Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) plädieren für lokale Ausreisesperren zur gezielten Bekämpfung der Coronvirus-Pandemie. Bei einem örtlich begrenzten Infektionsausbruch könne ein Ausreiseverbot günstiger sein als umgekehrt ein bundesweites Aufnahmeverbot in Hotels für Reisende aus diesem Gebiet, sagte Merkel auf einer gemeinsamen Pressekonferenz auf Herrenchiemsee, wo sie zum ersten Mal in ihrer Amtszeit an einer Sitzung des bayerischen Kabinetts teilgenommen hatte.
"Ich finde, das ist jedenfalls ein Vorschlag, den man diskutieren sollte und für den ich werben würde", sagte die Kanzlerin. Söder verwies auf die örtlich geltenden Ausgangsperren, die der bayerische Landkreis Tirschenreuth im März verhängt hatte. Damit könne die Ausbreitung der Infektionen unter Kontrolle gebracht werden. "Das gibt Sicherheit für alle Beteiligten", sagte der CSU-Politiker. "Deswegen, glaube ich, ist der Weg der richtige."
Söder empfängt Merkel:Premiere vor weiß-blauer Kitschkulisse
Zum ersten Mal nimmt Kanzlerin Merkel an einer bayerischen Kabinettssitzung teil. Ministerpräsident Söder hat sich dafür einen besonderen Ort ausgesucht.
Bund und Ländern diskutieren derzeit über einen entsprechenden Paradigmenwechsel. Einig ist man sich bislang aber nicht. Nach Informationen von Reuters soll es am Mittwoch einen neuen Anlauf für eine Einigung zwischen Kanzleramt und den Staatskanzleien der 16 Bundesländer geben. Hintergrund sind Einwände vor allem aus Nordrhein-Westfalen gegen die alte Regelung, nach dem Corona-Ausbruch im Kreis Gütersloh seien zu viele Menschen betroffen gewesen. Etliche Urlauber aus dem Kreis mussten ihre Ferien etwa in Mecklenburg-Vorpommern abbrechen, obwohl sie selbst keine Symptome hatten.
Das Kanzleramt hat nun das japanische Modell ins Gespräch gebracht. Danach dürfen die Menschen aus einem Corona-Hotspot zunächst nicht ausreisen. Im Gegenzug werden dann innerhalb von zwei Tagen alle Menschen in diesem Gebiet getestet.
Söder stellte sich nach der Sitzung zudem hinter Pläne für einen milliardenschweren EU-Wiederaufbaufonds. "Europa ist in einer schwierigen Phase", sagte er im Anschluss in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Bayern unterstütze den Weg der Bundesregierung. Auf neue Fragen immer die gleichen Antworten zu geben, sei ein Fehler. Man müsse auch mal über seinen Schatten springen, sagte der CSU-Chef mit Blick auf die großangelegten Corona-Hilfsprogramme in Europa.
Söder zeigte sich zuversichtlich, dass es unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft möglich sein werde, "dass wir tatsächlich einen neuen Weg gehen". Es dürfe in Europa nicht mehr um "Schuldner und Gläubiger" gehen, sondern um "Partner in der gemeinsamen Entwicklung in Europa". Es gehe um ein progressives und nachhaltiges sowie "liberales und wertebewusstes Europa in Absetzung von Extremisten".
Merkel sagte, der Ort des Treffens sei sehr passend für das Gespräch über die EU-Ratspräsidentschaft, denn "Herrenchiemsee steht immerhin für die Entstehung unseres Grundgesetzes", in dessen Präambel das vereinte Europa erwähnt werde. Die Corona-Krise habe demonstriert, was es für Deutschland bedeute, wenn Wertschöpfungsketten kaputtgingen oder der Binnenmarkt nicht funktioniere. Zudem sei es dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs so, dass die USA die EU nicht mehr selbstverständlich in jeder Situation beschützten, worauf europäische Länder nicht mit nationalstaatlichen Alleingängen reagieren sollten.
Die Kanzlerin betonte, sie verstehe Söders Einladung als ein Signal für dessen Unterstützung für den geplanten EU-Aufbaufonds. Dieser sei ein "wichtiger Weg", mit der Corona-Krise umzugehen. Sie sei mit Söder einig, dass der Fonds vor allem "Zukunftsinvestionen" etwa in die Digitalisierung oder den Klimaschutz enthalten müsse. Denn "wir müssen insbesondere der jungen Generation helfen, die jetzt in ganz besonderen Zeiten aufwächst". Auch dass die Bundesrepublik ihren Wohlstand bewahre, betonte Merkel mehrfach als zentral.
Merkel: Föderalismus hat sich in Corona-Krise bewährt
Teilnahmen an Landeskabinettssitzungen sind in Merkels Terminkalender eine absolute Ausnahme, ihr Besuch in Bayern auf Einladung von CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder zeigt die derzeit enge und gute Zusammenarbeit mit Söder, das betonten die beiden auch während ihrer Pressekonferenz mehrfach. Man habe in der Krise "ungewöhnlich eng zusammengearbeitet und das sehr gut", sagte Merkel. Für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern fand sie auch insgesamt lobende Worte: Man könne sagen, "dass sich unser föderales System bewährt hat".
Söder würdigte das Treffen mit der Kanzlerin als "Meinungsaustausch mit einer ganz großen Übereinstimmung". Es sei überhaupt das erste Mal gewesen, dass ein amtierender Bundeskanzler beziehungsweise eine Kanzlerin im bayerischen Kabinett gewesen sei. Er habe die Einladung an Merkel als "herzliches Dankeschön" an das gemeinsame Zusammenwirken in der Corona-Krise ausgesprochen.
In den vergangenen Monaten hatten bereits mehrere Mitglieder der Bundesregierung an Sitzungen des bayerischen Kabinetts teilgenommen, darunter Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).
Bayerische Bauern nutzten Merkels Besuch, um mit einer kilometerlangen Traktoren-Schlange am Chiemsee gegen die Agrarpolitik in Deutschland zu demonstrieren. Nach Polizeiangaben standen am Vormittag etwa 300 Traktoren entlang der Straße, und zwar von der Autobahnabfahrt bis nach Prien. Auch beim Schiffsanleger gab es eine angemeldete Demonstration, laut Polizei mit rund 50 Teilnehmern. Auf Plakaten stand beispielsweise "Die Totengräber der deutschen Landwirte", darunter Fotos etwa von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU), Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU), Merkel und Söder.