SPD:Alle Augen auf Nahles

Lesezeit: 4 min

"Das wird ganz schön teuer": Die SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles (links) hat in den vergangenen vier Jahren ein gutes Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgebaut. (Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • An diesem Mittwoch treffen die Spitzen von Union und SPD erstmals zu Gesprächen aufeinander.
  • SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles kommt dabei eine besondere Rolle zu, denn durch die enge Zusammenarbeit im Kabinett wird sie auch in der Union geschätzt.
  • Trotzdem wird Nahles in den Gesprächen auch Unterschiede zu CDU und CSU herausarbeiten müssen.

Von Nico Fried

Am Mittwoch nach der Bundestagswahl trafen sich Angela Merkel und Andrea Nahles beim Bundespräsidenten. Die designierte SPD-Fraktionsvorsitzende sollte aus ihrem Amt als Arbeitsministerin entlassen werden. Nahles hatte zuvor mit der flapsigen Bemerkung mächtig Aufregung verursacht, die Union bekomme künftig "auf die Fresse". Ob er die Kanzlerin vor Nahles beschützen müsse, fragte Frank-Walter Steinmeier im Scherz.

Doch Merkel verstand, wie Nahles sich fühlte, grämte sich die Kanzlerin doch selbst über Ungemach. In einer Pressekonferenz zum Wahlergebnis der CDU war ihr der missverständliche Satz rausgerutscht: "Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten." Und so standen im Schloss Bellevue unter der Schirmherrschaft des Staatsoberhaupts zwei bedröppelte Politikerinnen und trösteten sich gegenseitig über Worte für die Ewigkeit hinweg, die sie lieber nicht gesagt hätten.

Schulz und die Union können sich nicht einschätzen

Merkel, 63, und Nahles, 47, haben sich schätzen gelernt. Das ist von Vorteil, wenn an diesem Mittwoch die Spitzen von Union und SPD zusammentreffen. Merkel, Horst Seehofer, Volker Kauder und Alexander Dobrindt wollen mit Martin Schulz und Nahles darüber reden, ob es Sondierungsgespräche über eine Koalition geben kann. Nahles und die Unions-Leute wissen sich einzuschätzen - anders als Schulz und die Union: Sein Verhältnis zu Merkel, einst belastbar, bisweilen sogar humorig, ist seit dem Wahlkampf verhärtet. Die anderen kennt Schulz kaum. Und sie kennen ihn auch nicht.

Große Koalition
:Zuversichtliche Union trifft auf zurückhaltende SPD

Kanzlerin Merkel sieht Schnittmengen mit den Sozialdemokraten. Deren Chef Schulz präsentiert unterdessen ein Modell jenseits von Minderheitsregierung und klassischer großer Koalition.

Für Andrea Nahles ist dieser Vorsprung aber auch ein Problem. Zumal auf dem jüngsten SPD-Parteitag kein führender Sozialdemokrat so deutlich wie sie zu erkennen gab, sich auch eine Neuauflage der großen Koalition vorstellen zu können. Die vielen Skeptiker von der Basis bis hinauf in die Riege der stellvertretenden Parteivorsitzenden dürften Nahles und ihr Verhalten in den Gesprächen misstrauisch beäugen. Und sie muss zeigen, dass die gute persönliche Beziehung mit Merkel und anderen Unionisten nichts mit politischer Willfährigkeit zu tun hat.

Differenzen blieben zwischen Merkel und Nahles nicht aus

Merkels Sympathie für Nahles hat ihren Anfang in den Koalitionsverhandlungen von 2013. Die Kanzlerin wurde überrascht von der Kompetenz der Sozialdemokratin, die Merkel bis dahin nur aus dem Bundestag kannte, wo Nahles noch kurz vor der Wahl das Pippi-Langstrumpf-Lied gesungen hatte. Die Themen Arbeit und Soziales, die als besonders schwierig galten, wurden zügig verhandelt. Nahles übernahm das Ministerium und sagte nach kurzer Zeit im Amt, die Kanzlerin sei "sehr erfahren, strahlt Ruhe aus und vermittelt den Neulingen wie mir Sicherheit". Sie sei "eine Kanzlerin, die gut führen kann".

Die Zusammenarbeit war eng, Differenzen aber blieben nicht aus. Besonders auffällig war die Distanz, die Nahles in der Flüchtlingspolitik zwischen sich und die Kanzlerin legte. Die SPD-Politikerin warnte von Beginn an vor den Kosten, zeigte sich skeptisch, was die Jobchancen der Zuwanderer anging, und verweigerte sich durchweg Merkels "Wir schaffen das"-Optimismus. Einem gewissen Grundvertrauen tat das aber offenbar keinen Abbruch. Beim Abschiedsessen des Kabinetts vor wenigen Wochen, als niemand glaubte, es könnte noch einmal zu einer großen Koalition kommen, schwatzten Merkel und Nahles besonders lange miteinander.

Auch Horst Seehofer, der CSU-Vorsitzende, hat Nahles in der vergangenen Legislaturperiode wiederholt gelobt. Ihm imponierte in Sitzungen des Koalitionsausschusses, dass die Ministerin ihre Vorhaben professionell sortiert und abschlussreif vorbereitet hatte. In der schwarz-gelben Koalition hatte Seehofer einst den damaligen FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler extra nach München kommen lassen, um ihm die Vergeblichkeit seiner Reformpläne mitzuteilen. Mit Nahles konnte der CSU-Chef so nicht umspringen.

Mit am Tisch sitzt am Mittwoch auch Alexander Dobrindt. Der damalige CSU-Generalsekretär und die damalige SPD-Generalsekretärin Nahles verabredeten sich 2013 zum besseren Kennenlernen - politisch trafen da zwei Welten aufeinander. "Ich habe Respekt vor ihrer Professionalität", sagte Dobrindt damals dennoch über Nahles. "Wir kommen gut miteinander klar." Vier Jahre später, am vergangenen Montag, sprach Dobrindt von einem Vertrauensverhältnis, das sich in der gemeinsamen Zeit im Kabinett "positiv weiterentwickelt" habe. Nahles, so der CSU-Landesgruppenchef, sei eine der herausragenden Führungspersönlichkeiten in der SPD.

Nahles beherrscht auch die Abgrenzung

Mit Volker Kauder hat Nahles Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, die für den Wirtschaftsflügel der Union schwer zu verwinden waren. Jenseits der Politik verbindet beide der Glaube: Im Büro des Protestanten Kauder steht ein Kreuz aus der unweit von Nahles' Geburtsort Mendig gelegenen Benediktinerabtei Maria Laach, das die Katholikin dem Fraktionschef zum 65. Geburtstag schenkte. Das war im September 2014, zwei Monate nachdem der gesetzliche Mindestlohn im Bundestag verabschiedet worden war.

Die Grünen
:Das Realo-Problem der Grünen

Eigentlich sollen in Fraktions- und Parteispitze beide Flügel vertreten sein. Eine überholte Regel - sagen die Realos, die kandidieren.

Von Constanze von Bullion

Die SPD-Fraktionschefin weiß, was nun auf sie zukommt. Sie findet aber auch, dass der Unterschied zwischen der Nahles gestern und der heute offensichtlich ist: "Das ist nicht mehr die Ministerin, die in die Gespräche kommt, das ist jetzt die Fraktionsvorsitzende", sagt sie. Auf dem Parteitag demonstrierte Nahles bereits, wie sie diese Abgrenzung versteht. Während Schulz die Kanzlerin kaum erwähnte, griff Nahles sie ungehemmt an, lästerte über Merkels Satz, die SPD sei auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig und stellte schließlich fest, nun werde die SPD eben doch gebraucht. "Und das wird ganz schön teuer."

Es wäre einfacher, sich in der Opposition zu etablieren

Nahles wird das ändern müssen, was viele Unions-Leute in der großen Koalition an ihr so schätzten: dass sie die politischen Differenzen, die es gerade über sozialpolitische Vorhaben immer wieder gab, so geräuschlos wie möglich ausgetragen hat. Jetzt muss sie die Unterschiede kenntlich machen. Dabei hat sie den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu Schulz jedes sozialpolitische Anliegen der SPD seit vielen Jahren kennt. Von der Bürgerversicherung über die Rente bis zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit und dem Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit. Der Parteichef kann vor allem über Europa reden.

Bemerkenswert an Nahles Position ist, dass sie womöglich gegen ihr eigenes Fortkommen anarbeitet. Bequemer wäre es für sie, sich in der Opposition als Fraktionschefin neben einem SPD-Chef Schulz zu profilieren, der seine Chance als Kanzlerkandidat schon hatte. In einer großen Koalition dagegen könnte allerhand potenzielle Konkurrenz in Ministerämtern Furore machen. Dass sie das riskiert, mag ein Hinweis darauf sein, dass es Nahles nicht nur um sich geht.

© SZ vom 13.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Union und SPD
:Der schmale Grat der Sondierungsgespräche

Um ihre Basis von einer großen Koalition überzeugen zu können, braucht die SPD "Trophäen". Ein Problem für Angela Merkel: Diese dürfen die Union nicht überfordern.

Von Robert Roßmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: