Sie trauen sich nun teilweise wieder aus ihren Häusern, die Menschen im indischen Bundesstaat Manipur, in dem bei ethnischen Zusammenstößen in den vergangenen Tagen mehr als 60 Menschen getötet wurden. Tausende sind obdachlos, mehr als 20 000 auf der Flucht.
Die Gewalt brach am Mittwoch vergangener Woche aus. Ein Mob zerstörte Fahrzeuge, griff Kirchen und Tempel an, brannte Häuser und Geschäfte in der Hauptstadt Imphal und anderen Städten nieder. Tausende Soldaten wurden nach Manipur entsandt, um die Ordnung wiederherzustellen. Der Gouverneur hatte für einzelne Gebiete "Shoot at Sight" befohlen, somit durften Soldaten auf jeden schießen, der sich nach der Ausgangssperre noch auf die Straße wagte. Wie konnte es so weit kommen??
Wer geht in Manipur aufeinander los?
Die Eskalation begann in dem vom Kuki-Stamm dominierten Bezirk Churachandpur. Mitglieder des Stammes protestierten gegen die Forderung der Meitei-Gemeinschaft, als "Scheduled Tribe" eingestuft zu werden. Als "anerkannter Stamm" würden den Meitei staatliche Arbeitsplätze zustehen, bessere Schul- und Studienmöglichkeiten und ein erleichterter Zugang zu landwirtschaftlichen Gebieten.
ie Meiteis, eine überwiegend hinduistische Gemeinschaft, machen mehr als 50 Prozent der 3,5 Millionen Einwohner Manipurs aus und sind vor allem in der Hauptstadt Imphal ansässig. Die Stämme der Naga und Kuki sind mehrheitlich Christen und stellen etwa 40 Prozent der Bevölkerung. Als anerkannte Stämme genießen sie besondere Landbesitzrechte in den Hügeln und Wäldern Manipurs. Vor allem die Kukis befürchten, die Kontrolle über ihr Land zu verlieren, wenn die Meitei-Mehrheit ihre Forderung durchsetzen würde.
Warum in Manipur?
Manipur ist ein für indische Verhältnisse kleiner, üppig bewachsener Staat, der an Myanmar grenzt. Er beheimatet eine ethnisch vielfältige Gruppe von sino-tibetischen Gemeinschaften, jede mit ihrer eigenen Sprache, Kultur und Religion. Wie die Konfliktregion Kaschmir im Norden war Manipur einst ein Fürstentum unter britischer Herrschaft und wurde erst 1949 in das moderne Indien eingegliedert. Teile der Bevölkerung berufen sich heute darauf, dass die Unterschrift unter diesen Beitritt nur unter Druck zustande kam, wenn sie Unabhängigkeit fordern.
Immer wieder kommt es in Manipur zu Gewalt zwischen Ethnien, von 2009 bis 2018 starben dabei mehr 1000 Menschen. Die Spannungen haben seit dem blutigen Staatsstreich in Myanmar im Jahr 2021 zugenommen, nachdem Tausende Angehörige der Volksgruppe Chin, die sich demselben Stamm zurechnen wie die Kuki, vor der Gewalt der Junta ins benachbarte Manipur flohen.
Wie reagiert die Politik?
Hindus stellen in Indien insgesamt etwa 80 Prozent der Bevölkerung. Die hindunationalistische Bharatiya-Janata-Partei (BJP) von Premierminister Narendra Modi ist in Indien und zugleich auch in Manipur an der Regierung. Die BJP facht Differenzen zwischen den Religionen im Land teilweise an, vor allem zwischen Hindus und Muslimen, um die Mehrheit der Wähler hinter sich zu versammeln.
Die Armee hat die Überwachung in den von der Gewalt betroffenen Gebieten in Manipur nun mithilfe von Drohnen und Militärhubschraubern "erheblich verstärkt." Doch die Lage bleibt weiter angespannt. Mehr als 1000 Waffen wurden den Sicherheitskräften während der Krawalle gestohlen, erst 200 sind wieder sichergestellt. Unabhängige Informationen sind schwer zugänglich, weil Journalisten wegen des Ausnahmezustands nicht nach Churachandpur einreisen dürfen und die Internetdienste abgeschaltet sind.
Wie könnte es weitergehen?
Die Kluft zwischen den Meiteis und den anderen ethnischen Gruppen verläuft über politische und geografische Grenzen hinweg. Die Gewalt der vergangenen Woche hat eine erneute Eskalation in Gang gesetzt. Doch auch wenn die Lage sich beruhigen sollte: Die Meiteis dominieren Positionen in der Regierung des Bundesstaates, ihre Sprache wird in Manipur mehrheitlich gesprochen, andere Gruppen fühlen sich von ihnen marginalisiert.
Am Montag dieser Woche erklärte Indiens Innenminister Amit Shah, die Regierung von Manipur werde alle Beteiligten konsultieren, bevor sie über die Stammesanerkennung entscheide. Dem Nachrichten-Netzwerk India Today erklärte Shah, "es gibt keinen Grund für irgendeine Person oder Gruppe, Angst zu haben." Premierminister Narendra Modi, der sich derzeit zum Wahlkampf im politisch umkämpften südindischen Bundesstaat Karnataka aufhält, hat sich bisher nicht öffentlich zu den Unruhen geäußert.