Was den Bundestag umtreibt - Debatten und starke Worte
Emotional geht es im Parlament schon in den ersten Jahren zu, als die Abgeordneten die grundsätzliche Verortung der jungen Bonner Republik im Staatengefüge diskutieren. SPD-Chef Kurt Schumacher schmäht Konrad Adenauer (CDU) als "Bundeskanzler der Alliierten" und wird dafür vorübergehend von den Sitzungen ausgeschlossen. Die Westanbindung, aber auch die Wiederbewaffnung sorgen in den frühen Jahren für hitzige Debatten.
Das Verhältnis zum sozialistischen deutschen Nachbarstaat, der DDR, spielt immer wieder eine große Rolle - auch wegen der ideologischen Gräben. Besonders umstritten: der Abschluss der Ostverträge Anfang der Siebzigerjahre. Den von der sozialliberalen Regierung Willy Brandts betriebenen "Wandel durch Annäherung" geißelt die Unionsopposition als "Ausverkauf deutscher Interessen". Erregt wird auch über den Umgang mit den Linksterroristen von der RAF gestritten. In seiner Dauerfehde mit CSU-Mann Franz Josef Strauß sorgt beispielsweise der scharfzüngige Ex-Kommunist und SPDler Herbert Wehner für einen Eklat, als er diesem vorwirft, "geistig ein Terrorist" zu sein - nachdem Strauß die SPD seinerseits indirekt in geistige Nähe zur RAF gerückt hat.
Bundestagsgeschichte schreibt 1984 der spätere Außenminister Joschka Fischer, damals noch einfacher Abgeordneter der Grünen: "Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch", ruft er Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen zu, nachdem dieser einen anderen Grünen wegen einer Aussage zu Kohl und der Flick-Affäre des Saals verwiesen hat.
Im Laufe der mehr als 70 Jahre, die der Bundestag nun besteht, hat es natürlich zahlreiche weitere heftige Auseinandersetzungen gegeben: über den Nato-Doppelbeschluss Anfang der Achtzigerjahre, die Einführung des Euro oder die Beteiligung der Bundeswehr am Kosovokrieg Ende der Neunzigerjahre, die Aufnahme von Asylsuchenden kurz nach der Wiedervereinigung und nach 2015. Im Bereich der Arbeits- und Sozialgesetzgebung verursachen nach der Jahrtausendwende die Hartz-Gesetze der SPD erbitterte Auseinandersetzungen - vor allem innerhalb der Partei selbst.
Daneben werden immer wieder auch Themen mit gesellschaftlicher Sprengkraft oder ethischen Implikationen behandelt: der Abtreibungsparagraf 218, Vergewaltigung in der Ehe, Eltern- und Betreuungsgeld, Ehe für Alle, Sterbehilfe oder Organspende. Die Debatte um die Erderhitzung ist heute eines der zentralen Themen.
Bonn oder Berlin - wohin nach der Wiedervereinigung
Wo sollen die sogenannten Bundesorgane im wiedervereinigten Deutschland sitzen? Um diese Frage streiten die Parlamentarier kurz nach der Wiedervereinigung heftig. Von heute aus betrachtet nimmt sich die Vorstellung merkwürdig aus, Regierung und Parlament könnten knapp 30 Jahre nach dem Ende der deutschen Teilung immer noch aus der westdeutschen Rheinmetropole agieren, die sich 1949 im Wettstreit gegen Frankfurt, Stuttgart und Kassel als "provisorische Hauptstadt" behauptet hatte. Und doch hätte es so kommen können.
Denn noch kurz vor der entscheidenden Abstimmung am 20. Juni 1991 hängt Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten der Idee an, Berlin könne Bundeshauptstadt mit rein repräsentativen Funktionen werden, Bonn aber Regierungs- und Parlamentssitz bleiben. Doch dann kommt Wolfgang Schäuble. Die Rede des damaligen Innenministers, der nach dem nur wenige Monate zuvor verübten Attentat auf ihn nun im Rollstuhl sitzt, gilt als der Wendepunkt in der Debatte.
Bei der Frage Bonn-Berlin gehe es nicht um einen Wettkampf von zwei Städten, um Umzugskosten oder Strukturpolitik, sagt der CDU-Politiker, es gehe "um die Zukunft Deutschlands". Um die Teilung zu überwinden, müsse man gemeinsam die Veränderungen tragen. Auch in den sogenannten alten Bundesländern könne nicht alles so bleiben, wie es war, "auch nicht in Bonn und nicht im Rheinland". Am Ende erhält Schäuble Standing Ovations und einen Handschlag von Willy Brandt. Und am Abend stimmen 338 Abgeordnete für Berlin, 320 für Bonn.
Schwarze Konten und Bonusmeilen - Skandale
Die Flick-Affäre ist einer der spektakulärsten Polit- und Wirtschaftsskandale in der Bundesrepublik. In Erinnerung bleibt das Wort von der "gekauften Republik": Zahlreiche Politiker, Parteien und Parteistiftungen werden in den Siebzigerjahren vom Flick-Konzern mit Geld ausgestattet, der sich auf diese Weise Steuervergünstigungen erkauft. Alle im Bundestag vertretenen Parteien hängen mit drin, am tiefsten CDU und FDP, aber auch die SPD. 1981 fliegt die Affäre auf. Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) tritt zurück - er wird später wegen Steuerdelikten verurteilt, nicht aber wegen Bestechung. Auch Bundestagspräsident Rainer Barzel gibt sein Amt ab - ein Gerichtsverfahren gegen ihn wird aber eingestellt.
Eine ganz andere Folge hat die Flick-Affäre im Bereich der parlamentarischen Kontrolle: Das Wirtschaftsministerium weigert sich, einem vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss Akten zur Verfügung zu stellen - eine Verletzung des Grundgesetzes, urteilt das Bundesverfassungsgericht und stärkt damit die Rechte der Ausschüsse.
Schwarze Konten gibt es bei der CDU aber auch im Jahr 1999 noch. Das wird von Helmut Kohl Ende November 1999 eingeräumt. Der frühere Bundeskanzler übernimmt die politische Verantwortung für die Parteispendenaffäre. Auf Druck der CDU-Spitze tritt er einige Tage später vom Amt des Ehrenvorsitzenden zurück. Namen von Spendern nennt er nie, Kohl beruft sich auf ein ihnen gegenüber geleistetes "Ehrenwort". Auch vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss verweigert er die Aussage. Womöglich stammen die schwarzen Kassen aber auch einfach noch von Flick und "es gibt keine Spender", wie CDU-Politiker Schäuble später sagt.
Als heikles Terrain für Politiker erweist sich Laufe der Jahre immer wieder die Nutzung der Flugbereitschaft der Bundeswehr. Der glücklose Rudolf Scharping (SPD) kommt 2002 als Verteidigungsminister über diese und andere politisch unkluge Verhaltensweisen zu Fall. Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth (CDU) wird hingegen letztlich durch den Ältestenrat des Bundestags vom Vorwurf entlastet, die Flugbereitschaft in den Neunzigerjahren Dutzende Male unberechtigt genutzt zu haben. Der frühere Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass der "Unterschied zwischen legal und legitim" eine "Frage des Feelings" sei.
2002 sorgt die sogenannte Bonusmeilen-Affäre für Schlagzeilen. Wohl durch eine undichte Stelle bei der Lufthansa wird bekannt, dass mehrere Politiker ihre durch Dienstflüge erworbenen Bonusmeilen für Privatreisen nutzen. Der spätere Grünen-Chef Cem Özdemir, damals innenpolitischer Sprecher der Partei, legt dieses Amt nieder und tritt nach der Wahl 2002 seinen Mandat im Bundestag nicht an. Beträchtliche Diskussionen über Glaubwürdigkeit und Integrität von Politikern gibt es im Bundestag auch infolge der Plagiatsaffären. Der aufsehenerregendste Fall ist der von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der nach der Aberkennung seines Doktorgrades 2011 zurücktritt.