Ukraine:Kaum Grund für Optimismus

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Wolodimir Selenskij mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel (Foto: Simon Wohlfahrt/AFP)

Präsident Selenskij wirbt bei der Nato um weitere Hilfen. Denn die ukrainische Offensive kommt nicht voran, der Winter steht vor der Tür - und die Unterstützung der USA möglicherweise vor ihrem Ende.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Der letzte Besuch von Wolodimir Selenskij bei der Nato ist drei Monate her. Das war Mitte Juli, der ukrainische Präsident kam als Ehrengast zum Gipfeltreffen der Allianz in Vilnius. Er wurde von den Staats- und Regierungschefs wie ein alter Freund empfangen. Die ukrainische Sommeroffensive hatte damals gerade begonnen, die Nato stand fest und geschlossen hinter Selenskij. Es war ein optimistisches Treffen, von dem ein Signal der Stärke an den Aggressor in Russland ausging.

Am Mittwoch war Selenskij wieder bei der Nato. In Brüssel treffen sich diese Woche die Verteidigungsministerinnen und -minister des Bündnisses sowie der sogenannten Ramstein-Gruppe, jener Länder also, die die Ukraine mit Waffen beliefern. Der Ukrainer flog überraschend ein, um an einigen der Gespräche teilzunehmen. Aus protokollarischer Sicht war das ungewöhnlich - ein Präsident mischt sich normalerweise nicht unter Minister. Dass Selenskij dennoch persönlich zur Nato kam, zeigte, dass die Lage ernst ist. Von Optimismus ist jedenfalls derzeit bei der Allianz nicht viel zu spüren, wenn es um das Thema Ukraine geht.

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In der Nähe der Großstadt Donezk hat die russische Armee mit großem Aufwand eine Offensive gestartet. Nun verliert sie dort Dutzende Panzerfahrzeuge - eine ihrer schlimmsten Niederlagen. Rumänien meldet, erneut eine abgestürzte russische Drohne gefunden zu haben.

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Das liegt zum einen an der militärischen Lage. Die Sommeroffensive der Ukraine kommt längst nicht so voran, wie das in Kiew, im Nato-Hauptquartier in Brüssel und in den Hauptstädten der Bündnisländer erhofft worden war. Zwar haben die ukrainischen Truppen an manchen Frontabschnitten die Verteidigungslinien der russischen Besatzer knacken und sich einige Kilometer vorwärtskämpfen können. Aber vielerorts halten die gut ausgebauten Sperrwerke aus Minenfeldern, Betonhindernissen, Gräben und Bunkeranlagen den Vormarsch der Ukrainer auf. Nach Angaben von Nato-Offizieren fehlt es der ukrainischen Armee auch nach wie vor an Kampfflugzeugen, die die Bodentruppen unterstützen könnten, und an Artilleriemunition.

Die Nato rechnet damit, dass Russland wieder "den Winter als Waffe" einsetzen wird

Zwar traut sich bei der Allianz niemand offen zu sagen, dass die Offensive zu einem Fehlschlag geworden ist. Aber man findet auch keine Nato-Vertreter, die von einem Erfolg sprechen wollen. Die Ukraine habe wohl militärisch keine andere Wahl gehabt, als im Sommer zu versuchen, eine Schwachstelle in der russischen Frontlinie zu finden, an der ein Durchbruch möglich sein könnte, sagt ein Offizier in Brüssel. "Aber diese Stelle wurde eben bisher nicht gefunden."

Die Folge: Zumindest was die Befreiung von besetztem ukrainischem Territorium und ein Zurückdrängen der Russen angeht, tritt der Krieg auf der Stelle. Ob, wann und wie er wieder in Bewegung kommt, ist momentan offen. Denn Nato-Militärvertreter befürchten, dass der beginnende Herbst, der Regen und damit schlammiges Gelände bringen wird, es schwieriger machen dürfte, im Falle eines Frontdurchbruchs schnell genügend frische Truppen, Panzer und Geschütze nachzuziehen.

Das ist der Grund, warum die Nato-Staaten derzeit das mittlerweile zweite "Winterpaket" für die Ukraine schnüren, das der Bevölkerung helfen soll, durch die kalten Monate zu kommen. Die Allianz rechnet damit, dass Russland wieder "den Winter als Waffe" einsetzen wird, wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch sagte. Das heißt: Russland wird wie vor einem Jahr wieder mit Drohnen und Raketen die Strom- und Heizwerke und die Energieinfrastruktur in der Ukraine attackieren, um das Land großflächig in Kälte und Dunkelheit zu stürzen.

Würde die Waffenhilfe der USA wegfallen, könnte Europa die Lücke nicht füllen

Um das zu verhindern, wollen die Nato-Länder vor allem zusätzliche Flugabwehrkapazitäten an die Ukraine liefern, dazu Dieselgeneratoren. "Wir brauchen sehr konkrete Dinge an sehr konkreten Orten in unserem Land", sagte Selenskij am Mittwoch. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius kündigte an, dass die Bundesregierung für Kiew mit Blick auf den Winter ein "Luftverteidigungspaket" im Wert von einer Milliarde Euro zusammengestellt habe. Dazu gehörten Flugabwehrsysteme der Typen Patriot und Iris-T sowie weitere Flak-Panzer vom Typ Gepard. Die deutschen Taurus-Marschflugkörper, die die Ukraine nach Angaben von Selenskij dringen braucht, will Berlin allerdings vorerst nicht liefern.

Neben der militärischen Lage macht auch die politische der Allianz Sorgen - vor allem die in den USA. Dort ist es republikanischen Hardlinern im Kongress gelungen, das für die Ukraine-Hilfe vorgesehene Geld vorerst aus dem Haushalt zu streichen. In Brüssel wird offen eingeräumt, dass die Europäer die Lücke bei Militärgerät und Munition nicht füllen könnten, die entstünde, wenn die amerikanische Unterstützung tatsächlich wegfallen sollte. Zudem wird Washington in den nächsten Wochen sehr damit beschäftigt sein, Israel im Kampf gegen die islamistische Terrororganisation Hamas zu unterstützen.

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Bei der Nato macht deswegen das unschöne Wort von der "Ressourcenkonkurrenz" die Runde. Was passiert, wenn zwei Kriege plus die innenpolitischen Querelen mit den republikanischen Isolationisten zu viel werden für die US-Regierung? Die amerikanische Nato-Botschafterin Julianne Smith versucht zwar, diese Sorge zu dämpfen: "Die Vereinigten Staaten können ihrer Verpflichtung für Israels Sicherheit nachkommen und gleichzeitig die Unterstützungszusagen an die Ukraine erfüllen", versichert sie. Selenskijs Reise nach Brüssel war allerdings ein deutliches Zeichen des Zweifels und der Sorge.

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