Datenschutzstreit:Eiskalter Kompromissvorschlag

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Hier der Datenschutz unbescholtener Bürger, dort die Strafverfolgung Krimineller: Über die Vorratsdatenspeicherung wird seit Langem gestritten. (Foto: Oliver Berg/DPA)

Um Kriminelle im Netz leichter aufspüren zu können, fordert Innenministerin Faeser die Vorratsdatenspeicherung - doch Justizminister Buschmann ist dagegen. Jetzt könnte Bewegung in den festgefahrenen Streit kommen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es geht jetzt also ums Grundsätzliche. Es müssen Kinder gerettet werden, dringend - durch vorbeugende Speicherung von Internetdaten, fordert die Bundesinnenministerin. Der Bundesjustizminister will davon nichts hören. Ohne Anlass Millionen unbescholtene Menschen zu überwachen, sei grundrechtswidrig. Seit Monaten streiten Nancy Faeser (SPD) und Marco Buschmann (FDP) schon über die Vorratsdatenspeicherung. Die Sache droht, sich im Prinzipiellen festzufahren. Nun aber steht ein Kompromiss im Raum, auch wenn eine Einigung noch nicht erreicht ist.

Es geht da um die Frage, wie Ermittlerinnen und Ermittler effektiver gegen schwere Straftäter vorgehen können, die im Netz Darstellungen sexualisierter Gewalt anbieten oder kaufen, Hassverbrechen begehen, illegale Geldwäsche oder Anschläge organisieren. Zu viele dieser Täter kämen straflos davon, weil Sicherheitsbehörden keinen Zugriff auf Verkehrsdaten im Netz bekämen, kritisiert Innenministerin Faeser.

Sie will Telekommunikationsunternehmen verpflichten, die IP-Adressen und Portnummern ihrer gesamten Kundschaft vorübergehend zu speichern, damit Ermittlungsbehörden die Daten bei einem schweren Tatverdacht konkreten Personen zuordnen können, auch noch Tage später. Denn seien die Daten erst einmal gelöscht, scheitere die Identifizierung.

Schon in wenigen Tagen verwischen sich die Spuren

Die Ministerin verweist dabei auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der die Speicherung von IP-Adressen für eine kurze Zeit für rechtmäßig erklärt hat im Kampf gegen schwere Kriminalität. Diese Chance müsse genutzt werden, um Opfer zu schützen, argumentiert Faeser. Auch Sicherheitsbehörden drücken aufs Tempo: Die Spuren von Straftätern seien schon nach einer Woche deutlich schlechter zu verfolgen im Netz, auch weil IP-Adressen ständig geändert würden.

Faesers selbstbewusster Vorstoß hat ihr im eigenen Haus wohl einigen Zuspruch beschert. Doch ob sie unbeschadet aus der Sache herauskommt, muss sich noch zeigen. FDP-Justizminister Marco Buschmann stemmt sich gegen ihre Forderung. Auch er beruft sich auf den EuGH, der eine massenhafte und anlasslose Sammlung von Telekommunikationsdaten für unzulässig erklärt hat.

Wenn auch ohne konkreten Tatverdacht millionenfach Verbindungsdaten gespeichert würden, auch solche völlig unbescholtener Bürger, würden Grundrechte in inakzeptabler Weise verletzt, warnt Buschmann. Mit dem Koalitionsvertrag sei das unvereinbar, so der Liberale. Dort hatte die Koalition festgehalten, dass Daten "rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert" werden.

Die Idee: Einfrieren und auftauen

Buschmann hat inzwischen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der effektive Strafverfolgung mit dem Schutz persönlicher Daten versöhnen soll. Er schlägt einen Quick Freeze vor, ein zweistufiges Verfahren zur Datensicherung. Ermittlungsbehörden könnten demnach beim Verdacht auf eine erhebliche Straftat eine Telekommunikationsfirma veranlassen, Standortdaten, Telefonnummern und IP-Adressen vorläufig zu sichern. Der Verdacht muss sich zunächst nicht gegen eine konkrete Person richten. Dieses Einfrieren der Daten soll Ermittlern einige Tage Zeit für Ermittlungen geben, ohne dass Informationen verloren gehen. Zugreifen auf die Verkehrsdaten können sie bei diesem ersten Schritt noch nicht. Erforderlich ist nach Buschmanns Entwurf aber eine richterliche Anordnung.

In einem zweiten Schritt könnten die Daten dann wieder aufgetaut werden. Stellt sich bei den Ermittlungen etwa heraus, gegen wen konkret sich der Tatverdacht richtet und welche Daten genau benötigt werden, sollen die Provider angewiesen werden, diese der Polizei zu übersenden. Für dieses Auftauen ist eine zweite richterliche Genehmigung nötig.

Das Prozedere sei zu schwerfällig, zwei richterliche Entscheidungen, das koste wertvolle Zeit, monierte der Deutsche Richterbund. Auch Innenministerin Faeser hält den Quick Freeze für unzureichend. Es könne "als flankierendes Instrument" zwar wichtige Erkenntnisse liefern. Bei Verbrechen wie einem Terroranschlag aber, bei dem erst hinterher das Umfeld des Täters überprüft werde, helfe es nicht weiter. Faeser steht inzwischen erheblich unter Druck, einen gesichtswahrenden Ausweg aus dem Konflikt zu finden. Aber auch Justizminister Buschmann hat sich in die Enge manövriert, indem er den Streit zur liberalen Grundsatzfrage hochstilisiert hat. Kompromisse werden da schwierig.

Ein Pirat hat einen Rat, der gehört wird

Ein Kompromissvorschlag kommt jetzt von einem Vertreter der Piratenpartei. Patrick Breyer ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments und hat in jahrelangem Dauerlauf gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung geklagt. Der Wortführer der digitalen Community hält sie für einen "beispiellosen Angriff auf unser Recht auf Privatsphäre". Um den leidigen Dauerstreit in der Koalition zu beenden, schlägt er einen Kompromiss vor. Er scheint im Justizministerium Gehör zu finden.

"Anstelle der inakzeptablen Extremforderung nach einer flächendeckenden Internet-Vorratsdatenspeicherung könnte ein Kompromiss so aussehen, dass eine anlassbezogene Sicherung genau bezeichneter IP-Adressen und Portnummern zunächst auch ohne Anordnung der Justiz zugelassen wird", sagte Breyer der Süddeutschen Zeitung. "Sinnvoll wäre ein schnelles elektronisches Verfahren zur Sicherung von Daten, das gegebenenfalls auch bei weniger gravierenden Internetdelikten greift."

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Mit anderen Worten: Die erste richterliche Genehmigung zum Einfrieren von Verkehrsdaten könnte bei Quick Freeze entfallen. Nur der zweite Schritt, das Auftauen der Informationen, das Polizei oder Staatsanwaltschaft erst Zugriff auf Verbindungs- und Standortdaten ermöglicht, soll unter richterlichem Vorbehalt stehen. So gewinne man Zeit und identifiziere möglicherweise mehr Täter, meint Breyer - ein Zugeständnis an die Innenministerin. Gleichzeitig sehe der Staat aber davon ab, Daten von Millionen unbeteiligten Bürgerinnen und Bürgern einer beispiellosen Überwachung zu unterziehen - das komme dem Justizminister entgegen.

Zudem schlägt Breyer den Ausbau technischer Schnittstellen zwischen Polizei und Internetanbietern vor. Sie sollen sicherstellen, dass in einem standardisierten Verfahren schneller als bisher komplette Datensätze übermittelt werden können.

Im Justizministerium hält man den Vorschlag zumindest für diskutabel. Gegen handwerkliche Änderungen habe er nichts, solange die Grundlinie stimme, gab der Justizminister zu erkennen. Nach den Grabenkämpfen der letzten Monate ist das immerhin ein Versuch. Aus dem Bundesinnenministerium allerdings kamen am Montagabend wieder Bremssignale: Man sei noch nicht am Ziel. Im nächsten Koalitionsausschuss kommt das leidige Thema noch nicht auf den Tisch.

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