Polen und die EU:Ablenkungsmanöver aus Warschau

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68,5 Millionen Euro Strafe kostet der illegale Betrieb des Tagebaus Turów Polen mittlerweile. Gezahlt hat das Land bisher nicht. (Foto: David W. Cerny/Reuters)

Polens Regierung legt einen Streit um einen Tagebau mit Tschechien nieder - und verspricht, eine EU-rechtswidrige Justizreform zurückzunehmen. Versöhnung? Das täuscht.

Von Viktoria Großmann, München

Auf einmal wirkten Polens Politiker sehr versöhnlich. Am Donnerstag kündigte der polnische Präsident Andrzej Duda an, er werde die sogenannte Disziplinarkammer am Obersten Gericht auflösen, die EU-Recht widerspricht, weil sie die Unabhängigkeit der Richter beschränkt. Gleichzeitig legte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit seinem tschechischen Amtskollegen Petr Fiala in Prag den Streit um den Braunkohletagebau Turów bei. Zeichen der Versöhnung, die der polnischen Regierung zugleich helfen könnten - so schien es -, sehr viel Geld zu sparen und auch zu bekommen. Denn derzeit muss Polen täglich 1,5 Millionen Euro an Strafzahlungen an die EU überweisen. Zudem blockiert die Kommission die Auszahlung von Hilfen aus dem Corona-Aufbaufonds - so lange, bis Polen wieder den Weg der Rechtstaatlichkeit einschlägt. Doch weder mit der Versöhnung noch mit dem Geldsparen ist es bei genauerer Betrachtung allzu weit her.

Sechs Jahre hatte der Streit mit Tschechien gedauert, zuletzt hatte der Europäische Gerichtshof den Betrieb des Tagebaus Turów im deutsch-tschechisch-polnischen Dreiländereck untersagt, weil er ohne Umweltverträglichkeitsprüfung stattfand. Bei den Anwohnern auf tschechischer Seite trocknet die Erde aus, der Grundwasserspiegel sinkt rapide. Eine halbe Million Euro Strafe täglich muss Polen für jeden Tag des illegalen Betriebs an die EU zahlen - was es nicht tut und auch weiterhin nicht tun will. Auf mittlerweile 68,5 Millionen Euro haben sich die Kosten summiert.

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Durch den nun mit der tschechischen Regierung geschlossenen Vergleich soll dieser Betrag zumindest nicht mehr wachsen. Der Vergleich mit den Tschechen kostet die polnische Regierung weitere 45 Millionen Euro. Sobald diese überwiesen sind, will Tschechien seine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zurückziehen - das sei "eine Sache von Stunden", erklärten die Ministerpräsidenten bei ihrem Treffen in Prag. Polen darf nun weiter Braunkohle abbauen, muss aber dafür Sorge tragen, dass den Anwohnern nicht noch mehr Grundwasser abgeschöpft wird.

Die EU bleibt skeptisch: Man reagiere nicht auf bloße Ankündigungen, heißt es

Die tschechische Greenpeace-Sektion nannte das Abkommen "skandalös", die Abmachungen zum Umweltschutz seien völlig unzureichend, ein Laufzeitende des Tagebaus sei nicht vereinbart. Der Betreiber möchte bis 2044 Kohle abbauen. Außerdem könne man einem Staat, der dauernd EU-Regeln bricht, ja wohl kaum vertrauen. Ein Misstrauen, das Premier Morawiecki noch am selben Tag beförderte, indem er erklärte, Polen werde die Strafzahlungen an die EU im Fall Turów weiterhin nicht leisten und juristisch gegen die Entscheidung des EuGH vorgehen.

In Brüssel wie in Polen wurde auch Präsident Dudas Ankündigung, die Disziplinarkammer aufzulösen, skeptisch aufgenommen. Die Kammer untergräbt die Unabhängigkeit der Justiz und wird deshalb von der EU als rechtswidrig angesehen. Er wolle einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung der Disziplinarkammer dem Parlamentspräsidium vorlegen, sagte Duda am Donnerstag in einer öffentlichen Erklärung. Damit solle die polnische Regierung eine Handhabe bekommen, "den Streit mit der Europäischen Kommission zu beenden", heißt es auf der Homepage des Präsidenten.

Duda wolle die EU bloß "beschwichtigen und verwirren", kommentiert die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Der Präsident sei "naiv", wenn er glaube, dass "niemand in Brüssel die Manipulation in seinem Projekt" bemerke. Aus Sicht von Regierungskritikern ist Dudas Vorschlag für eine Justizreform unzureichend. Verwirrend finden seine Ideen auch manche Regierungsmitglieder. Marcin Warchoł, stellvertretender Justizminister, erklärte, Dudas Vorschlag löse "die Probleme mit der EU nicht". Die von Duda angedachten Umbesetzungen von Richtern führten eher zu einer "Anarchie". Ein Mitarbeiter Warchołs aus dem Justizministerium erklärte zudem, dass Dudas Entwurf dem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts widerspreche, EU-Recht nicht als polnischem Recht übergeordnet anzuerkennen. "Der Präsident als Hüter der Verfassung sollte keine Lösungen vorschlagen, die gegen die polnische Verfassung verstoßen", zitiert die Zeitung Rzeczpospolita ihn.

In Brüssel gibt man sich von Dudas Äußerungen unbeeindruckt: "Wir reagieren nicht auf bloße Ankündigungen", sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Donnerstag. Der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Freund erklärte, mit der Abschaffung der Disziplinarkammer allein sei es ohnehin nicht getan: "Duda weiß, dass Polen die EU-Milliarden nur dann bekommen kann, wenn der Rechtsstaat wieder funktioniert." Die EU-Kommission müsse "auf die vollständige Umsetzung der EuGH-Urteile pochen".

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