Elke Gryglewski kennt die dunklen Orte deutscher Geschichte. Sie ist Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Zuvor war die Politikwissenschaftlerin und Geschichtsdidaktikerin mehr als zwanzig Jahre im Haus der Wannsee-Konferenz tätig, zuletzt als Direktorin und Leiterin der Bildungsabteilung. Ein Gespräch über das Schweigen nach 1945 und die Möglichkeit eines AfD-Verbots.
SZ: Frau Gryglewski, vor wenigen Tagen haben Unbekannte an Ihrem Arbeitsplatz in Celle mehrere Fenster eingeworfen und eine Informationstafel aus der Wand gerissen. Was stand darauf?
Elke Gryglewski: Die bewegte Geschichte unseres Hauses. Sitz der Stiftung ist es geworden, weil es einst ein SS-Schulungszentrum war. Die Tafel ist gezielt rausgerissen worden, außerdem sind rund um das Haus größere und kleinere Fenster zerschlagen worden. Heute Morgen hatte ich ein Gespräch mit einem sehr netten, älteren Herren, der fragte: "Warum schreiben Sie da auch SS drauf, Dienststelle hätte doch gereicht." Aber ich kann doch nicht Geschichte weichzeichnen, bloß, weil sich jemand provoziert fühlen könnte.
In Meldungen war von "Vandalismus" und "Sachbeschädigung" die Rede, als handele es sich um eine demolierte Dorfbushaltestelle.
Ich finde nicht, dass das die richtige Wortwahl ist. Das ist nicht im Übermut oder aus einer Laune heraus passiert. Da steckt eine politische Intention dahinter.
Auf dem Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen haben Neonazis Selfies gemacht, volksverhetzende Aufkleber mussten entfernt werden. Beobachten Sie eine neue Qualität der Angriffe?
Auf jeden Fall. Es ist eine übergeordnete Institution der niedersächsischen Erinnerungskultur attackiert worden. Ich finde es traurig, dass man sich dabei ertappt zu sagen: In den Gedenkstätten rechnen wir inzwischen fast damit. Aber hier, das Herzstück? Das macht natürlich was mit mir und meinen Kolleginnen, auch mit dem persönlichen Sicherheitsgefühl. Ich habe 26 Jahre im Haus der Wannsee-Konferenz gearbeitet. Auch dort gab es Vorfälle. Besuch von uniformierten Rechtsextremen, den Versuch, das Haus vom Wasser aus anzugreifen, öfter mal Briefe. Aber kein Vergleich zu dem, was ich seit drei Jahren in Celle erlebe. Glücklicherweise gibt es gleichzeitig eine starke Zivilgesellschaft. Wir erfahren viel Solidarität.
Der Fall erregt auch deshalb Aufsehen, weil Sie zuvor zur Teilnahme an einer Demonstration gegen den Landesparteitag der AfD in Celle aufgerufen haben und nach dem Angriff sagten, dass Sie einen Zusammenhang vermuten.
Moment, ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich habe nie gesagt, dass jemand vom Parteitag unsere Scheiben eingeworfen hat. Aber es ist doch so: Diejenigen, die gewaltbereit sind, fühlen sich durch die Verschiebung der öffentlichen Meinung bestärkt und ermutigt. Der Aufruf zur Demonstration war keine Entscheidung, die ich allein getroffen habe. Wir haben uns als Einrichtung zuvor mit den Überlebendenverbänden, Fachkommissionen und Beiräten abgestimmt. Es gibt da stiftungsweit überhaupt keine Zweifel: Die Erinnerungskultur als solche und die Werte, für die wir Gedenkstätten stehen, werden von dieser Partei so sehr infrage gestellt, dass es unserem Stiftungszweck entspricht, dem etwas entgegenzusetzen und für unsere Demokratie einzustehen.
Ein wesentlicher Teil Ihrer Forschung beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland oder vielmehr deren Lücken. Angesichts der hohen Umfragewerte für die AfD: Beobachten Sie in Deutschland eine Kontinuität der Verführbarkeit durch autoritäre Ideen?
Da traue ich mir keine Antwort zu, das geht mir zu sehr ins Gefühlige. Aber was ich schon sehe, ist, dass die Defizite im Umgang mit der Vergangenheit nach 1945 bis heute spürbar sind. Das sind zum einen personelle Kontinuitäten, aber auch Jahrzehnte des Schweigens und Verdrängens. Das ist die Zeit, in der sich an den Stammtischen, in den Familien, bestimmte Bilder und Diskurse - rassistische, antisemitische - tradiert haben. Ich glaube, dass es insgesamt schwer ist, sich mit Schuld und Verantwortung auseinanderzusetzen.
Ein Politiker wie der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke macht keinen Hehl daraus, was er vorhat, sollte seine Partei eines Tages an die Macht kommen. In seinem Buch wünscht er sich einen "Zuchtmeister", der das Land wie einen Stall ausmisten soll. Da will sich einer unliebsamer Teile der Bevölkerung entledigen. Mit dem Wissen um den Aufstieg der NSDAP: Sollte die AfD verboten werden?
Ich kenne mich nicht im Detail aus mit den damit verknüpften juristischen Fragen, aber ich tendiere bei rechtsextremen Parteien immer eher in Richtung Verbot. Weil ich an meine Oma denken muss, die überzeugt war: Was im Parlament gesagt wird, muss doch okay sein, also kann ich es auch sagen. Und ich finde, im Bundestag werden heute wieder Dinge gesagt, die so grenzüberschreitend sind, dass ich sie nicht wiederholen will. Wie Frau Weidel über muslimisch geprägte Frauen gesprochen hat, macht deutlich, dass die AfD an die Idee einer weißen, homogenen Gesellschaft anknüpft. Und so war die Gesellschaft ja noch nie, auch in den Zwanziger- und Dreißigerjahren nicht, da brauchen Sie sich nur meinen Nachnamen anschauen.
Gehen Sie an diesem Wochenende zur Demonstration?
Natürlich. Wir haben ein wunderbares Banner drucken lassen: "Aus der Geschichte lernen heißt Demokratie verteidigen". Es berührt mich sehr, wenn mir ein Rabbiner aus Hannover schreibt, dass er trotz Schabbat an der Demonstration teilnehmen wird. Wenn mir Shaul Ladany, der Bergen-Belsen und das Olympia-Attentat von München überlebt hat, schreibt, dass er schockiert ist. Um diese Menschen geht es, das ist die vulnerable Gruppe. Allein deswegen müssen wir dort sein, es ist unser Auftrag.