Völkerrecht:Internationaler Gerichtshof weist Eilantrag gegen Deutschland ab

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Protestierende vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. (Foto: Robin van Lonkhuijsen/ANP/IMAGO)

Nicaragua hatte der Bundesrepublik vorgeworfen, mit Rüstungsexporten nach Israel "Beihilfe zum Völkermord" zu begehen. Abgeschlossen ist der Fall mit dieser Entscheidung jedoch nicht.

Von Ronen Steinke

Es besteht kein dringender Verdacht, dass Deutschland durch seine Waffenlieferungen an Israel gegen internationales Recht verstößt. Das hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag am Dienstag entschieden und damit einen Eilantrag abgewiesen, den der Staat Nicaragua dort im vergangenen Monat eingebracht hatte. Das lateinamerikanische, autoritär regierte Land hatte die israelische Kriegsführung im Gazastreifen angeprangert, von Kriegsverbrechen bis hin zu einem Genozid an den Palästinensern gesprochen - und der Bundesrepublik eine Mitschuld daran gegeben.

Aber die Beweise für einen solchen Vorwurf seien zu dünn, befand das Gericht mit einer deutlichen Mehrheit von 15 zu einer Stimme - und lehnte es deshalb ab, Deutschland zu einem vorläufigen Stopp seiner Waffenlieferungen zu verurteilen. Der Gerichtspräsident, der Libanese Nawaf Salam, führte in seiner mündlichen Begründung aus: Die Bundesregierung prüfe bereits heute vor jeder Exportgenehmigung, ob das Risiko bestehe, dass eine Waffe für Verbrechen verwendet werde. Und wie zum Beleg: Deutschland habe offenbar auch schon von sich aus seine Waffenexporte an Israel stark zurückgefahren.

Deutsche Waffenexporte an Israel deutlich zurückgegangen

Der Gerichtspräsident rechnete vor: Berlin habe im Jahr 2023 insgesamt zehnmal so viele Rüstungsexporte nach Israel genehmigt wie im Jahr 2022. Allerdings: Während ein Volumen von etwa 200 Millionen auf den Monat Oktober entfiel, also auf die Tage unmittelbar nach dem Massaker der radikalislamischen Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober, sei das Volumen der deutschen Exportgenehmigungen bereits im November stark zurückgegangen auf etwa 24 Millionen Euro. Im März dieses Jahres war der Umfang der Exporte dann bereits auf weniger als eine Million Euro gesunken.

Genau diese kritische Haltung Berlins hatten die Vertreter des deutschen Auswärtigen Amtes selbst vor dem Internationalen Gerichtshof vorgetragen, als dort am 8. und 9. April verhandelt wurde. Etwa 98 Prozent der Rüstungsexporte nach Israel hätten sich daneben gar nicht auf Kriegswaffen bezogen, sondern auf technische Komponenten für militärisches Gerät, hatten sie noch ergänzt. Zuletzt sei es dabei bloß noch um kleinere Ersatzteile gegangen, etwa für Radaranlagen. Die eigentlichen Kriegswaffen aus deutscher Produktion - 3000 tragbare Panzerfäuste und 500 000 Schuss Munition für automatische Gewehre - seien im direkten Zusammenhang mit dem 7. Oktober genehmigt worden und als Beitrag zu Israels legitimer Selbstverteidigung gedacht gewesen.

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Von Nicaragua nominierter Richter entscheidet gegen Deutschland

Der Internationale Gerichtshof mit Sitz in Den Haag ist ein Organ der Vereinten Nationen, seine 15 Richterinnen und Richter repräsentieren alle Weltregionen und werden von der UN-Generalversammlung und dem UN-Sicherheitsrat für eine Dauer von jeweils neun Jahren gewählt. In diesem besonderen Fall durfte Nicaragua, das derzeit keinen der regulären Richter stellt, einen zusätzlichen sogenannten Ad-hoc-Richter nominieren, der mitentscheiden durfte. Dies war der ehemalige jordanische Ministerpräsident Aun al-Chasauneh. Er entschied als einziger gegen die Mehrheit und sprach sich also für Sofortmaßnahmen gegen Deutschland aus.

"Deutschland ist keine Konfliktpartei in Nahost - im Gegenteil: Wir setzen uns Tag und Nacht für eine Zweistaaten-Lösung ein", schrieb das Auswärtige Amt am Dienstag auf der Kurznachrichtenplattform X. Deutschland sei derzeit auch größter Geber von humanitärer Hilfe für die Palästinenser. Aber "der Terror des 7. Oktober hat diese neue Spirale von Leid erst losgetreten, gegen den sich Israel verteidigen muss", hieß es weiter. Zudem wurde an die mehr als 100 Geiseln in der Hand der Hamas erinnert. Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete es als "rechtlich richtig", dass der Gerichtshof den Antrag Nicaraguas zurückgewiesen habe. "Zudem muss man wissen, dass sich das Land in den letzten Jahren immer wieder an die Seite Russlands und Chinas gestellt hat", schrieb der FDP-Politiker auf X.

Der Fall vor dem Internationalen Gerichtshof ist damit noch nicht zu Ende. Am Dienstag wurde nur über einstweiligen Rechtsschutz entschieden. Nun folgt, ohne Eile, ein Verfahren in der Hauptsache, das einige Jahre in Anspruch nehmen könnte. Das Gericht dürfte sich weiter mit der Frage befassen, ob Deutschland womöglich doch internationale Verpflichtungen verletzt hat - aber für diese Frage wird es erst noch nach möglichen weiteren Beweismitteln fragen und mögliche weitere Argumente Nicaraguas anhören. Kurz gesagt: Beim derzeitigen Wissensstand scheidet ein juristischer Vorwurf gegen Deutschland aus, so das Gericht. Ganz ausgeschlossen sei er aber noch nicht.

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