SPD nach den Landtagswahlen:Ein Fingerzeig Richtung Kanzler

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser wollte in Hessen Ministerpräsidentin werden und fuhr ein historisch schlechtes Ergebnis ein. (Foto: Daniel Roland/AFP)

Zwei historisch schlechte Ergebnisse erschüttern die SPD. Der Frust über die Ampel sitzt tief. In der Partei dürfte es nun auch für Olaf Scholz ungemütlicher werden.

Von Georg Ismar

Kevin Kühnert kommt ganz in schwarz - schwarzer Pulli, schwarzes Sakko, am Revers einen Anstecker mit deutscher und israelischer Fahne. Man hat es plötzlich durch den Terrorangriff der Hamas mit noch einem Krieg zu tun, der SPD-Generalsekretär spricht davon, wie sehr das die Menschen alles stresse. Dass auch die eigene Politik viele Menschen stresst, räumt er mehr oder weniger deutlich ein.

Kühnert steht im ersten Stock des Willy-Brandt-Hauses in Berlin, das Atrium in seinem Rücken - eine Wahlparty war zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen nicht geplant. Und zu feiern gibt es auch wahrlich nichts. An der Balustrade hinter Kühnert hängt ein rotes Banner "Soziale Politik für Dich". Das ist der Anspruch, doch keine Partei in der Ampel-Koalition wird derzeit so abgestraft wie die Partei von Kanzler Olaf Scholz.

Auf zwei Fernsehern laufen die Hochrechnungen und Analysen ein. Wenn das zur Halbzeit der Ampel ein Zwischenzeugnis sein sollte, dann ist es eindeutig. 53 Prozent sagen einer ARD-Umfrage zufolge, dass die Landtagswahlen eine gute Gelegenheit seien, der Ampel-Koalition mal einen Denkzettel zu verpassen.

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Auch die Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil geben Interviews. Man hat sich vorher abgesprochen, drei Kernbotschaften gibt es: Die Ampel müsse sich mehr und besser um die Alltagssorgen der Menschen kümmern. Zudem weniger streiten, eine Mahnung gerade an die FDP, sich nicht auf die Kosten anderer zu profilieren. Und Nancy Faeser soll trotz ihres Debakels als Spitzenkandidatin in Hessen Bundesinnenministerin bleiben. Bei allen dreien ist aber auch eine gewisse Ratlosigkeit, mindestens Frust zu spüren.

"Wir brauchen einen anderen Stil"

Es ist das schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl in Bayern und Hessen. Dabei darf man nicht vergessen, dass die SPD schon bei den Wahlen in beiden Ländern 2018 jeweils 10,9 Prozentpunkte verloren hatte, in Hessen rutschte sie damals auf 19,8 Prozent ab, in Bayern fiel sie auf 9,7 Prozent.

"Wir brauchen einen anderen Stil. Wir haben sehr viel geschafft in zwei Jahren", sagt Klingbeil in eine der Kameras. Im Wahlkampf hat er viel von den Alltagssorgen der Wähler mitbekommen, die drehen sich weniger um ein Selbstbestimmungsgesetz mit dem Recht, das eigene Geschlecht zu bestimmen oder die Cannabis-Legalisierung, sondern um Finanznöte, wenn Angehörige zu pflegen sind oder die eigene Wohnung kaum noch zu bezahlen ist. Und dann sind da noch die vielen Folgewirkungen von Krieg und Inflation.

Einiges gelang, etwa die Dämpfung der Strom- und Gaspreise, aber auch in der SPD räumen sie ein, dass zu viel Spiegelstrichpolitik gemacht wird, den ganzen Maßnahmen der Überbau, die große Orientierung fehle - oder vieles halt im Streit verpufft. Esken ist letztens gefragt worden, ob die Ampel mit ihrer Politik zwar das Portemonnaie vieler Bürger erreiche, aber nicht die Herzen.

Und so landet man bei der SPD bei der Frage, die an diesem Abend wie der Elefant im Raum steht. Was hat das alles mit dem Kanzler zu tun? Warum schafft er es nicht, die Bürger emotional zu erreichen, ihnen das Gefühl von Sicherheit im Wandel zu vermitteln?

Die Signale erkennen. Aber wie?

"Es ist für uns ein bitterer Abend in beiden Bundesländern", sagt Kühnert im bis auf ein paar Journalisten leeren Willy-Brandt-Haus. Die Ergebnisse hätten sehr komplexe Ursachen, die sicherlich nicht in ein paar kurzen Sätzen zusammenzufassen seien. "Aber wir sind natürlich nicht taub und blind, sondern wir sehen, dass die drei Parteien der Ampelkoalition in beiden Bundesländern verloren haben. Und wir sollten die Signale alle miteinander in der Ampelkoalition erkennen." Das ist die eine Hoffnung, dass alle die Botschaft verstehen, dass man nur gemeinsam Erfolg haben kann.

Aber wenn zugleich betont wird, man müsse sich mehr um die Alltagssorgen der Bürger kümmern, etwa beim Wohnungsbau, landet man schnell in einer Sackgasse. Schließlich hatte der Kanzler in seinem Respekt-Wahlkampf 400 000 neue Wohnungen im Jahr versprochen, und den Mietanstieg zu dämpfen. Viele Faktoren waren nicht absehbar, aber unter dem Strich steht ein Versprechen, das nicht gehalten werden kann. Und für neue Milliardeninvestitionen, um hier vielleicht staatlich etwas nachzuhelfen, fehlt wegen der Schuldenbremse, auf deren Einhalten Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner vehement pocht, das Geld.

Beim Bundesparteitag der SPD Anfang Dezember könnten sich die Jusos hier ein Ventil suchen. Für den Kanzler dürfte es jetzt auch im eigenen Laden ungemütlicher werden. Die Dankbarkeit für seinen Erfolg ist spürbar aufgebraucht.

Nur bessere Kommunikation, das könnte zu wenig sein

Erik von Malottki ist 2021 erstmals in den Bundestag eingezogen. Er fürchtet, wie viele der Bundestagsabgeordneten, dass es mit einem Weiter so - nur mit weniger Streit - nicht getan ist. "Das muss ein Wendepunkt in der Legislatur sein", sagt er der Süddeutschen Zeitung. Das historisch schlechte Wahlergebnis müsse Konsequenzen haben. "Die SPD muss in der Ampel sichtbarer werden und wir müssen den sozialen Zusammenhalt in den Mittelpunkt stellen", sagt Malottki. "Besser kommunizieren reicht nicht", mahnt der SPD-Politiker aus Mecklenburg-Vorpommern.

Als nächstes Großprojekt mit Konfliktpotential soll das Asylthema möglichst rasch befriedet werden, als erstes soll ein Migrations-Paket ins Kabinett, um schneller abschieben zu können, zudem will die SPD auf die Union zugehen. Allerdings wird es nicht leichter durch die herzliche Abneigung zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz. Zwar will der Kanzler vor allem auf die Unions-regierten Ländern bei den Fragen von mehr Strenge und schnelleren Asylverfahren zugehen, aber auch in der SPD würden sie gern den großen Schulterschluss auch mit der Bundes-CDU sehen, um dem AfD-Höhenflug gemeinsame Antworten entgegenzusetzen.

Federführend verantwortlich dafür ist die größte Wahlverliererin des Abends, Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Sie wollte Ministerpräsidentin in Hessen werden, am Ende ist sie auf Augenhöhe mit der AfD gelandet. Kühnert, Klingbeil und Esken wollen gar nicht erst eine Debatte aufkommen lassen, ob es für ein Aufbruchssignal nicht eine Veränderung brauche, Faeser vielleicht nicht mehr die nötige Autorität haben könnte. "Mit diesem Ergebnis ist nichts über die Bilanz der Bundesinnenministerin gesagt, die zuletzt erfolgreiche Ergebnisse im Bereich der europäischen Asylpolitik verhandelt hat", startet Kühnert kurz nach den ersten Prognosen die "Operation Schadenbegrenzung" in dieser Frage.

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