Weltkriegsgedenken:Claudia Roth präsentiert Pläne für das Deutsch-Polnische Haus

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Eine Gedenkfeier des Deutschen Polen-Instituts erinnert 2019 vor den Ruinen des Berliner Anhalter Bahnhofs an den Beginn des Zweiten Weltkriegs. (Foto: Wolfgang Kumm/DPA)

Der Ort soll an die mehr als tausendjährige Geschichte beider Länder erinnern. Eine Umfrage zeigt: Um die Beziehungen stand es schon mal besser.

Von Viktoria Großmann, Olsztyn/Berlin

Unter Tränen spricht die blonde, junge Frau in Olsztyn von den Familienerinnerungen an den Urgroßvater, der sein Leben im Warschauer Aufstand verloren hat. Auf der Bühne sitzen an diesem Dienstagmorgen, halb zehn Uhr, Wanda Traczyk-Stawska und Anna Przedpełska-Trzeciakowska, eine Psychologin und eine Literatur-Übersetzerin. Beide haben im Sommer und Herbst 1944 in Warschau gegen die deutschen Besatzer gekämpft. Von diesen Erfahrungen berichten sie dem überwiegend studentischen Publikum hier auf dem Campus Polska in Olsztyn. Fünf Tage lang treffen sich hier grob gesagt alle, die sich für ihr Land etwas anderes wünschen als eine rechtsnational ausgerichtete PiS-Regierung.

Keine Zukunft ohne Vergangenheit, so sehen sie das hier in Olsztyn, das ist der Grund, aus dem der Initiator des Campus Polska, der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski, Zeitzeugen einlädt. Mit ganz ähnlichen Worten begründet zur selben Zeit in Berlin Kulturstaatsministerin Claudia Roth, wozu es ein Deutsch-Polnisches Haus braucht. Und während in Olsztyn fast Hundertjährige mit 20-Jährigen über Freiheitskämpfe damals und heute sprechen, betonen sie in Berlin, dass für "Jugendideenlabore" ein Extraposten im Budget eingerichtet wurde. Auf die Bedeutung der jungen Leute für das gemeinsame Erinnern kann man sich also auf beiden Seiten schon mal einigen.

Einen Wunschort gibt es schon: den Platz neben dem heutigen Haus der Kulturen

Aus dem früher schlicht "Polen-Denkmal" genannten Erinnerungsort in Berlin ist längst ein Projekt geworden, an dem nicht nur die Geschichte des deutschen Überfalls auf Polen und die Besatzungszeit erzählt werden soll. Wie Claudia Roth bei der Vorstellung eines Eckpunktepapiers sagt, soll die mehr als 1000-jährige gemeinsame Geschichte der beiden Nationen Platz finden. Dezidiert soll auch die Solidarność-Bewegung gewürdigt werden, deren Beitrag zum Fall der Berliner 1989 in Deutschland viel zu wenig bekannt sei.

Als Ort für das Gebäude wünschen sich das Deutsche Polen-Institut und die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die hinter dem Konzept stecken, den Platz, an dem bis 1957 die Kroll-Oper stand. Ein Ort also neben dem heutigen Haus der Kulturen, fußläufig zum Kanzleramt. Die Nationalsozialisten hatten die Oper für Reichstagssitzungen genutzt und an diesem Ort am 1. September 1939 den Überfall auf Polen verkündet.

Kulturstaatssekretärin Claudia Roth umreißt am Dienstag in Berlin die zentralen Anliegen, die das Deutsch-Polnische Haus erfüllen soll. (Foto: Hannes P Albert/DPA)

Doch bis aus den Gedankengebäuden ein begehbares Gebäude mit Dach und Mauern wird, wird noch so viel Wasser die Spree hinunterfließen, dass sich am Dienstagmorgen lieber niemand auch nur auf ein Jahr festlegen will. "Hier entsteht etwas Einzigartiges, so etwas gibt es bisher nicht", sagt Roth. "Und das dauert natürlich." Nun beginne erst einmal, und zwar konkret an diesem Donnerstag, die breite öffentliche Beteiligung, bis dann im Frühjahr 2024 ein "Realisierungsvorschlag" fertig sein und dem Bundestag vorgelegt werden solle. Grundlage für das Projekt ist ein erster Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 2020.

"Es gibt in Deutschland weniger Wissen über Polen als umgekehrt."

Wie erinnert man daran, dass unter der deutschen Besatzung fünf Millionen Polen gewaltsam starben, darunter drei Millionen Menschen jüdischer Herkunft? Zunächst mit einer Ausstellung, die vom nächsten Jahr an durch beide Länder wandern soll. "Es gibt in Deutschland weniger Wissen über Polen als umgekehrt", stellt Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne) fest. "Und wenn man ehrlich ist, auch weniger Interesse." Die Wissensvermittlung stehe daher über allem, denn sie sei die Grundlage für Empathie, so sagt es Claudia Roth.

Im Deutschen Polen-Institut (DPI) beobachten sie das seit Jahren sehr genau. An diesem Mittwoch erscheint das aktuelle Deutsch-Polnische-Barometer, mit dem akribisch jährlich das Verhältnis der Menschen in beiden Ländern zueinander abgefragt wird. Bei der jüngsten Umfrage im Mai gaben 56 Prozent der polnischen Befragten an, dass Deutschland das polnische Leid im Zweiten Weltkrieg nicht ausreichend anerkenne - 60 Prozent der deutschen Befragten fanden das aber schon. Spürbar sei, dass die antideutsche Rhetorik der PiS-Partei, nun ihre Wirkung entfalte, sagt Agnieszka Łada-Konefał vom DPI. Aktuell nennen noch 47 Prozent der polnischen Befragten die Beziehungen zu Deutschland gut, vor drei Jahren waren es noch 72 Prozent.

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Zur Verbesserung dieser Beziehungen soll das Deutsch-Polnische-Haus dezidiert beitragen. Roth erklärt mit Nachdruck, es gebe "einen engen Austausch" mit der polnischen Seite. Das historische Institut der Polnischen Akademie der Wissenschaften ist beteiligt, ebenso das Deutsch-Polnische-Jugendwerk. Alle Arbeitsgruppen sollen paritätisch deutsch-polnisch besetzt werden. Anwesend ist von polnischer Seite allerdings am Dienstag niemand.

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