Wahlkampf:Polens Opposition ruft zum Marsch für die Demokratie

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Donald Tusk, der frühere Ministerpräsident und ehemalige EU-Ratspräsident, ist der Lieblingsfeind der regierenden PiS-Partei. (Foto: Damian Burzykowski/imago)

Hunderttausende Menschen wollen am Sonntag in Warschau gegen ihre Regierung auf die Straße gehen. Diese spricht von einer "Bedrohung" und reagiert mit einem Nazi-Vergleich.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Um zwölf Uhr mittags soll er beginnen, der "große Marsch". Aus dem ganzen Land sollen Menschen in die polnische Hauptstadt fahren und sich der Demonstration anschließen, zu der Donald Tusk schon im April aufgerufen hat: "Gegen Teuerung, Diebstahl und Lügen, für freie Wahlen und ein demokratisches, europäisches Polen." Der 4. Juni ist für Polen ein bedeutsames Datum. An diesem Tag fanden 1989 die ersten teilweise freien Wahlen statt, damit begann das Ende des kommunistischen Regimes in Polen.

Nun soll dieser Sonntag das Ende der rechtsnationalen PiS-Regierung einläuten. Und es scheint die Regierung selbst zu sein, die der Kundgebung mehr Teilnehmer beschert als gedacht. Donald Tusk, Mitbegründer und Vorsitzender der liberal-konservativen Bürgerplattform PO, ist der Lieblingsfeind der PiS-Politiker. Keiner wird mit so viel Hass überschüttet wie er. Und der frühere Ministerpräsident und ehemalige EU-Ratspräsident ist auch innerhalb der Opposition durchaus umstritten. Doch mit der sogenannten "Lex Tusk" scheint er neue Anhänger zu gewinnen.

Am Montag hatte Präsident Andrzej Duda ein Gesetz unterzeichnet, auf dessen Grundlage eine Untersuchungskommission eingerichtet werden kann, die russische Einflüsse ermitteln und verurteilen soll. Die PiS nennt es kurz "Anti-Putin-Gesetz". Doch man muss nur einen Blick auf die Präsentation des Gesetzes durch PiS-Politiker werfen, um zu erkennen, dass es eigentlich ein Anti-Tusk-Gesetz sein soll. Denn mit einem Foto Tusks illustrierte die PiS bei einer Pressekonferenz ihre Erklärungen zu dieser Untersuchungskommission.

Die Organisatoren erwarten 300 000 Demonstranten aus dem ganzen Land

Nicht nur in Polen sprachen Kritiker von einem undemokratischen Gesetz, das alle roten Linien überschreite. Umgehend verurteilten die US-Regierung und die EU-Kommission das Vorhaben, auch das Europäische Parlament befasste sich am Mittwoch damit. Zwar verkündete Präsident Andrzej Duda am Freitag, er wolle dem Sejm nun Änderungsvorschläge zum Gesetz unterbreiten. Doch den Zorn seiner Gegner milderte er damit nicht.

Das Gesetz über die Untersuchungskommission, deren Urteile dazu führen können, dass Menschen von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden, war für die polnische Opposition das Signal, sich dem Aufruf Tusks zur Großdemonstration am Sonntag anzuschließen. Mittlerweile erwartet die Bürgerplattform (PO) etwa 300 000 Menschen. Sie sollen aus dem ganzen Land anreisen. Sowohl die PO als auch die Partei Nowa Lewica (Neue Linke) organisiert Busse, mehrere oppositionelle Bürgermeister in ganz Polen haben dazu aufgerufen, nach Warschau zu fahren.

Doch es soll nicht nur ein Aufmarsch der Oppositionsparteien sein. Schon früh hatte etwa die Bürgerrechtsorganisation Akcja Demokracja erklärt, sich anzuschließen. Ebenso das Komitee zum Schutz der Demokratie (KOD), das schon nach dem Wahlsieg der PiS 2015 immer wieder gegen die Regierung protestiert hatte. Auch der landesweite Frauenstreik "Strajk Kobiet", der sich in Reaktion auf das strikte Abtreibungsrecht gegründet hat, will mitmachen.

Ein Video der PiS zieht Parallelen zwischen Demonstranten und Nationalsozialisten

"Es kommen eigentlich alle, die von der PiS in den vergangenen acht Jahren beleidigt und angegriffen wurden", sagt Jakub Kocjan. Der Jura-Doktorand ist einer der Vorsitzenden von Akcja Demokracja. "Mit der Lex Tusk hat die PiS gezeigt, dass es für sie keine Grenzen mehr gibt", sagt Kocjan. Er sieht sein Land in eine Autokratie abgleiten. "Diese Wahlen werden nicht fair sein", sagt er mit Verweis auf die Lex Tusk, aber auch auf die öffentlich-rechtlichen Medien, die als Propagandawerkzeug der Regierung dienen.

Wie stark die PiS bereits alle Regeln des Anstands hinter sich gelassen hat, zeigte ein Tweet in dieser Woche. Ein kurzes Video, unterlegt mit Fotos des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz, in dem die Deutschen im Zweiten Weltkrieg etwa eine Million Menschen ermordeten, legt den Vergleich aller Teilnehmer der Tusk-Demo mit deutschen Nazis nahe. Die Leitung der Gedenkstätte protestierte.

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Aktivist Kocjan hofft, dass die Demonstration "Energie" bringt und die Menschen ermutigt, zu den Wahlen im Herbst zu gehen. Denn viele, vor allem jüngere Menschen und Frauen seien ermüdet und desillusioniert, wollten sich von der Politik nur noch fernhalten. Sie gelte es zu mobilisieren.

Die Demonstranten rechnen bereits mit Gegenaktionen. Im polnischen Radio sagte einer der PiS-Vorsitzenden am Freitag, die Tusk-Demonstration sei "ein Versuch, einen großen Teil der Gesellschaft zu beleidigen". Er bezeichnete die Aktion als "Bedrohung". Tusk sei am 4. Juni 1989 auf der falschen Seite der Geschichte gewesen. Dass er dieses Datum nutze, könne man so verstehen, dass er die kommunistische Volksrepublik wiederherstellen wolle.

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