Afrikareise:Selbstbewusste Gastgeber

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Bundeskanzler Scholz wird am Flughafen mit Blumen begrüßt. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

In Nigeria und Ghana trifft der Bundeskanzler auf Regierungen, die derzeit von vielen Seiten umworben werden. Und auf Menschen, für die Deutschland kein Wunschziel ist.

Von Paul Munzinger, Abuja

Nigeria ist für viele Deutsche ein exotisches Land, über das sie ein paar Dinge wissen und ein paar Dinge zu wissen glauben. Das Beruhigende ist: Andersherum ist es genauso. Der nigerianische Comedian Godwin Komone alias Gordons zum Beispiel besuchte Berlin im vergangenen Jahr und berichtete der Zeitung The Punch hinterher von den Erkenntnissen seiner Reise. Vor allem habe er gelernt, gab er zu Protokoll, dass man in Deutschland nicht einfach ohne Ankündigung bei fremden Leuten aufkreuzen könne. Statt einen hereinzubitten, riefen die Deutschen die Polizei.

Noch befremdeter war Komone von einem Abendessen, zu dem er eingeladen war. Einige der Gäste seien nackt erschienen, berichtete er, angeblich aus religiösen Gründen. Doch für ihn habe es sich mehr nach einer Orgie angefühlt. Was Nigeria sich von Deutschland abschauen könne, wurde Komone auch gefragt. Seine, aus Sicht deutscher Lehrerinnen und Lehrer womöglich nur bedingt zustimmungsfähige Antwort: die außergewöhnlich gute Bezahlung des pädagogischen Personals. Wenn er sich den Pass eines beliebigen Landes auf der Welt aussuchen könne, würde er aber dennoch nicht den deutschen nehmen. Sondern den britischen.

Deutschland genießt einen zweifelhaften Ruf in Westafrika

So unscharf die Deutschland-Analyse dieses nigerianischen Comedians im Einzelnen sein mag, so ernst ist aus Berliner Sicht mindestens ein Punkt zu nehmen: Die so händeringend nach technisch, medizinisch und womöglich sogar komödiantisch versierten Fachkräften fahndende Bundesrepublik ist für gut ausgebildete Nigerianerinnen und Nigerianer bislang kein Wunschziel. Die liegen da, wo wie in Nigeria Englisch gesprochen wird: in Großbritannien, den USA, Kanada oder Australien.

Für Ghana, nach Nigeria das zweite Ziel von Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner inzwischen dritten Afrikareise, gilt das genauso. Das musste Finanzminister Christian Lindner Anfang des Jahres bei einem Besuch erfahren. Als er in einem Hörsaal in Accra fragte, wer von den Studentinnen und Studenten gerne in Deutschland arbeiten würde, gingen nur ein paar vereinzelte Hände in die Höhe. Und auch die mutmaßlich eher aus Mitleid mit dem verlegenen Minister aus Germany.

Deutschland hat in Teilen Afrikas nicht nur aufgrund der Sprachbarriere einen eher zweifelhaften Ruf. Sondern auch weil es - höflich ausgedrückt - als wenig gastlich gilt, gerade gegenüber Menschen aus Afrika. Das bestätigt inzwischen sogar eine Studie der EU. Scholz stellte am Sonntag nach seiner Ankunft in Abuja in Aussicht, dass Fachkräfte aus Nigeria künftig leichter nach Deutschland kommen können sollen. Die Frage, ob sie das auch wollen, ist damit allerdings noch nicht beantwortet.

Auf der politischen Ebene hat man durchaus registriert, dass die Bundesregierung sich ernsthaft um Afrika bemüht und gerade in Westafrika gewillt ist, aus dem Windschatten Frankreichs zu treten, das als Partner in der Region inzwischen kaum noch vermittelbar ist. Das trifft besonders auf Nigeria zu. Mit der Rückgabe der Benin-Bronzen hat Berlin ebenso gepunktet wie mit der verstärkten Reisetätigkeit fast des gesamten Kabinetts oder dem Einsatz speziell des Bundeskanzlers für einen afrikanischen Sitz in der G-20-Gruppe, der im September Wirklichkeit wurde. Registriert hat man in Afrika allerdings auch, dass es für die deutsche Charmeoffensive eines Krieges in der Ukraine inklusive akuter Energiesorgen bedurfte sowie des sich zuspitzenden und besonders in Afrika ausgetragenen Systemkonflikts mit China und Russland.

Afrikas Staaten werden selbstbewusster

Unüberhörbar ist deshalb auch das gewachsene Selbstvertrauen der zuletzt von vielen Seiten umworbenen afrikanischen Staaten. Wenn Deutschland nigerianisches Gas will oder darauf drängt, dass Abuja abgelehnte Asylbewerber zurücknimmt, dann sollen den schönen Worten und Gesten bitte auch Taten folgen. Das gilt für Visa-Erleichterungen und den Kampf gegen den Klimawandel, den Afrika nur zu einem winzigen Teil verursacht, aber zu einem großen Teil ausbaden muss.

Und das gilt für den Bereich Investitionen. Nigerias Präsident Bola Tinubu ermunterte Scholz auf dem G-20-Gipfel in Indien im September nachdrücklich, das von seiner Regierung geschaffene wirtschaftsfreundliche Umfeld zu nutzen und die Botschaft auch an Unternehmen wie Volkswagen weiterzutragen. Anders als die Konkurrenz aus China halten deutsche Firmen sich in Afrika häufig noch zurück - aus Angst vor den Risiken, die die allgegenwärtige Korruption und die fragile Sicherheitslage nicht nur in Nigeria mit sich bringen.

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Afrikas bevölkerungsreichster Staat und größte Volkswirtschaft hat Investitionen dringend nötig. Die Wirtschaft strauchelt, und die massiven Preissteigerungen für Lebensmittel und Benzin machen vielen Menschen schwer zu schaffen. Doch gleichzeitig weiß auch Nigerias Regierung, dass Deutschland wie alle westlichen Staaten in Afrika um seinen Einfluss kämpfen muss. Die Putschserie in der Sahelzone hat Europa und die USA wichtige Verbündete wie Mali und Niger gekostet; die im Sommer beschlossene Erweiterung der Brics-Gruppe um Äthiopien und Ägypten (Südafrika ist bereits dabei) dürfte die Gewichte in Afrika weiter zugunsten Chinas und Russlands verschieben. Die Verhandlungsposition kooperationswilliger Staaten wie Nigeria und Ghana gegenüber dem Gast aus Deutschland schwächt das sicher nicht.

Godwin Komone, der nigerianische Comedian, antwortete in besagtem Interview auf die Frage, ob es Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und Nigeria gebe: "Überhaupt nicht." Dem ließen sich zumindest zwei Ähnlichkeiten entgegenhalten: Beide Staaten sind Riesen auf ihren Kontinenten, aber global gesehen reicht es nicht für die erste Liga. Und in beiden Staaten sind Politiker am Steuer, die in einer engeren Zusammenarbeit mit dem jeweils anderen große Chancen sehen. Jetzt müssen sie nur noch tatsächlich zueinanderfinden.

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