US-Universitäten:Eskalation am Campus

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Polizisten dringen in ein Gebäude der Columbia University ein, in dem sich Studenten verbarrikadiert hatten (Foto: KENA BETANCUR/AFP)

Die Proteste der Studierenden an den Universitäten verschärfen sich. In New York stürmte die Polizei ein besetztes Gebäude - am 56. Jahrestag einer Räumung, die in die Geschichtsbücher einging.

Von Fabian Fellmann, Washington

"Intifada", Aufstand, stand auf einem der Banner, das die mit Kufiya-Tüchern verhüllten Besetzer der Hamilton Hall aus einem Fenster gehängt hatten. In der Nacht zum Dienstag hatten sie das geschichtsträchtige Gebäude auf dem Gelände der Columbia University in Manhattan gestürmt. Mit einem zweiten Protestbanner tauften sie es in Hind's Hall um, nach Hind Rajab, einem sechsjährigen palästinensischen Mädchen, das im Krieg in Gaza ums Leben gekommen war.

Nach nur einem Tag war der Aufstand in der Hamilton Hall schon wieder vorbei. Hundertschaften der New Yorker Polizei räumten den Campus, über eine Leiter drangen sie in das besetzte Gebäude ein und nahmen rund 50 Personen fest. Damit endete der Versuch einer selbst ernannten Friedensbewegung, einen Protest zur Eskalation zu bringen, der Ermüdungserscheinungen zu zeigen beginnt. Auch an weiteren Universitäten beendete die Polizei Demonstrationen, die laut den Schulleitungen Sicherheit und Betrieb gefährdet hatten. An den meisten Universitäten ist die Unterrichtszeit zu Ende, die Prüfungssaison hat begonnen.

Einzig an der Brown University rangen die Protestierenden der Administration das Zugeständnis ab, ihre Forderungen zu prüfen. Den Besetzern der Hamilton Hall hingegen droht der Ausschluss von der Schule. Sie sollen einer Untergruppe der Protestbewegung angehören, die sich "Columbia University Apartheid Divest" nennt. Sowohl mit ihrem Namen als auch mit der Wahl der Hamilton Hall und des Besetzungsdatums versucht sie, an die Protestgeschichte der Schule der elitären Ivy League anzuknüpfen.

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Die Hamilton Hall war 1968 zum Brennpunkt des Widerstands gegen den Vietnamkrieg geworden. Genau vor 56 Jahren, am 30. April, hatten Polizisten das Gebäude durch unterirdische Tunnel gestürmt. In den 1980er-Jahren führten die Studierenden von Columbia den Boykottaufruf gegen das rassistische südafrikanische Apartheid-Regime an. Jüngst erreichten sie, dass die Universität ihre Aktien von US-amerikanischen Gefängnisbetreibern abstieß und sich von Investitionen in Öl- und Gasfirmen verabschiedete.

Nun verlangen die Demonstrierenden, dass die Universitäten auch ihre akademischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel kappen. Das betrifft Zusammenarbeitsprogramme wie gemeinsame Studiengänge, im Fall von Columbia etwa mit der Universität von Tel Aviv.

Forderung nach Orientierung an BDS-Liste

Die Forderungen sind nicht überall dieselben, in Columbia wird auf eine Abstimmung in der Studentenschaft vom vergangenen Jahr verwiesen: Die Universität solle ihre Vermögen aus allen Unternehmen zurückzuziehen, die von israelischen Besatzungen und dem Krieg profitierten. Orientieren solle sich die Hochschule an den Listen von BDS, kurz für Boycott, Divestment and Sanctions. Die umstrittene palästinensische Organisation setzt sich für Sanktionen gegen Israel und für den Boykott von Firmen ein, die an Verletzungen des internationalen Völkerrechts beteiligt sein sollen.

Vorbild von BDS und den Demonstrierenden an den US-Universitäten ist die internationale Sanktionswelle gegen die einstige Apartheid-Regierung Südafrikas. Ökonomen sind sich allerdings ziemlich einig darin, dass Kampagnen zur Desinvestition nicht besonders erfolgreich darin sind, Firmen oder gar Länder wirtschaftlich unter Druck zu setzen. Ihre größte Wirkung besteht darin, Öffentlichkeit herzustellen.

Ein Boykott von Israel hätte das Potenzial, sich negativ auf die Universitäten auszuwirken. Sie verwalten ansehnliche Vermögen, die zehn reichsten beziffern sie derzeit auf 260 Milliarden Dollar, angehäuft durch Spenden und Studiengebühren - zur Finanzierung von Forschung, Löhnen, Gebäudeunterhalt und nicht zuletzt Stipendien. Die Columbia University weist 13,6 Milliarden Dollar an Vermögen aus, angelegt in diversen Fonds und Unternehmen, wo genau, ist nicht bekannt. Ein Ausstieg aus geächteten Aktien würde einen höheren Verwaltungsaufwand und potenziell niedrigere Renditen nach sich ziehen. Die auf internationalen Wettbewerb ausgerichteten US-Universitäten sind überdies auf weitere Beiträge angewiesen; sie könnten es sich kaum leisten, israelfreundliche Spender zu vergraulen.

Das Existenzrecht Israels wird infrage gestellt

Die Protestgruppe an der Columbia University präsentierte sich zwar als friedfertig, stellt in Abrede, antisemitisch zu sein, und beteuert, sich gegen Islamophobie, Homophobie und eine ganze Reihe weiterer Übel zu engagieren. Mit dem Intifada-Banner an der Hamilton Hall scheint aber zumindest ein Teil der Gruppe zu Gewalt gegen Israel und gegen Juden aufzurufen. Jüdische Studenten hatten zuvor von Anfeindungen und Drohungen berichtet.

Alles andere als friedfertig liest sich auch ein Beitrag in der Universitätszeitschrift, in dem sich die Bewegung im vergangenen November vorstellte, unterzeichnet von 94 weiteren Organisationen. Die Gruppe stellt darin implizit das Existenzrecht Israels infrage und macht das Land für die aktuelle Lage verantwortlich. Weder Hamas noch deren Terroranschlag in Israel mit 1200 Toten ist ihnen eine Zeile wert. Der Beitrag beginnt mit einem Zitat von Ghassan Kanafani, einem der bekanntesten palästinensischen Schriftsteller. Und Sprecher der Terrorgruppe PFLP, die unter anderem 1972 am Flughafen von Tel Aviv ein Massaker mit 26 Toten und 80 Verletzten anrichtete.

Die Vorfälle an den Universitäten versuchen die Republikaner politisch auszunutzen. Am Dienstag musste Bildungsminister Miguel Cardona vor einem Senatsausschuss aussagen. Der Antisemitismus an den Hochschulen sei abscheulich, sagte er. Es liefen 130 Untersuchungen wegen Klagen über Belästigung. Präsident Joe Biden versucht, einen Mittelweg zu finden und Verständnis sowohl für proisraelische als auch für propalästinensische Demonstranten zu zeigen. Es sei falsch, ein Gebäude zu besetzen, ließ er am Dienstag ausrichten. Der Minderheitsführer der Republikaner, Mitch McConnell, warf ihm vor, "die Gefühle seiner Anhänger stärker zu gewichten als moralische Klarheit".

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