US-Abschuss einer türkischen Drohne:Unfriendly fire zwischen Nato-Partnern

Lesezeit: 3 Min.

Immer wieder greift die Türkei die Kurdengebiete in Nordostsyrien an: Anschlag auf den Ort Al-Qahtaniyya, am Donnerstag im Gouvernement al-Hasakaei. (Foto: Delil Souleiman/AFP)

Ein US-Jet holt eine türkische Drohne vom Himmel, die in Nordsyrien kurdische Milizen beschossen hat. Washington spricht von einem "bedauerlichen Vorfall". Doch der ist auch ein Signal.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Der Himmel über Syrien ist seit Jahren ein komplizierter Ort, ein gefährlicher sowieso. Bei einem Drohnenangriff auf eine Militärakademie in Homs kamen am Donnerstag mindestens 100 Menschen ums Leben. Direkt danach griff das syrische Regime verschiedene Rebellengebiete rund um Idlib im Nordwesten an, wieder starben Zivilisten. Es ist traurige Realität, dass das Land einfach nicht nur Ruhe kommt. Am Donnerstag geschah allerdings auch etwas, das selbst in Nordsyrien noch nie passiert ist, in all den Kriegsjahren nicht: Ein Nato-Jet schoss eine Nato-Drohne ab. Der Jet war amerikanisch, die Drohne türkisch.

Dabei hatte die Türkei die USA wenige Stunden zuvor sogar vorgewarnt. Am Mittwochabend stellte sich Außenminister Hakan Fidan in Ankara vor die Presse und kündigte weitere Luftangriffe auf Nordsyrien an. Man wisse jetzt, sagte Fidan, dass die beiden Attentäter, die am Sonntag in der türkischen Hauptstadt eine Explosion ausgelösten, aus Syrien gekommen seien.

Die türkische Regierung warnt die USA

Aus Nordsyrien versteht sich, aus dem Gebiet der kurdisch-dominierten YPG-Miliz. Aus türkischer Sicht sind YPG und die PKK ein und dasselbe, ein PKK-Ableger hatte sich zum Anschlag bekannt. Der türkische Geheimdienst war mit seinen Drohnen die Woche über Luftschläge auf mutmaßliche PKK-Ziele in Nordsyrien geflogen, nun sollte die türkische Luftwaffe folgen. Und zwar mit Angriffen auf die Infrastruktur der YPG. Die sei jetzt "ein legitimes Ziel", sagte Fidan.

Der türkische Außenminister formulierte seine Warnung an die USA indirekt. Er empfehle "Dritten", sich "von PKK/YPG-Einrichtungen und Personen aus ihrem Umfeld fernzuhalten". Die US-Armee ist in der Region noch immer mit Hunderten Soldaten vertreten, sie hat dort zusammen mit den Kurden den IS niedergekämpft - der sich zuletzt wieder stärker zeigte. Für die Amerikaner und den Westen sind die Kurden verlässliche Verbündete.

Am Donnerstag dann handelte die Türkei. Ihre Bomben trafen rund 30 Ziele, darunter das Elektrizitätswerk der kurdischen Großstadt Kamischli im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei. Mehrere Menschen starben, Zehntausende waren danach ohne Strom. Eine der Drohnen, die gerade von einem Luftschlag kam, näherte sich einer amerikanischen Sicherheitszone in der südlich von Kamischli gelegenen Provinz al-Hasaka. Die US-Armee definiert solche Zonen, um andere Kriegsparteien zu warnen - wer sich ihnen nähert, muss mit einer Reaktion der US-Truppen rechnen. Laut dem US-Verteidigungsministerium befand sich die türkische Drohne nur noch 500 Meter entfernt, amerikanische Soldaten seien schon in Bunker geflüchtet. Ein F-16-Kampfjet schoss die Drohne schließlich ab.

Die US-Regierung warnt die Türkei

Dass Drohnen unbemannt sind, wird gerade dann zum Vorteil, wenn ihnen etwas zustößt. Lloyd Austin, der US-Verteidigungsminister, rief seinen türkischen Amtskollegen an, man sprach von einem "bedauerlichen Vorfall", weitere Konsequenzen wird der Abschuss wohl nicht haben. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat kein Interesse an einem neuen Konflikt mit den Vereinigten Staaten, und da kein türkischer Soldat zu Schaden kam, steht er nicht unter Druck.

Erdoğan will in den USA ausgerechnet jene Flugzeuge kaufen, von denen eines die türkische Drohne vom Himmel holte. Den Erhalt von F-16-Jets hat er offen zur Bedingung für sein Ja zum Nato-Beitritt Schwedens gemacht. Seit der demokratische US-Senator Bob Menendez in einen Korruptionsskandal geraten ist, hoffen manche in der Türkei, dass der Flugzeug-Deal einfacher wird, denn Menendez ist ein ausgesprochener Gegner der Türkei in Washington. Allerdings nicht der einzige.

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Auch wenn die USA den Abschuss der Drohne bedauern: Er dürfte als Signal an Ankara zu verstehen sein. Dass von der Drohne wirklich eine Gefahr für die US-Truppen ausging, darf man bezweifeln. Iran griff in den vergangenen Jahren immer wieder amerikanische Truppen und Einrichtungen in Syrien und im Irak an, selten folgte sofort eine militärische Reaktion.

Offenbar will die Biden-Regierung die Türkei vor weiteren Militäraktionen gegen die Kurden in Syrien warnen. Erst diese Woche hat Erdoğan einen seiner Lieblingssätze wiederholt: "Wir könnten eines Nachts kommen". Damit drohte er vor einer Weile einem anderen Nachbarn, Griechenland. Der Satz gelte noch immer, sagte Erdoğan nun. Anscheinend auch in Syrien.

Wer hat den längeren Atem?

Zwei Faktoren kommen Erdoğan in dem Konflikt zugute: die Geografie und die Zeit. Die PKK steht der Türkei entlang der türkisch-syrischen Grenze viele Kilometer weit direkt gegenüber, es ist also ein langfristiger Konflikt. Und der Militäreinsatz gegen die YPG ist in Ankara kaum umstritten. Dass die YPG mit der PKK bis auf den Namen fast alles teilt, bezweifelt auch die türkische Opposition nicht. Von Washington aus betrachtet, ist das Schlachtfeld Syrien dagegen sehr weit weg. Und niemand weiß, ob nach der Präsidentschaftswahl Ende 2024 eine neue US-Regierung die Truppen dort behalten wird.

Einstweilen gilt: Solange sich die Türkei von amerikanischen Militärstützpunkten in Syrien fernhält, dürften die USA sie dort gewähren lassen. Jedenfalls aus der Luft. Auch dann, wenn türkische Bomben mal wieder kurdische Zivilisten töten.

In der Nacht zu Freitag hat die Türkei weitere Luftschläge in Nordsyrien geflogen. Dabei seien 30 Ziele angegriffen und 26 "PKK-Terroristen" getötet worden, teilte das Verteidigungsministerium mit.

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