Dass es inzwischen Bootcamps gibt, um Politiker und Politikerinnen fit für den Wahlkampf in sozialen Netzwerken zu machen, zeigt: Facebook ist ein Faktor im Machtgefüge der Republik geworden - zumal im Wahljahr. Analog ist dem Wähler die politische Topografie Deutschlands vertraut - digital ist sie weniger überschaubar. Mit einer großen Datenrecherche hat die SZ über Monate daran gearbeitet, das zu ändern. Was steckt hinter dem Phänomen Filterblase? Welchen Einfluss hat sie auf den Wahlkampf? Und wie agieren die Parteien, die eine Chance auf Einzug in den Bundestag haben, und ihre Anhänger auf Facebook? Um diese Fragen zu beantworten, wurden eine Million öffentliche Likes von Nutzern untersucht, die auf den Partei-Seiten interagiert haben ( mehr über die Recherche erfahren Sie hier).
Auf Basis dieser Daten wurden unter anderem Ranglisten der populärsten Seiten jedes Parteimilieus erstellt. Mit ihnen lässt sich decodieren, welche Facebook-Seiten etwa bei Nutzern aus dem AfD-Umfeld besonders beliebt sind - und wie sich die Vorlieben bei den Parteien voneinander unterscheiden. In verschiedenen Analysen ergibt sich so, was das Milieu einer Partei auf Facebook charakterisiert, welche Überschneidungen und welche Trennlinien es entlang des politischen Spektrums von AfD bis Linkspartei gibt. So lässt sich zwar keine Aussage über die Interessen und Präferenzen von Parteianhängern oder Wählern in der analogen Welt treffen - aber die politische Großwetterlage auf Facebook durchaus untersuchen.
Es gibt keine Filterblasen - aber die AfD ist in ihrer Echokammer weitgehend isoliert
Spätestens seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten gilt die Filterblase als etwas Bedrohliches - für den Einzelnen und für die Gesellschaft, das demokratische Miteinander und das politische System. 2011 prägte der Internetaktivist Eli Pariser den Begriff der Filterblase und warnte davor, dass wir von Firmen wie Google oder Facebook auf unsere persönliche Vorlieben zugeschnittene Newsfeeds präsentiert bekommen. Was zunächst ein nutzerfreundlicher Service ist, hat fatale Folgen: Innerhalb einer solchen Blase, schreibt Pariser, brauche man sich nicht mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, sondern verharre isoliert in einer Weltanschauung.
Voneinander abgeschottete Filterblasen in dieser strengen Deutung gibt es der Datenauswertung zufolge auf Facebook um die deutschen Parteien herum praktisch nicht. Denn wie die dichten, fast spinnennetzartigen Verbindungen in der Netzwerk-Grafik zeigen, gibt es zwischen fast allen Milieus um die Parteien Verbindungen. Allein die Sphäre der Alternative für Deutschland (AfD) auf der rechten Seite der Grafik erscheint vergleichsweise isoliert. "Der Großteil der Bevölkerung steckt nicht in einer Filterbubble", sagt die Professorin Katharina Kleinen-von Königslöw von der Universität Hamburg, die insbesondere zu digitalisierter Kommunikation forscht. "Abgespalten ist nur die AfD." Im Netzwerk ist das auch deswegen aussagekräftig, weil sich räumliche Nähe nach dem Grad der Verbundenheit richtet:
Diese besondere Stellung der AfD lässt sich mit dem Bild der Echokammer, in der bestimmte Meinungen stetig widerhallen, besser fassen als mit dem einer abgeschlossenen Filterblase. Eine Echokammer nutzen Tonstudios, um einen Halleffekt zu erzeugen. Auf das Internet übertragen beschreibt es einen abgegrenzten Bezugsraum, in dem Aussagen im Inneren verstärkt werden. "Dieser Begriff ist realitätsnäher", sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Hochschule für Politik München (HfP). "Informationen bewegen sich innerhalb dieser Echokammern schneller. Die Meinung der eigenen Gruppe ist präsenter als die Gegenmeinung."
Dass sich in der Auswertung der 100 im AfD-Umfeld beliebtesten Facebook-Seiten weit mehr als die Hälfte, insgesamt 62 von 100 Seiten, bei keiner anderen Partei findet, passt ins Bild. Es ist ein Indikator dafür, wie eng die Verbindungen innerhalb dieses Milieus sind. Während es bei den anderen Parteien Querverbindungen zu potenziellen Koalitionspartnern oder auch ins gegnerische Lager gibt, rangieren bei der AfD die eigenen Landesverbände oben. Ohne Facebook wäre der Aufstieg der AfD so nicht möglich gewesen. Stärker als die anderen Parteien setzt sie und ihre Anhänger auf das soziale Netzwerk, um Inhalte zu transportieren und Anhänger zu mobilisieren. Facebook sei eigentlich als soziales Netzwerk angelegt, sagt Hegelich, und nicht für politische Zwecke, so dass es dafür leicht missbraucht werden könne. (Mehr über die Wahlkampfstrategien der Parteien im Netz lesen Sie hier.)
Die Stellung der AfD bei Facebook spiegelt auch die grundsätzliche Kritik der Partei und ihrer Sympathisanten an jenem Teil des politischen und medialen Systems, den sie als "Mainstream" diffamieren. Die AfD-Sphäre ist thematisch umgrenzt und inhaltlich abgeriegelt. Bei AfD-nahen Nutzern steuerten starke Einstellungen das Auswahlverhalten bei der Informationssuche, sagt Kleinen-von Königslöw: "Es gibt grundsätzlich eine Neigung, Posts auszuwählen, die die eigene Meinung bestätigen - das zeigt sich bei AfD-Anhänger besonders deutlich." Unter den 100 am häufigsten gelikten Seiten der User finden sich etliche Facebook-Seiten, die rechtspopulistische Propaganda betreiben. Sie haben, wie die Grafiken unten zeigen, die stärksten Ausschläge auf der AfD-Achse und weitere, wenn auch deutlich geringere, auf der der CSU. Die Größe des farbigen Feldes sagt damit auch aus, welche Bedeutung die gemessene Seite in welchem politischen Milieu hat und welche Verbreitung sie über verschiedene Parteimilieus hinweg hat - diese spielen beispielsweise lediglich bei AfD und CSU eine Rolle:
Auch die Ablehnung der sogenannten "Mainstream"-Medien manifestiert sich auf Facebook: In der AfD-Sphäre informiert man sich nicht bei Tagesschau, ZDF-heute-Nachrichten, Spiegel Online, der SZ oder Huffington Post Deutschland - all diese Medien rangieren in allen Parteien-Sphären außer der der AfD weit oben. Deren Fans lesen dagegen die Junge Freiheit, die Epoch Times, Russia Today Deutsch oder Compact - alte und neue Medien, die Nachrichten oft mit rechtem und antiliberalem Spin veröffentlichen. Dass diese Seiten in den Radar-Grafiken nur ein schmales Dreieck bei AfD und CSU beziehungsweise Linken bedecken, liegt an deren Bedeutungslosigkeit im Rest des politischen Spektrums.
Anders als etwa Spiegel Online, Tagesschau und Tageszeitung Die Welt, die sich relativ gleichmäßig auffächern:
Problematisch werde es, wenn sich Menschen ausschließlich über Facebook informierten, sagt Kleinen-von Königslöw. "Wenn man sich bei Facebook anmeldet, begibt man sich immer in eine soziale Situation." Dadurch würden neben der Informationsbeschaffung andere Motive verstärkt: Man will sich präsentieren, interessiert sich weniger für das, was in der Welt wichtig ist, als für das, was in der eigenen Gruppe zählt. "Zugespitzt gesagt ist das Vertrauen gegenüber den Leuten in meinem Netzwerk höher, dadurch, dass sie beispielsweise dieselbe Hunderasse mögen - weil sie mir ähnlicher sind und ich etwas von ihnen weiß."
Dennoch hat auch die AfD-Sphäre Verbindungen nach außen - die aber die Sonderstellung der Partei eher bestätigen denn in Frage stellen. Neben den Facebook-Seiten des Politikressorts von Focus Online und der Welt, die schlicht bei allen Parteien verbreitet sind, sind das vor allem internationale Vernetzungen, die die Verbundenheit der Rechten weltweit und damit die Internationalität gerade von Nationalismen offenbaren:
In der Grafik zeigt sich, dass die Seiten aller sechs Politiker (die österreichischen FPÖ-Politiker Norbert Hofer, Heinz-Christian Strache und Harald Vilimsky, US-Präsident Donald Trump, der Schweizer Ex-Pegidist Ignaz Bearth und die rechte französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen) von einem vergleichsweise hohen Anteil der User (sichtbar an der dunkleren Farbe) aus dem AfD-nahen Milieu gelikt werden. Etwas geringer ist die Anhängerschaft bei der CSU - weiter links spielen diese Politiker dann kaum mehr eine Rolle.
Die CSU ist die Brücke der politischen Mitte nach Rechtsaußen
Vor 30 Jahren gab der ehemalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß die Losung für seine Partei aus: "Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!" Vor weniger als zwei Jahren sagte dann Angela Merkel: "Wir schaffen das." Seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise im Sommer 2015 manövriert die Union zwischen diesen beiden Polen. Die CSU mit Parteichef Horst Seehofer an der Spitze hat einiges getan, um Strauß' Forderung postum gerecht zu werden. Geschadet hat das der CSU nicht: Die Stammwähler bleiben, oben drauf kommt Erfolg bei (rechts-)konservativen Wählern. Obwohl oder weil sie rechtspopulistisches Gedankengut verbreitet und es so unter Umständen salonfähig macht, wie Kritiker wie die konservative Publizistin Liane Bednarz der CSU vorwerfen.
Die SZ-Recherche legt nahe, dass Facebook-Nutzer aus dem christsozialen Lager dem Strauß'schen Mantra folgen: Sie machen sich nach rechts möglichst breit, so dass sie im Mitte-links-Ballungsraum der etablierten Parteien (siehe Seite 3) der Rechtsausleger sind. In dem auf den Facebook-Daten basierenden Netzwerk steht rechts von der CSU nur die AfD, mit der keine andere Partei koalieren will. Die Überschneidungen sind deutlich. Mehr als 30 Seiten auf den jeweiligen Top-100-Listen finden sich bei CSU und AfD - bei den meisten anderen Parteien sind es deutlich weniger, mit der CDU etwa hat die AfD nur 19 gemeinsame Seiten, mit der SPD gar nur sieben. Deswegen ist auch die Grafik auf der rechten Seite am farbigsten - hier wird für beispielhaft ausgewählte Seiten die Popularität im jeweiligen Parteimilieu über mehr oder weniger intensive Farbgebung angezeigt. Dass beispielsweise die Felder bei Frauke Petry oder Horst Seehofer sowohl in der CSU- wie auch in der AfD-Spalte dunkel hervorstechen, ist bezeichnend:
Der gemeinsame politische Nenner von AfD und CSU ist das Misstrauen gegenüber einer liberalen Asyl- und Einwanderungspolitik. Die AfD und die CSU sind auch die beiden Parteien, deren Facebook-Nutzer die meisten Seiten gemeinsam haben, die in keiner anderen Parteiwelt eine größere Rolle spielen. Darunter fallen mehr oder weniger offen rechte Seiten wie "Bürger sagen Nein", "Ein Prozent für unser Land", "Multikulti? Nicht mit uns". Der längst als Unwort des Jahres gebrandmarkte Nazi-Begriff "Lügenpresse" dient als Name einer Seite mit mehr als 80 000 Followern. Hier entstehen Echokammern, in denen menschenfeindliche Hetze und Aufrufe zur Gewalt den Grundton bestimmen - etwa wenn gefordert wird, "dem Dreckspack" könne man "gar nicht genug in die Fresse hauen" oder das "verblödete Islamisten Pack am nächsten Baum" aufzuhängen.
CSU und AfD mögen sich übrigens auch gegenseitig: Fast einem Fünftel der AfD-nahen Facebook-Nutzer gefällt die CSU (Platz 9 der Top-100-Seiten), während unter CSU-Nutzern die AfD (Platz 6) sogar beliebter ist als die CDU auf Rang 10. Ähnlich sieht es, zumindest auf Seiten der CSU, beim Personal aus, denn wer sich im CSU-Milieu bewegt hat, dem gefällt auffallend häufig auch AfD-Chefin Frauke Petry, die hier sogar beliebter ist als Kanzlerin Angela Merkel. In den Grafiken unten haben Petry und Merkel erwartungsgemäß die stärksten Ausschläge bei ihren eigenen Parteien, die zweitstärksten auf der CSU-Achse - wobei der bei Merkel weniger stark ausgeprägt ist als bei Petry.
Rechts die AfD, dann die CSU - und daneben ein Mitte-links-Ballungsraum von CDU bis Linkspartei.
Der im AfD-Umfeld oft sogenannte "Mainstream", also die Mehrheitsmeinungen und ihre Repräsentanten, ist auf Facebook ein dichtes Netz, um das sich fünf Parteien gruppieren: CDU, FDP, SPD, Grüne und Linke. Am Rand dieses Ballungsraums liegt die CSU und noch weiter draußen die AfD. Die Forschung von Kleinen-von Königslöw bestätigt das. Die Professorin spricht von einer anders als in den USA wenig ausgeprägten Polarisierung, sondern von einer "sehr breiten Mitte", auch auf Facebook. Was diesen Ballungsraum prägt, dem auch die Christsozialen noch relativ nahe stehen, sind Seiten, auf die sich alle einigen können - außer Anhänger der AfD:
Diese Seiten sind in erster Linie vor allem die großer Medien (Tagesschau, Spiegel Online, ZDF-heute-Nachrichten, Süddeutsche Zeitung, Stern) oder Satireseiten ( Postillon, heute show). Sie landen in den Milieus fast aller Parteien weit oben in den Top 100 der beliebtesten Seiten. "Im Bereich der gesellschaftlichen Mitte gibt es keine parteipolitisch orientierte Auswahl von Informationen", sagt Kleinen-von Königslöw - sprich, der Grünen- oder CDU-Wähler konsumiert nicht gezielt ein linksliberales oder konservatives Medienmenü, sondern bedient sich am Büfett. Einen ähnlich hohen Stellenwert haben die Bundeskanzlerin, der Facebook-Auftritt der Bundesregierung und Ex-US-Präsident Barack Obama: Alle schaffen es im Umfeld fast aller Parteien in die Top 100, außer bei AfD und Linkspartei.
Wesentliches gesellschaftspolitisches Bindemittel sind darüber hinaus Facebook selbst (auch Facebook hat eine Facebook-Präsenz, mit mehr als 180 Millionen Likes), Konsum (die Facebook-Seite von Amazon rangiert bei sechs von sieben Parteien weit oben) und Fußball: Bei sechs Parteien finden die Nutzer Borussia Dortmund gut. Bei fünf Parteien (außer AfD und Linken) gefallen den Nutzern die Fußball-Nationalmannschaft, Torwart Manuel Neuer und Stürmer Thomas Müller. Deren Verein, der FC Bayern, findet sich nur bei vier Parteien (CDU, CSU, FDP und SPD) in den Top 100. Ausgenommen sind auch bei diesen unpolitischen Seiten die Rechtspopulisten, deren inhaltlicher Fokus sehr stark von Migrations- und Asylpolitik dominiert wird und zumindest auf Facebook wenig Raum für andere Interessen und Neigungen lässt.
Verengt sich der Fokus auf die Schnittmengen einzelner Parteien, spiegeln sich politische Nachbarschaften in der analogen Welt (und mögliche Koalitionspartner) auch in den Facebook-Milieus wider. Messen lässt sich das unter anderem an den Seiten der Top-100-Listen, die sich bei den Parteien überschneiden. Die meisten Überlappungen zwischen zwei Parteien finden sich trotz der Nähe der CSU zur AfD bei der Union: 65 Prozent der am häufigsten gelikten Seiten haben die Schwesterparteien CDU und CSU gemeinsam.
Ähnlich schlägt sich politische Nähe auch im Muster der am häufigsten gelikten Seiten bei SPD und Grünen sowie Grünen und der Linkspartei nieder: Sie haben jeweils mehr als 50 Prozent der Top-100-Seiten gemeinsam. Meist verbirgt sich dahinter eine Mischung aus den Facebook-Auftritten der Parteigrößen, überregionalen Medien- sowie Satire-Seiten. Die Schnittmenge von SPD und Grünen ist die zweit-, die von Linkspartei und Grünen die drittgrößte. Große Gemeinsamkeiten gibt es auch zwischen CDU und FDP sowie zwischen CSU und FDP - sie stehen in der Auswertung der Überschneidungen bei gelikten Seiten verschiedener Parteien auf den Plätzen vier und fünf.
Insgesamt am konsensfähigsten unter allen Facebook-Seiten sind die Tageszeitung Die Welt und das Politikressort von Focus Online, die beide nicht nur von Linkspartei, Grünen, SPD, FDP, CDU und CSU, sondern auch von AfD-Nutzern verfolgt werden. Das gilt auch für die Seite nametests.com, die digitale Kalendersprüche zur geistigen Erbauung anbietet, etwa "Warte nicht auf das große Wunder, sonst verpasst du die vielen kleinen" und Antworten auf so zentrale Fragen wie "Welchen Namen würde Gott dir geben?" oder "Welches Gewürz bist du?" verspricht. Das eröffnet womöglich ganz neue, im Wortsinn küchenpsychologische Deutungen und ist zwar kein großer, aber immerhin doch ein gemeinsamer Nenner.