Sondervermögen für die Bundeswehr:Die Grünen haben so gut wie nichts bekommen

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Modernerer Sicherheitsbegriff? Die Grünen hatten sich die Gestaltung des Sondervermögens anders vorgestellt. Außenministerin Baerbock in Mali. (Foto: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa)

Um die Basis zu besänftigen, versprach die Parteispitze, ein Teil der 100 Milliarden Euro werde in humanitäre Hilfe und Cybersicherheit fließen. Doch was als "moderner" Sicherheitsbegriff verkauft wurde, schrumpelte zusammen wie eine Zitrone.

Von Constanze von Bullion, Paul-Anton Krüger, Robert Roßmann und Mike Szymanski

Nein, es ist kein angenehmer Termin. Und ja, es gab schon glänzendere Ergebnisse zu verkünden, jedenfalls aus Sicht der Grünen. "Natürlich ist das Ganze ein Kompromiss", sagt am Montagmittag Katharina Dröge, als sie im Bundestag vor ein Mikrofon tritt, ohne jedes Lächeln und mit einem Text, der irgendwie nach Erfolg klingen soll. Dreimal kommt darin das Wort "gut" vor und dazu der Hinweis, dass sich "am Ende alle bewegen" mussten. Nur dass sich die Grünen, das sagt Dröge nicht, eben weiter bewegen mussten als ihre Widersacher.

Berlin am Tag nach der Einigung zum Sondervermögen für die Bundeswehr, das eine historische Zäsur darstellt in der deutschen Verteidigungspolitik. Drei Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben SPD, Grüne, FDP und Union sich am Sonntag auf Zuwendungen für die Bundeswehr geeinigt, wie es sie nie gab. Für Rüstungsvorhaben und eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr wird ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bereitgestellt, nur der Truppe. Weitere Milliarden für Cybersicherheit und die Ertüchtigung von Bündnispartnern, die die Grünen aus dem Sondervermögen hatten finanzieren wollen, sollen aus den Haushalten des Bundesinnen- und des Verteidigungsministeriums dazukommen.

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Damit geht ein monatelanger Streit zwischen den Regierungsparteien zu Ende, aber auch zwischen Regierung und Union. Begonnen hatte er mit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zusätzliche 100 Milliarden Euro für Bundeswehr und Rüstung versprochen hatte. Als Sondervermögen sollten sie nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Deutschland werde "von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts" in Verteidigung investieren, versprach Scholz.

Es folgte ein zäher Parteienzwist, der erst am Sonntagabend beigelegt werden konnte. Da das Sondervermögen ins Grundgesetz soll, mithin eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist, mussten die Regierungsparteien die Union dafür gewinnen. Sie forderte, die gesamten 100 Milliarden für die Bundeswehr auszugeben. In der SPD regten sich Widerstände. Und mehr noch bei den Grünen.

Schon Scholz' Ankündigung des Sondervermögens führte zu Ärger bei den Grünen. Weder Partei- noch Fraktionsspitze waren rechtzeitig informiert, sogar die grüne Regierungsmannschaft soll Details nicht gekannt haben. Um die Wogen zu glätten, versprachen die Grünen-Oberen ihren Leuten, nicht das gesamte Geld werde für Rüstung ausgegeben. Auch für Energiesicherheit, humanitäre Hilfe, Zivilschutz, Cybersicherheit sollten Mittel aus dem Sondervermögen fließen.

Was von den Grünen als "moderner", breiterer Sicherheitsbegriff verkauft wurde, schrumpelte in den Verhandlungen zusammen wie eine Zitrone. Neben den Mitteln für die Ausrüstung der Bundeswehr wollten die Grünen wenigstens noch Mittel für zivile und militärische Cybersicherheit aus dem Sondervermögen sichern und für die Ertüchtigung von Bündnispartnern - vergeblich. Die Union sei dazu "nicht bereit", sagte Grünen-Fraktionschefin Dröge am Montag. "Sie hätte hieran eine Einigung scheitern lassen. Das war aus unserer Sicht nicht an der Sache orientiert." In einer so schwierigen Phase für Europa sei Scheitern für die Grünen "keine Option". Verantwortung, so die Botschaft, gehe vor.

Im Übrigen verweisen die Grünen nun darauf, dass das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht jedes Jahr erreicht werden müsse, sondern über mehrere Jahre hinweg im Durchschnitt, je nach Beschaffungsbedarf. Man werde "wahrscheinlich in den nächsten fünf Jahren ein entsprechendes Ziel erreichen", sagte eher wolkig Fraktionschefin Dröge. Ausgaben, die nicht aus dem Sondervermögen finanziert werden könnten, würden nun in den Einzelhaushalten der Ressorts gesichert. So habe das Auswärtige Amt für humanitäre Hilfe "den höchsten Etat jemals" ausgehandelt. Auch in Energiesicherheit werde massiv investiert.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) soll außerdem eine Strategie zur Stärkung der Cybersicherheit vorlegen. Ein solches Konzept habe man erwartet, sie habe es aber nicht vorgelegt, hieß es in Verhandlungskreisen. Vereinbart sei hierfür "ein zweistelliger Milliardenbetrag", so Dröge, für die Ertüchtigung von Nato-Partnern Mittel im einstelligen Milliardenbereich. Im Einigungspapier vom Sonntagabend stehen solche Zahlen allerdings nicht.

Rundum zufrieden zeigte sich dagegen die Union. Seine Fraktion habe sechs Punkte genannt, die Voraussetzung für ihre Zustimmung seien, sagte CDU-Chef Friedrich Merz. Die Ampelkoalition sei nun "dankenswerterweise bereit gewesen, uns in allen diesen sechs Punkten zu folgen". Wenn es nach ihm gehe, könne das Sondervermögen noch in dieser Woche vom Bundestag beschlossen werden. Die 100 Milliarden Euro könnten jetzt vollständig in die Bundeswehr fließen - das sei für die Union "der Hauptpunkt" gewesen, sagte Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg. Außerdem bleibe die Bundeswehr "auch nach Auslauf des Sondervermögens ausfinanziert". Denn die Mittel zur Erreichung der Nato-Ziele würden dauerhaft bereitgestellt. Dazu kämen "klare Absprachen zum Wirtschaftsplan, zur Tilgung und zu einem Begleitgremium im Haushaltsausschuss".

Deutlich zurückhaltender im Ton blieben Teile der SPD. 100 Milliarden Euro nur für die Bundeswehr? Was wird dann aus sozialen Anliegen? Aus der neuen Kindergrundsicherung? Dem Bürgergeld? Den Projekten zur ökologischen Transformation? Kanzler Scholz hatte den SPD-Abgeordneten unlängst versichert, es sei sichergestellt, dass das Sondervermögen nicht an anderer Stelle fehlen werde. Es handle sich um Schulden, die eigens für die Modernisierung der Bundeswehr aufgenommen werden sollen. "Ich begrüße, dass die Investitionen in das Militär keine direkten Auswirkungen auf andere Projekte im Haushalt haben", erklärte nun Sebastian Roloff, Vertreter der Parteilinken in der Fraktion. Das klang schon ganz anders als im März, als etwa Juso-Chefin Jessica Rosenthal davor gewarnt hatte, Milliarden Euro "in einem schwarzen Loch" zu versenken.

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Aber auch in der SPD hätten Kritiker das Sondervermögen gerne breiter ausgegeben. "Ich finde es schade, dass die Union partout kein modernes, breiteres Bild von Verteidigungsfähigkeit hat", sagte Roloff der SZ. "Ich sehe nicht, warum zum Beispiel Maßnahmen für mehr Cybersecurity nicht auch aus dem Sondervermögen finanziert werden sollten." Es klingt nach Enttäuschung, nicht nach Aufstand.

In der FDP war am Montag die Zufriedenheit unüberhörbar. Parteichef Christian Lindner sagte, für ihn seien zwei Dinge hervorzuheben: Die Ertüchtigung der Bundeswehr werde ohne Steuererhöhung ermöglicht, und es bleibe bei der Schuldenbremse. Das Geld für eine Stärkung der Cyberabwehr, die auch Linder als wichtig erachtet, müsse ebenso wie die Ertüchtigung von Streitkräften von Partnerländern aus dem allgemeinen Haushalt finanziert werden, Gleiches gelte für den Zivilschutz. Zusagen mit Blick auf die Höhe solcher Ausgaben seien in den Verhandlungen nicht gemacht worden, betonte Lindner, da es zunächst konkrete Konzepte brauche. Mit anderen Worten: Es wird weiter verhandelt.

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