Migration:Abschiebestation Ruanda

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Ein dicht besiedeltes Land: Blick auf die ruandische Hauptstadt Kigali. (Foto: Yasuyoshi Chiba/AFP)

Großbritannien möchte Flüchtlinge in das ostafrikanische Land verfrachten - obwohl dessen Regime Menschenrechte massiv missachtet. Doch in dem Abkommen der beiden Regierungen stecken noch viele andere Ungereimtheiten.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Zwölf Toiletten hat das kleine Hotel in Ruandas Hauptstadt Kigali, die Zimmer sind klein, um die zehn Quadratmeter, viel mehr Platz als für die zwei Betten ist hier nicht, die Dusche auf dem Gang. Etwa 20 Euro zahlten bisher die paar Touristen, die sich hierher verirrten und in den Bewertungen im Internet vor allem das Wlan lobten. Für die britische Regierung ist das bescheidene Hostel der ideale Ort, um mit ihrem neuen Programm zur Abschiebung von Asylbewerbern zu beginnen. "Unser Mitgefühl mag unendlich sein, aber unsere Fähigkeit, Menschen zu helfen, ist es nicht", sagte Premierminister Boris Johnson vergangene Woche.

Migranten, die mit dem Boot im Königreich ankommen, sollen bald nach Ruanda verschifft werden. Dort soll über ihr Asylgesuch entschieden werden. Bei einem positiven Bescheid dürfen sie aber nicht nach Großbritannien, sondern lediglich in Ruanda bleiben. An Orten wie dem Hostel in Kigali, das ausgerechnet den Namen "Hope" trägt.

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Der Plan hat sofort großflächige Empörung ausgelöst, zum Teil auch in Johnsons eigener Partei. Mehr als 160 Nichtregierungsorganisationen schrieben einen offenen Protestbrief, nennen das Abkommen "beschämend grausam". "Menschen, die vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen, verdienen Mitgefühl und Empathie. Sie sollten nicht wie Waren gehandelt und zur Verarbeitung ins Ausland gebracht werden", sagte Gillian Triggs, die stellvertretende UNHCR-Hochkommissarin für Flüchtlingsschutz. Menschenrechtler kritisierten, dass das Abkommen gegen das Asylrecht und die Genfer Konvention verstoße.

Das arme Land soll dafür 140 Millionen Euro erhalten

Großbritannien behauptet, mit der Abschiebung der Flüchtlinge gegen Schleuser und Kriminelle vorzugehen, die oft das Leben der Migranten in Gefahr bringen würden. Immer wieder sinken kleine Boote bei der Überquerung des Ärmelkanals. Johnson sagte aber auch, dass die Geflüchteten hohe Kosten verursachen würden, während sie in Großbritannien auf den Ausgang ihres Verfahrens warten. Ruanda soll für die Aufnahme einer noch ungenannten Zahl von wohl nur männlichen Migranten einen Pauschalbetrag von etwa 140 Millionen Euro erhalten. Damit sollen Unterkünfte gebaut und Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. In einem Land, das zu den am dichtesten besiedelten und ärmsten der Welt gehört. Einem Land, in dem es bereits jetzt Konflikte um das immer knapper werdende Land gibt.

Leise Kritik: Frank Habineza, Chef der Demokratischen Grünen Partei, gehört zu den wenigen Oppositionsabgeordneten im ruandischen Parlament. (Foto: Stephanie Aglietti/AFP)

"Wie kann ein reicheres, größeres Land nicht in der Lage sein, Flüchtlinge aufzunehmen, und denken, sie könnten sie einfach in Ruanda abladen, weil sie Geld haben. Das ist inakzeptabel", sagte Frank Habineza, der Vorsitzende der Demokratischen Grünen Partei in Ruanda. Viel mehr Kritik gab es nicht aus dem Land, weil dort nicht mehr Kritik möglich ist.

Ruanda wird seit Jahren wegen des autokratischen Führungsstils seines Präsidenten Paul Kagame und zahlreicher Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Auch die britische Regierung hatte sich im vergangenen Jahr noch besorgt gezeigt "angesichts der fortgesetzten Einschränkungen von bürgerlichen und politischen Rechten sowie der Medienfreiheit". Nun beschreibt Johnson Ruanda als eine Art Paradies. Wie es Flüchtlingen dort ergehen kann, zeigte ein Vorfall aus dem Jahr 2018: Da nahm die Polizei über 60 Flüchtlinge fest, nachdem sie vor einem UN-Gebäude in Kigali gegen ihre Rationen protestiert hatten. Sie wurden angeklagt wegen "Verbreitung falscher Informationen mit der Absicht, eine feindselige internationale Meinung gegen den ruandischen Staat zu erzeugen".

Nach Recherchen der kenianischen Zeitung The EastAfrican könnten die ersten Flüchtlinge bereits im Mai ankommen. Es gibt allerdings auch viele Ungereimtheiten, die Kosten für die Abschiebung sind immens, ein Abschiebeflug für abgelehnte Asylbewerber kostet derzeit mehr als 10 000 Euro pro Person, Großbritannien müsste Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen ausfliegen, gegen ihren Willen.

Die Eltern der Innenministerin kamen selbst aus Ostafrika

Nicht zuletzt deshalb gab es auch im britischen Innenministerium Widerstand gegen die Pläne. Ministerin Priti Patel sprach dennoch fröhlich von einer "Weltpremiere". Patels Vorfahren waren einst von Indien nach Uganda ausgewandert, ihre Eltern von dort nach Großbritannien. Es ist eine Migrationsgeschichte, die mit dem neuen Abkommen wohl nicht mehr möglich wäre. "Wie konnte jemand, dessen eigene Familie und Herkunft sowohl die Chancen als auch den Schmerz der Migration widerspiegelt, in einem so kalten, gefühllosen Keller landen?", fragte der somalische Kommentator Rashid Abdi auf Twitter. Ganz neu ist die Idee Patels auch nicht.

Die israelische Regierung hatte von 2014 bis 2017 mehrere Tausend Asylsuchende nach Ruanda abgeschoben. Als sich herausstellte, dass fast alle von ihnen in den Händen von Menschenschmugglern landeten und auf der Rückreise nach Europa der Sklaverei ausgesetzt waren, wurde das Programm beendet. Auch europäische Staaten denken seit Jahrzehnten immer wieder laut über Asylzentren in Afrika nach. Manchmal geht es dabei darum, den Widerspruch aufzulösen, dass Asylsuchende nicht dort um Asyl bitten können, wo sie verfolgt werden. Viel öfter aber darum, Flüchtlinge und Migranten von Europa fernzuhalten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron plante in Niger und Tschad Asylzentren, die aber über die Testphase nicht hinauskamen. In Ruanda finanziert Europa bereits Flüchtlingszentren, in denen Migranten aufgenommen werden, die auf dem Weg nach Europa in Libyen als Sklaven endeten. Zuletzt schlug die EU 2018 vor, sogenannte "regionale Ausschiffungsplattformen" zu gründen, in die Migranten schnell zurückgebracht werden könnten.

Andere afrikanische Länder lehnen einen solchen Handel ab

Die Afrikanische Union lehnte dieses Vorhaben ab. Ihre Mitgliedsländer haben meist wenig Interesse, den Flüchtlingsstrom nach Norden zu unterbinden. Meist gehen die Unzufriedenen, die der politischen Elite auf die Nerven gegangen sind. Jetzt leben sie im Ausland und schicken sogar noch Geld nach Hause, das manche Volkswirtschaft am Leben erhält. Länder wie Kenia und Ghana lehnten es nicht zuletzt deshalb ab, ein Abkommen mit Großbritannien zu unterzeichnen.

Anders sieht die Sache bei Kagame aus, er ist zuletzt wegen der Ermordung von Gegnern und der Unterdrückung fast aller Opposition zunehmend unter Druck gekommen, mit dem Abkommen kauft er sich letztlich frei, zumindest von Johnsons Regierung hat er keine Kritik mehr zu erwarten. Kagame ist dabei, die schmutzigen Dienstleistungen für Europa zu einem Geschäftsmodell zu entwickeln.

In Mosambik kämpfen ruandische Soldaten weit ab der Heimat gegen islamistische Terroristen, die meist oft nur unzufriedene Bewohner des nördlichen Landesteils sind. Dort baut der französische Energiekonzern Total ein 20-Milliarden-Euro-Projekt zur Gewinnung von Erdgas, von dem die Einwohner aber wenig bis gar nicht profitieren. Deshalb proben sie den Aufstand, der nun von Ruanda niedergeschlagen wird. Im Gegenzug hat die Regierung in Paris Investitionen in Ruanda versprochen. Auch von dort dürfte es künftig wenig Kritik geben.

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