Putins Feinde:Tod im Schatten des Kreml

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Noch heute wird an dem Ort, wo Boris Nemzow erschossen wurde, an den Oppositionspolitiker erinnert. (Foto: Alexander Zemlianichenko/dpa)

Immer wieder fallen Kritiker Putins "unglücklich" aus dem Fenster - oder werden gleich auf offener Straße erschossen. Was Feinden des russischen Präsidenten in den vergangenen Jahren zugestoßen ist.

Von Nicolas Freund und Matthias Kolb

Der Absturz des Privatflugzeugs von Jewgenij Prigoschin, bei dem neben dem Wagner-Chef auch Dmitrij Utkin, ein Mitgründer der Söldnertruppe, ums Leben gekommen sein soll, ist nur der jüngste spektakuläre "Unfall" in einer langen Reihe von Unglücken aller Art, die Gegnern des russischen Präsidenten Wladimir Putin zugestoßen sind. Vor allem, seitdem am 24. Februar 2022 der vollständige Angriff auf die Ukraine begann, sind mehrere Kritiker der Invasion unter merkwürdigen Umständen ums Leben gekommen. Experten vermuten, dass Russlands Geheimdienste verantwortlich sind und Putin, einst selbst beim KGB, das Vorgehen mindestens billigt.

Da wäre etwa der Vorstandschef des russischen Ölkonzerns Lukoil, Rawil Maganow, verstorben am 1. September 2022 nach einem Sturz aus dem Fenster eines Moskauer Krankenhauses, wie die Staatsagentur Interfax berichtet. Lukoil hatte im März 2022 zum "sofortigen Ende des bewaffneten Konflikts" mit der Ukraine aufgerufen. Russische Medien sprachen von Suizid, da der 67-Jährige neben der Diagnose Herzprobleme auch an Depressionen gelitten haben soll. Anderswo wurden Quellen zitiert, wonach Maganow beim Rauchen ausgerutscht und dann aus dem sechsten Stock gefallen sei.

Kurz nach Kriegsbeginn sterben auffällig viele Oligarchen

Am 10. September 2022 wird Iwan Petschorin tot im Meer nahe Wladiwostok gefunden. Der 39 Jahre alte Manager soll betrunken von seiner Luxusyacht gefallen sein. Er war laut Euronews direkt Putin unterstellt und mit der Modernisierung der Luftfahrtindustrie sowie der Erschließung von Bodenschätzen in den russischen Arktisgebieten beauftragt.

Schon vorher hatte es eine Reihe mysteriöser Todesfälle unter russischen Oligarchen gegeben. Am Tag nach Beginn der Invasion wurde Alexander Tjuljakow erhängt in der Garage seines Anwesens gefunden. Der 61-Jährige war zuletzt Vize-Generaldirektor von Gazprom. Medienberichten zufolge waren an Tjuljakows Körper Spuren von massiver Gewalt zu sehen, was für eine Inszenierung des mutmaßlichen Suizids sprechen würde. Im Garten seines Hauses im spanischen Lloret de Mar wird am 19. April 2022 die Leiche von Sergej Protosenja gefunden, offenbar erhängt; auch die Ehefrau und die 18 Jahre alte Tochter sind tot. Russischen Medien zufolge hat der ehemalige Manager die Familienmitglieder mit einer Axt und einem Messer getötet. Allerdings wurden an den mutmaßlichen Tatwaffen keine Fingerabdrücke gefunden - und Sohn Fedor, der nicht in Spanien dabei war, hält die These vom erweiterten Suizid für undenkbar. Auch in Indien, Frankreich und Großbritannien sind seit Februar 2022 russische Geschäftsleute ums Leben gekommen.

Am 16. Februar 2023 dann stürzt Marina Jankina, eine hochrangige Mitarbeiterin des russischen Verteidigungsministeriums, aus dem 16. Stock eines Hochhauses in Sankt Petersburg. Sie war im Ministerium zuständig für die Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine. Pjotr Kutscherenko, Russlands Vize-Wissenschaftsminister, stirbt am 20. Mai 2023 auf dem Rückflug von Kuba nach Moskau. Der 46-Jährige soll Putins Krieg als "faschistische Invasion" kritisiert haben.

Seit Jahren werden Kritiker Putins oft geradezu hingerichtet

Neu sind diese Todesfälle von mehr oder weniger offenen Gegnern des russischen Präsidenten und seines Regimes nicht. Seit Jahren werden Kritiker Putins oft geradezu hingerichtet. Am 7. Oktober 2006, an Putins 54. Geburtstag, wird Anna Politkowskaja im Treppenhaus vor ihrer Wohnung erschossen. Die Journalistin der Zeitung Nowaja Gaseta hatte kritisch aus dem Krieg in Tschetschenien berichtet und Putin sowie dem Geheimdienst vorgeworfen, ein autoritäres Regime errichten zu wollen. Der Schütze und die angeblichen Komplizen, die meisten von ihnen Tschetschenen, wurden zu Haft im Straflager verurteilt, die Hintermänner und Auftraggeber sind aber bis heute unbekannt.

Fast dasselbe Muster wiederholt sich 2015 bei dem Mord an dem Oppositionspolitiker Boris Nemzow: Wie Politkowskaja wird er von mehreren Kugeln getroffen, allerdings nicht zu Hause, sondern auf einer Brücke direkt am Kreml, also an einem der eigentlich sichersten Orte in Russland. Es gibt sogar Aufnahmen einer Überwachungskamera. Wie bei dem Anschlag auf Politkowskaja wurden angebliche tschetschenische Auftragskiller verantwortlich gemacht, aber nie aufgeklärt, wer der Auftraggeber war. Der Tatort im Schatten des Kreml sendete, wie der Mord an Putins Geburtstag, eine unmissverständliche Botschaft.

Kaum subtiler waren die Morde und Mordversuche an Kremlkritikern mit verschiedenen Giftstoffen. Ebenfalls 2006, nur kurz nach den Schüssen auf Politkowskaja, wird in London der russische Ex-Agent Alexander Litwinenko mit dem radioaktiven Stoff Polonium-210 vergiftet und starb im Krankenhaus. Auch er hatte Putin und den Geheimdienst FSB immer wieder kritisiert. Wie manche Exilrussen sagen, ist es für Gegner des Kreml besonders gefährlich, wenn sie in Geheimnisse eingeweiht sind.

Für viel Aufsehen sorgt zwölf Jahre später ein weitere Giftanschlag auf einen ehemaligen russischen Geheimdienstmitarbeiter in Großbritannien: Sergej Skripal und dessen Tochter Julia wurden in Salisbury mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet. Weil die Attentäter aber sehr dilettantisch vorgegangen waren, konnten sie von den britischen Ermittlern als russische Agenten identifiziert werden. Moskau stritt alles ab und versuchte, eine absurde Geschichte über ein angeblich homosexuelles russisches Paar auf Urlaub in England zu lancieren.

Eine Aufnahme von Anatolij Tschepiga und Alexander Mischkin, den beiden Männern, die von der britischen Polizei im Zusammenhang mit dem Giftanschlag in Salisbury gesucht wurden. (Foto: AFP)

Im folgenden Jahr wird im Berliner Tiergarten der Georgier tschetschenischer Abstammung Selimchan Changoschwili von einem Auftragsmörder erschossen. Changoschwili hatte im Kaukasus gegen die russische Armee gekämpft. Der Täter wurde noch vor Ort festgenommen - und wie auch bei den anderen Morden stritt der Kreml jede Beteiligung ab.

2020 wird erneut mit Gift ein Mordanschlag verübt, diesmal auf den prominenten russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, den er auch dank einer Behandlung in Deutschland knapp überlebt. Seit seiner Rückkehr nach Russland ist Nawalny in einem Straflager inhaftiert.

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Und es gibt noch viele weitere Dissidenten, Oppositionelle und Kreml-Kritiker, deren genaue Todesumstände nie geklärt wurden. Bei all diesen Morden und Todesfällen gibt es vor allem eine Gemeinsamkeit: Selbst wenn nur ein Teil von ihnen wirklich im Auftrag der russischen Führung geschah, machen sie dennoch klar, dass den Herrschern im Kreml das Leben eines Menschen nicht viel wert ist.

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