmer ein neues "Arbeitslosengeld Q" in Höhe des Arbeitslosengeldes I bekommen.
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Nach Ende der Qualifizierung bekommt der Betroffene dann wieder das normale Arbeitslosengeld. Neu daran ist, dass die Bezugsdauer des "Arbeitslosengelds Q" nicht auf die Zeit angerechnet wird, die ein Betroffener Anspruch auf Arbeitslosengeld I hat. Bislang war es so, dass für die Zeit der Qualifizierung die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds um die Hälfte gemindert wurde.
Verlängerung gibt es nur gegen Qualifizierung
Wer nach Schulz' Ankündigung auf eine schlichte Verlängerung des Arbeitslosengeldes gehofft hatte, könnte nun enttäuscht sein: Verlängerung gibt es nur gegen Qualifizierung. Dies aber entspricht dem Agenda-Grundgedanken, dem "Fördern und Fordern". Doch was hieße das für den 50-Jährigen aus Schulz' Beispiel?
Bisher hätte er einen Anspruch auf 15 Monate Arbeitslosengeld I. Nähme er nun nach drei Monaten Arbeitslosigkeit gemäß dem Schulz-Modell an einer zweijährigen Qualifizierung teil und fände danach noch immer keinen Job, hätte er noch immer zwölf Monate lang Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die gesamte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld Q wüchse auf 39 Monate, weil die Qualifizierung nicht mehr auf die Bezugsdauer angerechnet würde.
Ein 58-jähriger Arbeitnehmer, der bislang Anspruch auf 24 Monate Arbeitslosengeld I hätte, könnte theoretisch künftig auf eine Bezugsdauer von maximal 48 Monaten kommen. Hier handelt es sich allerdings um ein Extrembeispiel. Häufiger sind bisher kürzere Qualifizierungsmaßnahmen zwischen vier und sechs Monaten. Mit der Betonung von Weiterbildung will Schulz auf die "Arbeitswelt 4.0" reagieren und zugleich dem Fachkräftemangel begegnen.
Und damit noch einmal zu seinem Beispiel. Auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer am Ende auf Hartz IV zurückfiele, sollen die Härten gemindert werden. So soll das Schonvermögen, das geschützt ist und nicht angetastet wird, von bislang 150 auf 300 Euro pro Lebensjahr steigen.
Zudem soll die Schwelle sinken, von der an Arbeitslosengeld gezahlt wird. Derzeit hat darauf Anspruch, wer innerhalb von zwei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat. Künftig soll es genügen, wenn der Betroffene innerhalb von drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit zehn Monate lang eingezahlt hat.
Auf die Kosten wird in dem Konzept nicht eingegangen. Aus SPD-Kreisen verlautete, dass sie die Arbeitslosenversicherung mit etwa einer Milliarde Euro pro Jahr belasten könnten. Die Arbeitslosenversicherung verfügte Ende 2016 über eine Rücklage von 11,5 Milliarden Euro.