Mordanschläge:Spuren der Gewalt

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Der frühere russische Doppelagent Sergej Skripal - hier als Angeklagter 2006 in Moskau - wurde zwölf Jahre später Opfer eines Giftanschlags. (Foto: Reuters)

Immer wieder werden Kreml-Gegner Ziel von Attentaten. Und immer wieder führen Hinweise zu den Mächtigen in Moskau.

Von Daniel Brössler

Als Bundesaußenminister Heiko Maas neulich in Moskau war, sprach er von "Klärungsbedarf" - was noch vorsichtig formuliert war. Die deutsch-russischen Beziehungen werden dieser Tage schwer belastet durch einen Mord, der sich am 23. August 2019 im Berliner Tiergarten ereignet hat. Selimchan Changoschwili, ein Georgier tschetschenischer Herkunft, der einst im Kaukasus gegen die Russen gekämpft hatte, war von einem Auftragskiller erschossen worden. Der mutmaßliche Mörder ist Russe, sitzt in Berlin in Haft und schweigt. Die Bundesanwaltschaft geht aber davon aus, dass "staatliche Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation" ihm den Mordauftrag erteilt haben. Dieser Vorwurf, fertigte der russische Außenminister Sergej Lawrow seinen Kollegen Maas ab, sei "haltlos".

Mittlerweile ist es fast schon fürchterliche Routine. Wenn Oppositionelle oder sonstige Gegner der russischen Staatsmacht im In- und Ausland Anschlägen zum Opfer fallen, fehlt es auffallend oft nicht an Spuren, die zu den Mächtigsten in Moskau führen. Dennoch streitet die russische Führung regelmäßig jede Verantwortung ab. Ein perfekter Mord aus dieser speziellen Perspektive dürfte einer sein, der einerseits offizielle Unschuldsbeteuerungen erlaubt, andererseits den Gegnern des Kreml doch Angst macht.

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Ganz in diesem Sinne veranlasste die Nachricht vom Giftanschlag auf den früheren russischen Doppelagenten Sergej Skripal im britischen Salisbury Anfang März 2018 einen TV-Moderator im staatlichen Ersten Kanal zu einer "rein pädagogischen" Warnung. "Der Beruf des Verräters ist einer der gefährlichsten der Welt", sinnierte er. Kaum einem sei es vergönnt, einen ruhigen Lebensabend zu genießen. Im Fall Skripal war ein Nervengift der in der Sowjetunion entwickelten Nowitschok-Gruppe zum Einsatz gekommen; die russische Regierung stritt ungeachtet internationaler Empörung jede Verantwortung ab.

Die Kreml-Führung leitet ein eisernes Prinzip: Nur nichts zugeben

Der Anschlag, den Skripal und seine Tochter überlebten, wurde allerdings aus russischer Sicht zum Debakel, weil die Täter geradezu grotesk ungeschickt vorgegangen waren. Die britische Polizei konnte sie mithilfe der Aufnahmen von Überwachungskameras ausfindig machen und veröffentlichte zwei Namen: Alexander Petrow und Ruslan Boschirow - Tarnidentitäten, unter denen die beiden Männer eingereist und auch wieder nach Moskau zurückgeflogen waren.

In einem denkwürdigen Interview präsentierte der russische Propagandasender RT die beiden wenig später als schwules Pärchen, das in England auf Einkaufstour gewesen sei, um Fitnessgeräte zu erwerben, und den Ausflug nach Salisbury nur wegen einer Schwäche für anglikanische Kathedralen unternommen habe. Mit dem russischen Militärgeheimdienst GRU hätten sie nichts zu tun. Der absurde Auftritt führte in Russland zu vielen Lachern und in westlichen Hauptstädten zur Frage, ob Präsident Wladimir Putin sich lustig machen wolle über die Weltgemeinschaft. Journalisten enttarnten die Männer dann rasch als die GRU-Agenten Anatolij Tschepiga und Alexander Mischkin.

Der Anschlag mit einem Nervenkampfstoff auf den einstigen Doppelagenten Sergej Skripal im März 2018 in Salisbury sorgte für ernste Spannungen zwischem London und Moskau. (Foto: Ben Stansall/AFP)

Die russische Regierung blieb allerdings auch in diesem Fall beim eisernen Prinzip, nichts zuzugeben. Die unbedingte Loyalität, wie sie offenbar auch der Tatverdächtige im Tiergarten-Mord an den Tag legt, ist dabei eine auf Gegenseitigkeit. Bis heute sitzt Andrej Lugowoj, Hauptverdächtiger der Ermordung des Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko 2006 in London, als Abgeordneter im Parlament. Litwinenko war in einem Londoner Krankenhaus qualvoll an einer Vergiftung mit dem radioaktiven Stoff Polonium 210 gestorben. Zuvor hatte er sich mit Lugowoj und dem Geschäftsmann Dmitrij Kowtun auf eine Tasse Tee in einem Londoner Hotel getroffen. Ermittler konnten eine regelrechte Polonium-Spur nachverfolgen, die die beiden hinter sich hergezogen hatten.

Nicht nur wegen des Falls Litwinenko ist das Jahr 2006 russischen Oppositionellen in düsterer Erinnerung. Am 7. Oktober wurde die Journalistin Anna Politkowskaja vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen. In ihren Artikeln hatte sie die Zustände in Tschetschenien, aber auch in anderen Teilen Russlands angeprangert. Über Wladimir Putin schrieb sie: "Er rechnet ab mit denen, die sich allzu aufmüpfig gebärden, erstickt Meinungsvielfalt und Freiheit im Keim." In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung wies Putin damals jeden Verdacht einer staatlichen Verstrickung zurück. "Dieses schreckliche Verbrechen fügt Russland viel moralischen und politischen Schaden zu", beklagte er. Die Ermordung Politkowskajas schade der russischen und insbesondere auch der tschetschenischen Führung erheblich mehr, als ein Zeitungsartikel es könne.

Der Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko ist 2006 in einem Londoner Krankenhaus qualvoll an einer Vergiftung mit dem radioaktiven Stoff Polonium 210 gestorben. (Foto: Reuters)

Die Befürchtung, dass Oppositionelle gefährlich leben, hat sich seit 2006 allerdings wiederholt bestätigt. Am Abend des 27. Februar 2015 wurde in Sichtweise der Kreml auf der Großen Moskwa-Brücke einer der prominentesten Kritiker Putins, der einstige Vizeministerpräsident Boris Nemzow, erschossen. Als Täter ermittelte die Polizei mehrere Tschetschenen. Drei wurden 2017 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Nemzows Familie und auch Oppositionelle bezweifeln allerdings, dass der Mord aufgeklärt ist. "Die politische Verantwortung für die Ermordung gehört direkt dem Kreml und Wladimir Putin selbst", sagte im Februar Nemzows Freund Wladimir Kara-Mursa.

© SZ vom 21.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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