Umweltverschmutzung:"Rote Gebiete": Wie Deutschland sein Gülleproblem umgeht

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Die Gülle auf deutschen Äckern ist ein großes Problem. Das Grundwasser wird vielerorts zu stark mit Nitrat belastet. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die EU-Kommission rügt die neue deutsche Düngeverordnung: Damit werde das Nitrat im Grundwasser nicht weniger. Nun droht neuer Krach mit Bauern - und Strafen auf Kosten der Steuerzahler.

Von Thomas Hummel, München

Virginijus Sinkevičius schickte Ende Juni einen Brief nach Berlin, der für den deutschen Steuerzahler teuer werden könnte. Es ging um die Nitratrichtlinie der Europäischen Union, wieder einmal. In Deutschland ist das Grundwasser vielerorts zu stark mit Nitrat belastet. Und weil das Land offensichtlich zu wenig dagegen tut, droht EU-Umweltkommissar Sinkevičius damit, ein Zwangsgeld beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu beantragen. Im Raum stehen 850 000 Euro. Pro Tag.

Der Umweltkommissar wandte sich an die Bundesministerinnen Julia Klöckner (Landwirtschaft, CDU) und Svenja Schulze (Umwelt, SPD). Beide zeigten eilig auf die Bundesländer. Die seien verantwortlich für die Umsetzung der neuen Düngemittelverordnung, die erst Ende 2020 beschlossen wurde. Nitrat im Grundwasser reichert sich hauptsächlich durch eine Überdüngung der Felder an. So geraten auch zu viel Stickstoff und Phosphor in Oberflächengewässer wie Bäche und Seen.

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Jahrelang standen sich Umweltschützer und Landwirte unversöhnlich gegenüber. Nun haben ihre Vertreter in einer Kommission darüber verhandelt, wie es auf den Äckern und in den Ställen weitergehen soll. Und sind sich überraschend einig geworden.

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Für Dienstagnachmittag organisierten die beiden Bundesministerien eine Videokonferenz mit den Agrar- und Umweltministern der Länder. Daraufhin erinnerte Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther von den Grünen verärgert daran, dass man gemeinsam die neuen Vorschriften beschlossen hätte. Der Bund sitze hier mit im Boot.

Der Brief aus Brüssel verspricht erheblichen Ärger. Zum Beispiel mit den Landwirtschaftsverbänden, die zuletzt einige Traktoren-Demonstrationen in Berlin veranstalteten. Viele Bauern fürchten um ihre Erträge, wenn sie weniger düngen müssen. Für Strafzahlungen in Millionenhöhe will aber auch keiner verantwortlich sein.

Wasserversorger kritisieren "künstliches Wegrechnen" der Problemstoffe

Dabei ist die Richtlinie 91/676/EWG ein Evergreen der deutschen Politik. Im Dezember 1991 legten die EU-Mitgliedsstaaten fest, dass ein Liter Grundwasser nicht mehr als 50 Milligramm Nitrat enthalten darf. In höheren Konzentrationen belastet der Stoff Flora und Fauna. Nitrat steht zudem im Verdacht, beim Menschen Krebs auslösen zu können. Besonders die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft in den 2000er-Jahren führte zu hohen Werten.

Der Eifer, diesen Missstand abzustellen, blieb überschaubar. Aus Nachbarländern wie den Niederlanden oder Belgien kamen sogar Gülle-Importe hinzu. Die EU-Kommission wollte sich diesen dauernden Rechtsbruch nicht bieten lassen und verklagte Deutschland vor dem EuGH. Der urteilte 2018, das Land müsse die Vorgaben endlich umsetzen. Sonst drohten Strafgelder.

Die Bundesregierung versprach Besserung - mit einer neuen Düngeverordnung, die "rote Gebiete" betrifft. Dort müssen Landwirte nun Zusatzvorschriften beachten, zum Beispiel die Düngemenge um 20 Prozent reduzieren und im Herbst und Winter längere Sperrfristen beachten. Alles muss dokumentiert werden, Betriebe klagen über den bürokratischen Aufwand. Und die Landwirtschaft streitet mit der Politik teils erbittert darum, wo die roten Gebiete liegen. Bauernverbände beschweren sich darüber, es werde nicht tief genug gemessen oder an zu wenigen Stellen. Andere halten das für Ablenkungsmanöver. Im vergangenen Jahr wiesen die Bundesländer auf Basis neuer Modellrechnungen die roten Gebiete neu aus. Ergebnis: Sie wurden erheblich kleiner. In Bayern etwa um mehr als die Hälfte.

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Kommunale Wasserversorger zweifeln dieses Vorgehen an, denn ihre Nitratmessungen sind immer noch die gleichen. Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer im Bundesverband für Energie und Wasserwirtschaft (BDEW), beklagt "ein künstliches Wegrechnen" der tatsächlichen Werte durch die neuen Methoden. "Es ist richtig, dass die EU-Kommission nun interveniert", sagt er.

Der Umweltkommissar zählt zu wenig "rote Gebiete"

Nach ersten Berechnungen seiner Dienststellen moniert EU-Kommissar Sinkevičius, dass 80 Prozent aller Messstellen mit zu hohen Nitratwerten außerhalb der roten Gebiete liegen. Noch schlechter ist die Quote bei Messstellen, die zu hohe Werte für Stickstoff und Phosphor angeben: 96 Prozent liegen hier außerhalb der problematischen Gegenden. Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Saarland und Sachsen würden überhaupt keine dieser "eutrophen" Gebiete ausweisen, obwohl es andere Anzeichen gebe.

"Ich befürchte, dass diese Länder die Bestimmungen der Düngemittelverordnung nicht korrekt anwenden", schreibt der EU-Kommissar. Er fordere deshalb dringend dazu auf, die Ausweisung der roten Gebiete zu überprüfen. Anderenfalls müsse er erwägen, sich wieder an den EuGH zu wenden. Diese Drohung führte dazu, dass ihn die deutschen Landwirtschafts- und Umweltministerien kurzfristig um ein Gespräch gebeten haben. Vertreter der Bundesländer sollen auch dabei sein.

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