Eine Herabwürdigung Polens sei die neueste Gesetzesinitiative der polnischen Regierung, schreibt die Tageszeitung Gazeta Wyborcza. In der Rzeczpospolita ist die Rede von einem fatalen und antipolnischen Gesetz, das auch auf die Freiheit der Medien abziele. Die regierungsnahe Gazeta Polska hingegen schreibt von einer "Chance zur Demaskierung von Moskaus Einfluss in Polen". Kurz: Die rechtspopulistische Regierung hat dem Land ein neues Wahlkampfthema beschert.
Sie will eine "Kommission zur Untersuchung russischer Einflüsse auf die innere Sicherheit Polens in den Jahren 2007 bis 2022" einrichten. Am Freitag hatte das polnische Abgeordnetenhaus, der Sejm, dafür gestimmt. Am Montag kündigte Präsident Andrzej Duda an, das Gesetz unterzeichnen zu wollen. Erst danach soll es noch zum Verfassungsgericht gehen. Regierungskritiker sind sich aber bereits einig: Nichts an dieser Kommission ist verfassungsgemäß oder gar demokratisch. Auch der Ombudsmann für Bürgerrechte weist darauf hin.
Die Amtszeit von Donald Tusk soll zuerst untersucht werden
So lautstark wie die Schlagzeilen an diesem Dienstag daherkommen, so turbulent war auch die Sitzung im Sejm am Freitag. Foto- und Videoaufnahmen zeigen einen amüsierten Oppositionsführer Donald Tusk, wie er in den Sitzungssaal hinabschaut. Dort stehen Dutzende PiS-Abgeordnete und rufen zu ihm hinauf: "Nach Berlin! Nach Berlin!" Das ist nicht nett gemeint, ein PiS-Abgeordneter sagt am Rednerpult, Tusk gehöre ins Gefängnis.
Die Opposition nennt das Gesetz zur Einrichtung der Kommission nicht zufällig "Lex Tusk". Donald Tusk und die Jahre zwischen 2007 und 2014, in denen er Ministerpräsident Polens war, sollen nämlich zuerst untersucht werden. Zudem, so kündigte das Innenministerium an, werde die Kommission auch die Tätigkeiten verschiedener Medien beleuchten.
Tusk, der mit seiner Partei Bürgerplattform (PO) im Herbst gegen die Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) antritt, ist das Hauptziel von Schmutz- und Hasskampagnen. Am liebsten wird er als Diener Deutschlands und Russlands dargestellt, denn das vereint für PiS-Abgeordnete die schlimmsten Beleidigungen.
Die neue Kommission zur Untersuchung russischer Einflüsse könnte nun darauf abzielen, Tusk den Zugang zu Regierungsposten zu versperren. In Umfragen liegt die PO mit ihren Partnern aktuell bei 25,6 Prozent - und damit sieben Punkte hinter dem Regierungslager der PiS. Fällt die neue Kommission ein negatives Urteil, ist eine Sperre von bis zu zehn Jahren vorgesehen. Es könnte bei den Vorwürfen etwa um Rohstoffimporte aus Russland gehen, die es sowohl unter Tusks Regierung wie auch unter der Regierung der PiS gab.
Aus Brüssel und Washington kommen sofort warnende Stimmen
Beide Seiten rechnen sich gern gegenseitig vor, in wessen Amtszeit mehr importiert wurde. Beendet wurden die Einfuhren von Gas und Kohle jedenfalls erst nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Zehn Prozent des Ölbedarfs wurden noch 2023 aus Russland bezogen. Im Frühjahr berichteten polnische Medien, dass auch das in Polen beliebte Autogas LPG weiter aus Russland komme.
Auch Tusks Partei forderte schon einen Untersuchungsausschuss gegen die PiS, um deren russische Importe zu beleuchten. Wenn die PiS-Partei von Jarosław Kaczyński Tusk und seiner Bürgerplattform Russlandnähe vorwirft, so vergleichen wiederum Oppositionspolitiker und Regierungskritiker regelmäßig die Weltanschauung und Rhetorik der PiS mit der des Kremls. Doch die PiS als Regierungspartei sitzt nun am längeren Hebel. Im Juli könnte der Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnehmen. Die Opposition will darin nicht mitarbeiten.
Präsident Duda gab sich bei seiner Erklärung zur Einrichtung der Kommission betont staatsmännisch. Er verwies auf die USA, Frankreich und sogar auf Deutschland, wo ähnliche Ausschüsse russische Einflüsse auf die Innenpolitik aufarbeiten würden. Er habe zudem Premier Mateusz Morawiecki gebeten, den anderen Staats- und Regierungschefs zu empfehlen, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, der den russischen Einfluss auf europäischer Ebene und in den EU-Institutionen prüfen soll.
Die EU-Kommission reagierte bereits, jedoch anders als wohl von Duda gewünscht. Laut Justizkommissar Didier Reynders wird sie "nicht zögern, Maßnahmen zu ergreifen". Es gehe nicht an, dass Menschen von politischen Ämtern ausgeschlossen werden könnten, ohne sich juristisch dagegen wehren zu können. Schon am Montagabend hatte das US-Außenministerium erklärt, man sei besorgt, dass das neue Gesetz "Polens freie und faire Wahlen stören" könne.
Die Opposition hat nun jedenfalls einen Grund mehr, auf die Straße zu gehen. Für diesen Sonntag hat die Bürgerplattform eine Großdemonstration in Warschau angekündigt: "Gegen Teuerung, Diebstahl und Lügen. Für freie Wahlen und ein demokratisches, europäisches Polen."