Demonstrationen wegen Krieg im Nahen Osten:Das Gaza-Problem von Joe Biden

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Seit zwei Wochen protestieren Studierende an der Columbia-Universität in New York. Nun hat die Polizei das Protestcamp geräumt. (Foto: Craig Ruttle/AP)

Proteste und Festnahmen an US-Universitäten bringen den Präsidenten vor der Wahl in Bedrängnis. Auch deshalb muss er hoffen, dass die Verhandlungen um einen Waffenstillstand in Gaza Erfolg haben.

Von Fabian Fellmann, Washington

Mit langen Haaren war Joe Biden eher nicht unterwegs 1968, als die Hamilton Hall an der Columbia-Universität in New York zum Schauplatz von Antikriegsprotesten wurde, die den Lauf der Geschichte und die Gesellschaft nachhaltig verändern sollten. Auch Batik-T-Shirts seien nicht sein Ding gewesen, sagte der heutige US-Präsident einmal. "Ich studierte Recht. Ich trug Sakkos."

Auf den Tag genau 56 Jahre nach der gewaltsamen Räumung von 1968 ist die New Yorker Polizei in der Nacht auf Mittwoch erneut in die Hamilton Hall eingedrungen. Diesmal nicht durch unterirdische Tunnel, sondern über eine Leiter und ein Fenster. Eine Gruppe von Studierenden hatte das Gebäude am Dienstag besetzt, um gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Krieg zu demonstrieren.

Polizisten klettern in der Nacht auf Mittwoch durch ein Fenster in die Hamilton Hall auf dem Campus der Columbia University in New York. (Foto: Craig Ruttle/dpa)

Rund 50 Personen nahm die Polizei fest, sie räumte auch das Protestcamp, das vor zwei Wochen auf dem Campus in Manhattan entstanden war. Ähnliche Szenen spielten sich an weiteren Hochschulen im ganzen Land ab, bis hinüber nach Los Angeles. Dort hatte die Universität die Polizei zu Hilfe gerufen, nachdem propalästinensische und proisraelische Gruppen aneinandergeraten waren.

Es war das innenpolitische Gegenstück zu den Bemühungen von US-Außenminister Antony Blinken, den Krieg im Nahen Osten zu beruhigen. Auf einer dreitägigen Tour forderte er die Terrorgruppe Hamas auf, rasch ein Angebot Israels zu akzeptieren, das die Freilassung von 33 Geiseln in Gaza vorsieht. In Tel Aviv drängte er Premierminister Benjamin Netanjahu am Mittwoch, auf einen Angriff auf Rafah, die Stadt im Süden von Gaza, zu verzichten.

Dieses vom israelischen Regierungspresseamt herausgegebene Foto zeigt Blinken (links) und Netanjahu am Mittwoch im Büro des Ministerpräsidenten. (Foto: Haim Zach/Handout GPO/dpa)

Ein Waffenstillstand soll den Boden bereiten für die längerfristige Befriedung der Region, für die Blinken zuvor in Saudi-Arabien geworben hatte. Der große Wurf sieht vor, die Beziehungen zwischen dem Königreich und Israel zu normalisieren und eine Perspektive für einen Palästinenserstaat zu entwerfen. Als Gegenleistung erhielte Saudi-Arabien ein Sicherheitsabkommen mit den USA und Zugang zu ziviler Atomtechnologie.

An einer Beruhigung des Kriegs hat Joe Biden auch innenpolitisch größtes Interesse. Dem US-Präsidenten dürfte es nicht gelingen, sich wie 1968 als Zuschauer von den Ereignissen fernzuhalten, wie die New York Times am Dienstag feststellte. Noch lässt sich nicht abschätzen, ob die Repressionsstrategie der Universitäten aufgehen wird. Nun finden zunächst Prüfungen und Abschlussfeiern statt, im Fall von Columbia gesichert durch die New Yorker Polizei, die bis Mitte Mai auf dem Gelände stationiert bleiben wird. Danach dürfte sich sommerliche Schläfrigkeit über den Campus legen.

Für den demokratischen Parteitag im Sommer werden Proteste geplant

Doch die Organisationen hinter den Demonstrationen setzen bereits jetzt alles daran, die Proteste im Herbst wieder aufflackern zu lassen. Sie versuchen, für den Parteitag der Demokraten in Chicago von Mitte August zu mobilisieren, wenn sich Joe Biden offiziell zum Präsidentschaftskandidaten küren lassen will. Auch hier dient 1968 als Vorbild, als die Convention in Chicago in Straßenschlachten ausartete und die Partei ins Chaos stürzte. Damals war die Spannung in den USA allerdings ungleich höher als heute. Der Vietnamkrieg spaltete die Demokraten ebenso sehr wie die Forderungen nach Gleichberechtigung der Afroamerikaner, deren Anführer Martin Luther King im Frühling ermordet worden war.

Für Joe Biden und seine Ambitionen auf eine zweite Amtszeit könnte sich die Protestwelle gegen den Krieg in Gaza dennoch als entscheidend herausstellen. Er hat 2020 davon profitiert, dass sich jüngere Wählergruppen großmehrheitlich hinter ihm versammelten, um Donald Trump aus dem Weißen Haus zu jagen. Diesmal liegt Biden in Umfragen bei unter 30-Jährigen noch immer in Führung -allerdings keineswegs mehr mit überragendem Vorsprung. Bei einer Wahl, die mit äußerst knappem Resultat enden dürfte, kann sich Biden solche Verluste nicht leisten.

Das Vorgehen Israels im Krieg stößt zwar auf breitere Kritik in den USA, viele Amerikaner erwarten von dem Präsidenten, dass er Israels Premier Benjamin Netanjahu stärker unter Druck setzt. Allerdings waren bei den Protesten antisemitische Parolen zu hören, die Demonstrierenden verlangten, dass die Schulen die akademische Kooperation mit Israel einstellen und die Stiftungen israelische Vermögenswerte veräußern. Bei der amerikanischen Wählerschaft sind mit solchen Extremforderungen keine Mehrheiten zu finden. Joe Biden dürfte darum seinen pragmatischen Kurs weiterverfolgen. Er wird Israel unterstützen, dessen Premierminister aber auch scharf kritisieren, wenn es nötig ist. In der Hoffnung, damit zur Beilegung des Konflikts beizutragen -oder zumindest dazu, dass die Außenpolitik letztlich bei der Präsidentschaftswahl die übliche Rolle spielt: eine untergeordnete.

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