Menschenrechte:Wie Barack Obama Indiens Regierung provoziert

Lesezeit: 2 min

Ohne Schutz der Minderheiten, werde es Indien zerreißen, sagt Ex-Präsident Barack Obama. Das kommt bei der Regierung in Delhi nicht gut an. (Foto: Thanassis Stavrakis/AP)

Im Lager des indischen Premiers Narendra Modi herrscht Ärger über den früheren US-Präsidenten, weil er den Schutz der muslimischen Minderheit einfordert.

Von Arne Perras

Die Ansichten des früheren US-Präsidenten Barack Obama finden noch immer Gehör in der Welt. Indien macht da keine Ausnahme, zumal Obama in einem CNN-Interview mit Christiane Amanpour vor einigen Tagen offenbar einen Nerv getroffen hat. Es ging, neben anderen Themen, um den Besuch des indischen Premiers in Washington, und Obama gab dabei seinem demokratischen Nachnachfolger Joe Biden indirekt eine Empfehlung: Würde er selbst mit Narenda Modi sprechen, sagte Obama, hielte er den Schutz der muslimischen Minderheit in Indien doch für "erwähnenswert". Und weiter: Falls es nicht gelinge, Minderheiten zu schützen, "gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Indien irgendwann beginnt auseinanderzureißen", warnte Obama.

Eine Ministerin in Delhi sagt, dem Ex-Präsidenten sei nicht zu trauen

Wer wollte, konnte daraus Kritik an Modis spalterischer national-religiöser Politik herauslesen, die Hindus favorisiert. Muslime bilden dort eine große Minderheit - 170 Millionen Menschen. Klagen über Diskriminierungen und Verfolgung religiöser Minderheiten wachsen. Es ist nicht bekannt, ob die amtierende US-Regierung die Worte des Ex-Präsidenten Obama insgeheim begrüßte, auch weiß man nicht, wie deutlich Biden im Gespräch mit Modi auf Indiens Muslime eingegangen ist. Sicher ist nur: Biden wollte den Besuch vor allem dazu nutzen, Indien stärker an die USA zu binden. Es gab wichtige Deals im Verteidigungssektor und für die Produktion von Halbleitern. Im Vordergrund stehen strategische Ziele, weil beide Staaten die wachsende Macht Pekings eindämmen wollen.

Gleichwohl ist der innere Zusammenhalt Indiens ein so gewichtiges Thema, dass Obamas Kommentare teils heftige Reaktionen provozierten, vor allem im Lager der Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP). Kaum war Modi heimgekehrt, da holte seine Finanzministerin Nirmala Sitharaman schon zum Gegenschlag gegen Obama aus. "Ich war schockiert, dass ein früherer US-Präsident über indische Muslime sprach", sagte sie. Sie betrachte das als "gezielten Versuch, das Klima in diesem Land zu verderben".

Zweck des Besuchs ist aus US-Sicht eine Annäherung der beiden Staaten: Indiens Premier Narendra Modi und Präsident Joe Biden im Weißen Haus. (Foto: EVELYN HOCKSTEIN/REUTERS)

Dann führte sie aus, dass unter Obama eine Reihe Länder bombardiert worden seien, in denen Muslime dominierten, etwa Syrien. Sie frage sich, wie man "Anschuldigungen eines früheren Präsidenten trauen könne", der so etwas zu verantworten habe. Aus der US-Regierung gab es zunächst keine Reaktion auf die Tiraden, die offenbar auf den Anti-Terror-Kampf Washingtons anspielten. Manche werteten sie als Versuch, von den Problemen Indiens abzulenken und Obama als Gewalttäter zu diskreditieren.

Diskriminierung? Intoleranz? Gibt es nicht in seinem Land, sagt der Gast

Dazu passt, dass Sitharaman beklagte, man würde jetzt über Dinge diskutieren, die gar nicht existierten. Damit folgte sie treu ihrem Premier Modi, der diese Linie in Washington bei der denkwürdigen Pressekonferenz selbst vorgegeben hatte. Es war die erste und einzige Frage-Möglichkeit für Journalisten, die Modi in neun Jahren je zugelassen hatte. Eine US-Journalistin wollte vom Staatsgast wissen, was er tue, um die muslimische Minderheit in Indien zu schützen. Der Premier vermied eine direkte Antwort, stattdessen bemühte er gestanzte Sätze wie: "Die Demokratie steckt in unserer DNA." Diskriminierung? Intoleranz? Das alles gibt es laut Modi in seinem Land gar nicht.

Modi-treue Medien, die in der Öffentlichkeit dominieren, feierten den Besuch weitgehend unkritisch, sie pflegen einen Personenkult. Doch einige wenige Journalisten wagten es dann doch, die Phrasen ihrer Regierung abzuklopfen. Die "fragwürdige Menschenrechtsbilanz der Modi-Regierung" sei gar nicht zur Sprache gekommen, kommentierte etwa Tavleen Singh im Indian Express.

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Modis Bekenntnisse hätten nicht verhindert, dass indische Muslime brutal attackiert werden. Die Kolumnistin nennt die gezielte Tötung von Muslimen durch Hindu-Extremisten, die als Beschützer heiliger Kühe auftreten. Sie nennt außerdem Fälle, in denen nach Protesten ausschließlich Häuser von Muslimen plattgewalzt wurden, die von Hindus aber verschont blieben. Solche "Bulldozer-Gerechtigkeit" sei eine unmittelbare Gefahr für Indiens Rechtsstaatlichkeit.

Modi müsse viel mehr tun, "als nette Dinge über die Demokratie zu sagen", fordert Singh und spricht damit vielen Kritikern aus der Seele, die den indischen Pluralismus in Gefahr sehen. Vor allem müsse der Premier Dissens und freie Meinungsäußerungen zulassen, weil sie den Lebensnerv wahrer Demokratien bildeten.

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