Die Grünen:Das Realo-Problem der Grünen

Die Grünen: Da geht's lang: Robert Habeck will Parteichef Cem Özdemir beerben. Daneben Katrin Göring-Eckardt, auch sie vom Realo-Flügel.

Da geht's lang: Robert Habeck will Parteichef Cem Özdemir beerben. Daneben Katrin Göring-Eckardt, auch sie vom Realo-Flügel.

(Foto: John Macdougall/AFP)
  • Die Grünen wählen im Januar Partei- und Fraktionsspitze neu. Um die vier Posten balgen sich zu viele grüne Realpolitiker.
  • An die Parteispitze wollen die Bundestagsabgeordnete Baerbock und Schleswig-Holsteins Umweltminister Habeck.
  • Habeck will sein Ministeramt möglichst lange behalten und verlangt eine Satzungsänderung. Der Wunsch verärgert den linken Flügel zusätzlich.
  • Als Fraktionsvorsitzender bringt sich Noch-Parteichef Özdemir ins Spiel.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Das Problem der Grünen hat 13 Buchstaben, und um es zu verstehen, braucht man kein Rechenkünstler zu sein: zu viele Realos. Genauer gesagt, es gibt zu viele grüne Realpolitiker, die für einen Führungsjob taugen. Nun droht entweder eine Balgerei um vier Posten, die im Januar an der Spitze von Partei und Fraktion zu vergeben sind. Oder die Grünen treten in eine Metamorphose, an deren Ende es keine Realos oder Parteilinken mehr geben soll, sondern nur noch Grüne.

Montagnachmittag in Kiel, der Umweltminister von Schleswig-Holstein steigt aus einem Wagen, am Ohr das Telefon, im Nacken große Erwartungen. Robert Habeck, 48, will Parteichef der Grünen werden. Das hat er am Sonntag bekannt gegeben, nur wenige Stunden nachdem publik geworden war, dass die Brandenburger Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock, 36, für den grünen Parteivorsitz kandidiert.

Habeck, Ex-Schriftsteller mit Image des angejahrten Rockstars, gehört zu den Grünen, die reden können, nicht frei von Eitelkeit sind, auch mal einen Witz wagen und urbane Milieus ansprechen. In der Partei ist er populär, obwohl er sich lange bitten ließ, in Berlin Verantwortung zu übernehmen. Mal wollte Habeck in Schleswig-Holstein bleiben, wo er ein Multiministerium für Energie, Landwirtschaft und Umwelt führt. 2016 verlor er bei der Wahl der Spitzenkandidatur gegen Cem Özdemir.

"Diskussionsbedarf", twittert der grüne Abgeordnete Schick

Fragt man Habeck, wofür die Grünen gebraucht werden, wo doch Jamaika gescheitert ist und sie im Bundestag die kleinste Oppositionspartei stellen, spricht er von der Rechtsdrift der Gesellschaft. "Man kann das drehen", sagt er. "Wir halten eine optimistische und freiheitlich-liberale Perspektive links von der Mitte am Leben." Habecks Problem ist nur: Er ist Minister in Kiel, und er will es bleiben, bis klar ist, dass er zum Parteichef gewählt ist. Dann soll eine Übergangsfrist gelten, etwa ein Jahr lang, in der er sein Ministerium geordnet übergeben will. Da bei den Grünen die Trennung von Amt und Mandat gilt, wäre dafür eine Satzungsänderung nötig.

Auf dem linken Parteiflügel werden nun die Ersten unruhig. "Diskussionsbedarf", twitterte der finanzpolitische Sprecher der grünen Fraktion, Gerhard Schick. Was sich ankündige, sei eine "Lex Habeck", eine Regelung eigens für Habecks Wünsche. Schon früher gingen Versuche schief, die Trennung von Amt und Mandat bei den Grünen aufzuheben, auch wegen des Vorwurfs, da nehme sich jemand mehr Macht, als ihm eigentlich zustehe.

"Das kann scheitern. Da mache ich mir keine Illusionen", sagt Habeck zum Thema Satzungsänderung. Versuchen will er es beim Parteitag trotzdem. "Wenn die Partei sagt, das ist attraktiv, wird sie den Weg frei machen. Wenn nicht, bliebe ich wohl noch länger Minister." Selbstverständlich soll all das nicht nach Erpressung klingen, und selbstverständlich findet Habeck auch Annalena Baerbock toll, die sich beim Parteitag im Januar wie er an die Parteispitze wählen lassen will.

Baerbock, Bundestagsabgeordnete und Völkerrechtlerin mit europa- und klimapolitischem Profil, hat gute Chancen, gewählt zu werden. Nicht nur, weil vielen in der Partei ihre undogmatische und kantige Art gefällt. Es ist bei den Grünen auch Brauch, dass der Frauenplatz an der Parteispitze zuerst besetzt wird. Damit könnte Baerbock dem Dilemma entgehen, dass sie wie Habeck zum realpolitischen Flügel gehört. Wäre sie einmal gewählt, müssten weitere Realos sehen, wo sie blieben.

"Fern von einem reinen Schielen auf Strömungslogiken"

Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass zwei Realos an die Parteispitze treten. Flügel hin oder her, Hauptsache geeignete Leute werden gewählt, ist am Montag bei Realos aller Sorte zu hören. "Ich glaube, dass wir uns lähmen, wenn wir permanent auf der Flügelfrage rumhacken", sagt Robert Habeck. "Unsere Stärke in den Sondierungen war unsere Einigkeit in unserer Vielfalt", schreibt Annalena Baerbock. Die Partei habe dort "mit unglaublicher fachlicher Substanz fern von einem reinen Schielen auf Strömungslogiken" agiert. Ins gleiche Horn stößt Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende im Bundestag, auch sie Reala. Mitte Januar will sie wieder zur Fraktionschefin gewählt werden. Es stecke doch auch in ihr manchmal ein grüner Fundi, ließ sie am Montag wissen. Will heißen: Lasst uns, Flügellogik war gestern.

Parteilinke wie Jürgen Trittin, Anton Hofreiter oder Agnieszka Brugger wollten sich am Montag zu Personalfragen nicht äußern. Streit ist jetzt unerwünscht. Dafür trat Cem Özdemir vor die Presse, der nicht mehr als Parteichef antritt. Eigentlich wollte er Minister einer Jamaika-Regierung werden, daraus wurde nichts. Nach Umfragen gehört der 51-Jährige zu den beliebtesten Politikern Deutschlands, weshalb nicht wenige Grüne sich fragen, was nun eigentlich aus ihm werden soll. "Ich will gern meiner Partei und Fraktion dienen, da wo sie mich haben will", sagt Özdemir auf die Frage, ob er sich als Fraktionschef bewerben will. "Sie wissen, dass ich bereit bin, Verantwortung zu übernehmen und meine Fähigkeiten entsprechend in der Fraktion einzubringen." Es klingt, als warte da jemand auf einen Ruf, auch wenn Özdemir es so nicht verstanden wissen will. Als Kandidat für ein Spitzenamt jwäre er der nächste Realo im Reigen. Und wie an der Parteispitze gilt in der Fraktion: Die weibliche Kandidatin wird zuerst gewählt, vermutlich Katrin Göring-Eckardt. Dass Özdemir dann gegen den Partelinken Anton Hofreiter gewinnt, gilt als unwahrscheinliches Szenario. Würde Özdemir denn antreten, wenn er gebeten würde? "Es ist vieles möglich", sagt er.

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