Regierungsbildung:Jamaika-Verhandler hoffen auf Einigung am Wochenende

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  • Die Unterhändler für eine Jamaika-Koalition haben sich in der Nacht zunächst ergebnislos vertagt. Die Sondierungsgespräche sollen gegen Mittag wieder aufgenommen werden.
  • Vor allem bei Klimaschutz, Migration und dem Abbau des Solidaritätszuschlags konnten sich die Unterhändler nicht einigen.
  • Im Laufe des Vormittags äußern sich Vertreter aller Parteien kämpferisch. SPD-Chef Schulz kritisiert die Kanzlerin und die Verhandlungen heftig.

"Ab jetzt kann es eigentlich nur noch aufwärts gehen": Wie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) versuchen auch andere Vertreter der potenziellen Jamaika-Partner etwas Positives in der Unterbrechung der Sondierungen zu sehen. Er habe den Morgen als "Tiefpunkt der Verhandlungen" empfunden, sagte Günther.

In den frühen Morgenstunden verkündeten die Unterhändler, dass der Abschluss der Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen über ein Jamaika-Bündnis vertagt wurde. Die Parteispitzen konnten sich nach 15 Stunden Verhandlungen nur darauf einigen, die Gespräche um zwölf Uhr an diesem Freitag fortzusetzen. Eigentlich sollte in dieser Nacht entschieden werden, ob es eine Basis für die Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen gibt oder nicht.

Sondierungsgespräche in Berlin
:Jamaika-Sondierer wollen Soli abbauen

Darauf haben sich die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen bereits geeinigt. Da der Solidarpakt für Ostdeutschland 2020 ausläuft, entfällt auch der Grund für den Soli.

Von Cerstin Gammelin

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hofft auf einen Durchbruch am Wochenende. "Wir haben ganz bewusst keinen Endpunkt gesetzt", sagte sie dem Deutschlandfunk. "Ich glaube, die Befindlichkeiten sollten wir weglassen", empfahl sie. Wenn jeder auf pragmatische Lösungen Wert lege, "dann kann das schon noch gelingen". Der Chef der Liberalen Christian Lindner sagt nach der Unterbrechung der Verhandlung: "Dieses besondere Projekt darf nicht an ein paar Stunden scheitern."

Grünen-Chef Cem Özdemir erklärt nach der Runde die Bereitschaft seiner Partei, weiter konstruktiv an einem Erfolg der Sondierungen zu arbeiten. "Entscheidend ist das Ergebnis. Das Ergebnis muss stimmen", sagt er. "Wir gehen in die Verlängerung." Wie lange diese dauern werde, "hängt auch vom Schiedsrichter ab", sagt er, ohne den Namen von Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel zu nennen. Grünen-Chefin Simone Peter sagt: "Wir haben alle ein bisschen Schlaf notwendig."

Die Grünen bleiben nach Worten ihrer Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt trotz der erfolglosen Jamaika-Sondierungsrunde in der Nacht zum Freitag kompromissbereit. "Wir sind bereit zu sprechen und hoffen, dass es ein Ergebnis gibt", sagt Göring-Eckardt am Freitag in einer Twitter-Videobotschaft an die Grünen-Mitglieder. Zugleich schloss sie aber nicht aus: "Es kann immer noch sein: Es gibt kein Ergebnis."

Die CSU hat ihre für Samstag geplanten Gremiensitzungen zur Bewertung der Ergebnisse der Jamaika-Sondierungen im Bund abgesagt. Auf Twitter schreibt die Landesgruppe doppeldeutig von einem "Black Friday".

CSU-Chef Horst Seehofer räumt schwerwiegende Probleme bei den Sondierungen ein, will aber weiter und ohne Zeitlimit für ein Bündnis kämpfen. "Wir werden alles Menschenmögliche tun, um auszuloten, ob eine stabile Regierungsbildung möglich ist", sagte der bayerische Ministerpräsident am frühen Freitagmorgen. In vielen Themen gebe es inhaltlich noch keine ausreichende Annäherung, dies gelte auch für den Abbau des Solidaritätszuschlags.

Die CDU sagt die für Freitag geplante Bundesvorstandsklausur wegen der Vertagung der Sondierungsgespräche ab. Unionsfraktionschef Volker Kauder geht noch von einer weiteren Runde am Sonntag aus. Kanzleramtschef Peter Altmaier sagt: "Wir sind überzeugt, dass wir zusammenkommen können, wenn wir zusammenkommen wollen." Es sei ein hartes Ringen. Und es sei besser, die strittigen Fragen vor dem Ende der Verhandlungen zu klären als danach.

Angela Merkel gibt sich pragmatisch. Es sei "nicht ganz trivial die Enden zusammenzubringen", weil in den Sondierungsgesprächen bereits viele Detailfragen besprochen werden. Sie gehe mit dem Willen in die Verhandlungen, den Auftrag der Wähler zu repräsentieren. "Es lohnt sich, heute Runde zwei nochmal zu drehen", sagt die Kanzlerin über die Fortsetzung der Gespräche ab Freitagmittag.

SPD-Chef Schulz spottet über "Koalition des gegenseitigen Misstrauens"

SPD-Chef Martin Schulz betitelt das potenzielle Ergebnis der Sondierungen unterdessen als "Koalition des Klein-Klein", "Koalition des gegenseitigen Misstrauens" und "Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners". Eine Jamaika-Koalition werde kaum regierungsfähig sein und Europa nicht voranbringen, sagte er auf einer Pressekonferenz. Eine große Koalition im Bund schließt der gescheiterte Kanzlerkandidat erneut aus. Heftig kritisiert Schulz, dass Merkel wegen der Sondierungen nicht zum EU-Sozialgipfel in Göteborg gereist ist, auf dem Regierungen momentan über soziale Gerechtigkeit sprechen.

Im Hinblick auf das Stocken der Verhandlungen weist der SPD-Chef auf die Einigung von SPD und CDU in Niedersachsen hin: "Während feststeht, wann der Landtag Stefan Weil wieder zum Ministerpräsidenten wählen wird, schwampeln die Verhandler dieser Verhandlungskonstellation immer noch vor sich her."

Die Jamaika-Sondierungsrunde war in der Nacht mehrfach ins Stocken geraten. Die Chefunterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen mussten sich erneut mit Finanzthemen, Migration und Klimafragen beschäftigen. Immer wieder wurden die Gespräche unterbrochen. Auch ein völliges Scheitern wurde in Teilnehmerkreisen für möglich gehalten.

Es gab vor allem zwischen Grünen und CSU immer wieder Spannungen. Der grüne Unterhändler Jürgen Trittin hat weit nach Mitternacht "zum Stand der Sondierungen" den Link zu einem Song getwittert, in dem Jimmy Cliff die Zeile singt: "The harder they come, the harder they fall" (auf deutsch etwa: "Je härter sie sind, umso härter fallen sie").

Die Parteivorsitzenden und Chefunterhändler hatten bereits am Donnerstagnachmittag über mögliche Annäherungen bei den entscheidenden Punkten beraten. Zuvor hatte die Kanzlerin an die Kompromissbereitschaft aller appelliert: Wenn das gelinge, könne daraus "etwas sehr Wichtiges für unser Land entstehen in einer Zeit großer Polarisierung".

Union, FDP und Grüne wollten eigentlich in der Nacht zum Freitag die Sondierungen abschließen und entscheiden, ob sie ihren Parteien Koalitionsverhandlungen empfehlen. Die Generalsekretäre hatten sich immerhin bereits auf die Präambel eines möglichen Sondierungspapiers geeinigt.

Obwohl es einen ersten gemeinsamen Gesamtentwurf eines Sondierungspapiers gibt, hakt es an vielen Stellen. So sind sich die Sondierer zwar einig, dass der Soli in verschiedenen Schritten abgebaut werden soll. Aber das Datum des völligen Ausstiegs sowie der Umfang der schrittweisen Abbaus bleiben in dem Papier offen. Sie sind sich nur einig, dass sowohl der Soli-Abbau als auch die Entlastung für Familien Priorität haben sollten.

Streit gibt es vor allem um die Migrationspolitik

Zum Thema Klimaschutz bot die Union den Grünen an, bis 2020 mehr als die bisher angebotenen drei bis fünf Gigawatt Leistung an Kohlestrom aus dem Netz zu nehmen. Merkel soll stattdessen sieben Gigawatt ins Gespräch gebracht haben. Die Grünen fordern aber Abschaltungen in der Größenordnung von acht bis zehn Gigawatt, weil ihrer Meinung nach nur so die nationalen Klimaschutzziele 2020 erreicht werden können.

Jamaika-Verhandlungen
:Vertrauen? Nein. Aber so etwas wie Vertrautheit

Gut vier Wochen Sondierungsgespräche gehen zu Ende und die Beteiligten kommen ins Plaudern: Ein Grüner soll Merkel versehentlich "Chefin" genannt, ein anderer sie einnicken gesehen haben.

Von Mike Szymanski

Als schwierigster Punkt galt in der Nacht erneut die Migrationsdebatte. Die Grünen bestehen darauf, dass im März 2018 der derzeitige Stopp für den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus nicht verlängert werden soll. Union und FDP lehnen dies mit dem Hinweis ab, dass die Kommunen durch die zu erwartende hohe Zahl an zuziehenden Familienangehörigen überfordert wären. Dem widersprechen wiederum die Grünen.

Vor allem Grüne und CSU geraten immer wieder aneinander. Beide Parteien stehen unter Druck. Die Grünen-Spitze müsste am 25. November von einem Parteitag die Zustimmung zu formellen Koalitionsverhandlungen bekommen. In der CSU tobt vor der bayerischen Landtagswahl 2018 ein Machtkampf. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer warnte in der Nacht per Twitter: "Verlange nichts von Deinem Gegenüber, was er Dir nicht geben kann. Sonst bekommst Du am Ende gar nichts."

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