CO₂-Grenzwerte für Autos:Was will Wissing?

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Weiter qualmen? Die EU-Staaten könnten sich gegen eine E-Auto-Pflicht ab 2035 wenden. (Foto: Markus Scholz/dpa-tmn)

Das Umweltministerium will schärfere Abgas-Grenzwerte für Autos, der Verkehrsminister schweigt dazu beharrlich. Lange wird das nicht mehr gut gehen.

Von Markus Balser, Berlin

Volker Wissing gehörte schon als Generalsekretär der FDP nicht gerade zu den Lautsprechern seiner Partei. Aber immerhin war er präsent. Seit der 51-Jährige jedoch im Dezember das Amt des Bundesministers für Digitales und Verkehr übernommen hat, ätzen selbst Ampel-Verkehrspolitiker über einen "verschwundenen Minister". Die weitreichendste Entscheidung sei bislang noch gewesen, die Reihenfolge der Zuständigkeiten im Namen seines Ressorts zu tauschen, sagt einer. Wie der Jurist die Verkehrswende forcieren und mehr Klimaschutz im größten Problembereich schlechthin schaffen will? Dass er auf Elektroautos setzt, hat der Verkehrsminister im Bundestag erklärt. Darüber hinaus aber hat Deutschlands Verkehrspolitik noch keine klare Kontur.

Wissings Zurückhaltung folgt wohl dem Ziel der Ampel, möglichst geräuschlos und mit wenig Streit in diese Koalition zu starten. Lange aber geht das nicht mehr gut. Denn in den nächsten Wochen rückt ein Streitthema unweigerlich nach ganz oben auf die Agenda. Die Bundesregierung muss zum Treffen des EU-Rats Ende März eine gemeinsame Position zu dem Plan der EU-Kommission finden, die Abgasgrenzwerte für Autos deutlich zu verschärfen. Regierungskreisen zufolge nimmt hinter den Kulissen wegen der Revision der Grenzwerte ein Streit Fahrt auf, der wohl nur schwer zu stoppen ist.

Die EU hat die Ziele für den Verkehr bereits hochgesetzt. Nach einem Vorschlag der Kommission sollen die Autohersteller den durchschnittlichen CO₂-Ausstoß ihrer Neuwagen bis 2030 um 55 Prozent senken. Dem Umweltministerium gehen die Pläne der EU allerdings noch nicht weit genug. Laut Insidern wünschen sich Fachleute des Ressorts eine Reduktion der Emissionen sogar um bis zu 75 Prozent bis 2030 und strengere Zwischenziele.

Das Verkehrsministerium - unter Vorgänger Andreas Scheuer noch klarer Bremser solcher Bestrebungen - lässt sich bislang noch nicht in die Karten schauen. Selbst Koalitionspartner rätseln darüber, was Wissing will. Auch er hatte sich für strenge Klimaziele ausgesprochen. Getrost ausschließen aber lässt sich, dass der Verkehrsminister derart scharfen Grenzwerten zustimmen würde.

Der Sektor Verkehr gilt als einer der ganz großen Klima-Problembereiche

Denn in der Regierung kristallisiert sich heraus, dass der neue Verkehrsminister Strenge beim Klimaschutz anders auslegt als Ministerinnen und Minister der Grünen. Denn während Wissings FDP darauf dringt, die auf Jahre und Sektoren per Gesetz trennscharf festgelegten Klimaziele so aufzuweichen, dass die Ziele über mehrere Jahre und Sektoren erreichbar wären, sind die Grünen strikt gegen eine solche Praxis. Der Verkehrsminister, heißt es aus den Reihen der Verkehrspolitiker, dürfe seine Verantwortung keinesfalls auf andere Sektoren abwälzen. Er müsse nun liefern, heißt es dort weiter.

Der Sektor Verkehr gilt als einer der ganz großen Klima-Problembereiche. Dessen Bilanz hat sich in den vergangenen Jahren nicht gebessert. Laut deutschem Klimagesetz müssen die Emissionen dort bis 2030 fast halbiert werden.

Auch in der Autoindustrie hat man offenbar wahrgenommen, dass eine entscheidende Phase für die Klimapolitik der neuen Regierung begonnen hat. Die Autoindustrie warnte am Mittwoch vor zu harten Einschnitten. Deutschlands größte Industrie, an der vier Millionen Jobs hingen, stehe vor einer Jahrhundertaufgabe, warnte Hildegard Müller, die Chefin des Branchenverbandes VDA. Im Jahreswirtschaftsbericht stehe zwar über 200-mal Klima, aber nur gut 70-mal Industrie. Bei der Transformation der Branche sei es wie beim Auto selbst: Es müsse sicher und ohne Risiko funktionierten, forderte Müller.

Deutschlands Umweltverbände warnten die Bundesregierung dagegen vor einem erneuten Einknicken. "Damit die Bundesregierung ihr Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Pkw in 2030 erreichen kann, muss sie sich jetzt in Brüssel dafür einsetzen, dass der Vorschlag der EU-Kommission für die CO₂-Grenzwerte für Pkw nachgeschärft wird", sagt Jens Hilgenberg, Leiter Verkehrspolitik des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Das bedeute auch ein Vorziehen des Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor von 2035 auf 2030.

Auch bei anderen Maßnahmen fordern Verbände mehr Klarheit: "Klimaschädliche Subventionen müssen im Verkehrssektor endlich abgebaut werden", sagt Michael Müller-Görnert vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD). So etwa das Dienstwagenprivileg.

Die Autoindustrie fürchtet, dass die Lade-Infrastruktur der Nachfrage hinterherhinkt

Die Industrie forderte am Mittwoch ihrerseits mehr Tempo bei der Verkehrswende von der Politik. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur halte einfach nicht Schritt mit dem Hochlauf der Elektromobilität und den steigenden Zahlen von E-Autos auf deutschen Straßen, kritisierte VDA-Chefin Müller. Die Lücke werde gerade wieder größer, statt kleiner. Wenn Deutschland sein bescheidenes Tempo beibehalte, würden 2030 gerade einmal rund 160 000 Ladepunkte erreicht - ein Sechstel der eigentlich angestrebten Million. Die Bundesregierung solle daher möglichst schnell zu einem Ladegipfel einladen, forderte Müller. Sonst gerieten auch die Ziele der Regierung außer Reichweite.

Der Bund will den Bestand von Fahrzeugen mit Batterieantrieb bis 2030 auf 15 Millionen Pkw erhöhen. Um das zu schaffen, müsse "ab diesem Jahr jedes zweite verkaufte Auto ein Elektroauto sein", sagte die VDA-Chefin.

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