"Fridays for Future":Klimapolitik im Schatten

Lesezeit: 3 min

"Größte Krise der Menschheitsgeschichte": Die 15-jährige Greta Thunberg demonstriert im August 2018 vor dem schwedischen Parlament, damals noch allein (Foto: Jasper Chamber/Mauritius)

In Stockholm feiern Aktivisten gemeinsam mit Greta Thunberg fünf Jahre "Schulstreik fürs Klima". Die Stimmung ist gedämpft, denn Politik und Bürger verdrängen lieber.

Von Alex Rühle, Stockholm

Hier, am Mynttorget, ging vor fünf Jahren alles los. Am 20. August 2018, einem Freitag, setzte sich eine Stockholmer Neuntklässlerin auf dieses Brückchen, das den Reichstag mit dem Schloss verbindet, und machte einen Skolstrejk för Klimatet, einen Schulstreik fürs Klima. Es ging ihr nicht darum, zum Covergirl der wichtigsten Jugendbewegung unserer Zeit zu werden, im Gegenteil, Greta Thunberg hasst den Rummel um ihre Person. Sie hatte einfach existenzielle Angst.

Oder wie sie selbst es kurz zuvor ausgedrückt hatte, in einem Essay, mit dem sie wenige Wochen zuvor einen Wettbewerb des Svenska Dagbladet zum Thema Klimawandel gewonnen hatte: "Ich würde mich so gerne sicher fühlen. Aber wie kann ich das, wenn ich weiß, dass wir uns in der größten Krise der Menschheitsgeschichte befinden?" Also setzte sie sich hier hin und forderte, dass die schwedischen Politiker endlich ihre Hausaufgaben machen, indem sie, wie im Klimaabkommen von Paris vereinbart, dafür sorgen, dass die schwedischen CO₂- Emissionen sinken.

Greta Thunberg ist auch heute auf diesen Platz gekommen, weißes T-Shirt, schwarze Jeans, inmitten ihrer Mitstreiterinnen, mit denen sie mittlerweile mehr als 250 Wochen lang darauf dringt, dass sich wirklich was ändert. Das Einzige aber, was sich in den fünf Jahren wirklich geändert hat, ist das Klima, das mittlerweile wirklich allerorten mit voller Wucht zuschlägt.

Schwedens Regierung schert sich gerade nicht sehr ums Klima

Thunberg steht nur am Rand, das Reden übernehmen an diesem Vormittag andere, beispielsweise der Journalistikstudent Anton Foley, Sprecher von Aurora, einer Gruppe von mehr als 600 schwedischen Kindern und jungen Menschen, die im vergangenen Winter Sammelklage gegen den schwedischen Staat eingereicht haben. Sie argumentieren, dass die schwedischen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels völlig unzureichend seien und somit gegen ihre Rechte gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen.

Die Regierung scheint nicht sonderlich beeindruckt zu sein von dieser Klage, sie hat gerade erst die Plastiktütensteuer abgeschafft und die Benzinpreise reduziert. Ärgerlicher noch als solche klimapolitisch schädlichen Einzelaktionen findet Falk Schröter, "dass die Regierung die klimapolitischen Themen in eine Art Kulturkrieg umdeutet, bei dem die arme, aufrechte Landbevölkerung angeblich vor woken Stockholmern geschützt werden muss. So als sei Klimaschutz ein Lifestyle-Thema." Schröter ist mitverantwortlich für den Internetauftritt der schwedischen FFF und hält hinter der Bühne ein langes Banner mit der Aufschrift "People not Profit".

Während weltweit zum selben Zeitpunkt Zehntausende auf die Straße gingen, ist die Versammlung am Mynttorget ziemlich klein: An diesem Freitag wird in Stockholm das 50. Thronjubiläum von Carl XVI. Gustaf gefeiert, ganze Straßen sind gesperrt, "jeder Demonstrationszug wäre ein absurder Hindernislauf geworden", so Schröter. Deshalb ist die heutige Veranstaltung nur Auftakt für eine große " Themenwoche zu sozialer und klimapolitischer Gerechtigkeit", wie es der Nachhaltigkeitsforscher David Fopp ausdrückt.

"Die Sozialpolitik mitdenken"

Obwohl "Fridays for Future" ja als klimapolitische Protestbewegung angefangen haben, formulieren sie alle hier es jedes Mal in dieser Reihenfolge, social and climate justice, so als sei das Soziale noch wichtiger. "Beides ist untrennbar miteinander verbunden", sagt Fopp, "weil der große gesellschaftliche Umbau nur dann funktionieren kann, wenn das Sozialpolitische mitgedacht wird." Es gehe nicht darum, "bisschen auf E-Autos umzusteigen, sondern um eine riesige gesellschaftliche Gesamtumstellung", bei der man die sozial Schwachen mitnehmen müsse. Im Moment passiere das Gegenteil, so Fopp: "Hier in Schweden werden die Windparks ins Gebiet der samischen Urbevölkerung gestellt und Minenschürfrechte auf ihren Rentiergebieten freigegeben."

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Am Ende des Vormittags stehen sie da, ein kleiner bunter Haufen mit ihren Pappschildern, und rufen: "This is what democracy looks like". Ein seltsam schillerndes Schlussbild, denn der Satz stimmt ja doppelt: Vielleicht muss Demokratie tatsächlich genauso aussehen, so bunt und vielgestaltig und jung und mit dem dringenden Bewusstsein darum, dass man selbst als Bürger Mitspracherecht und Mitsprachepflicht hat. Aber der Satz stimmt vielleicht auch insofern, als die, die hier für die Demokratie stehen, doch recht wenige sind. Drumherum fließen große Menschenströme, die einen trotten zu den Shoppingmalls auf der Drottninggatan, die anderen Richtung Königsschloss: Hinter der Demonstration wirbt ein Schild für eine Ausstellung zu 500 Jahren schwedische Monarchie. 500 Jahre. Inmitten eines stabilen Klimas. Was wohl in 500 Jahren hier sein wird?

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Podcast "Auf den Punkt" - am Wochenende
:Fünf Jahre Fridays for Future - Bilanz eines deutschen Gründungsmitglieds

Jakob Blasel hat Fridays for Future in Deutschland mit aufgebaut, dann wollte er in den Bundestag. Warum? Und ist er zufrieden mit dem Erreichten?

Von Johannes Korsche

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: