Die Vorhut waren Ende Februar die Alvand und die Kharg. Erstere eine torpedobestückte 1500-Tonnen-Fregatte, letztere ein 33.000-Tonnen Versorgungsschiff, beide zusammen auf dem Weg vom Roten Meer zum Mittelmeer - als erste iranische Kriegsschiffe auf dieser Passage seit der Revolution in Iran 1979. Israel war beunruhigt, die Welt besorgt. Zwei Wochen nach dem Triumph der ägyptischen Revolution, nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak und der Übernahme der Macht durch den Militärrat in Kairo, standen plötzlich alte Gewissheiten in Frage.
Jahrzehntelang hatten Amerika und Europa dem Mubarak-Regime Folter und Repression nachgesehen, weil es als Außenposten westlicher Nahost-Politik galt. Inzwischen wartet der sieche Untersuchungshäftling Mubarak im Krankenhaus wegen des Mordes an Demonstranten auf einen Prozess, der ihn an den Galgen bringen könnte. Und was sich mit der iranischen Passage durch den Suez-Kanal andeutete, nimmt allmählich Gestalt an: eine postrevolutionäre ägyptische Außenpolitik, ja, die Dimension einer neuen Nahost-Architektur.
Seit mehr als 30 Jahren, seit der ägyptischen Anerkennung des Staates Israel, gibt es keine diplomatischen Beziehungen mehr zwischen Kairo und Teheran. Nun möchte Kairo eine "neue Seite" im Verhältnis zum schiitischen Gottesstaat aufschlagen - dem Erzfeind Israels und Amerikas, dem Rivalen Saudi-Arabiens.
Ägyptens neue Außenpolitiker erleichtern den Grenzverkehr in den Gaza-Streifen und schwächen damit die israelische Kontrolle über Gaza. Und unter den Scharen einstiger Würdenträger des Mubarak-Staates hinter Gittern ist auch Ex-Energieminister Sameh Fahmy, der für den Verkauf von Gas zu Dumpingpreisen an Israel verantwortlich sein soll - für viele Ägypter lange Zeit der symbolhafte Ausverkauf ihrer Interessen.
Der Paukenschlag aber ist die Aussicht auf eine ägyptisch vermittelte Aussöhnung zwischen den Palästinenserfraktionen. Die radikalislamische Hamas und die eher säkulare Fatah, die sich seit der Machtübernahme der Hamas in Gaza vor vier Jahren bitter befehden, standen schon mehr als einmal kurz davor, den Bruderkrieg beizulegen. Diesmal könnte der Durchbruch gelingen: In Kairo präsentierten die Palästinenser der verblüfften Welt Pläne für eine neutrale Übergangsregierung, Wahlen in acht Monaten.
Nach Jahren der Teilung, nach dem Scheitern der Friedensgespräche mit Israel im Herbst setzen die Palästinenser auf die Anerkennung als Staat bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September. Ohne Einigung von Hamas und Fatah, die über die beiden Teile des künftigen Staates herrschen, bliebe diese Hoffnung eine Illusion.
Noch haben Hamas und Fatah heikle Fragen, etwa nach den Sicherheitskräften in den beiden Landesteilen, kaum gestreift. Unübersehbar aber hat mit dem Coup von Kairo die arabische Revolte den Kernkonflikt der Region erreicht. Nicht allein, weil die Menschen in Gaza nach dem Vorbild in Tunesien oder Jemen auf die Straße zogen und für die Versöhnung der Palästinenser demonstrierten. Die Ermordung des italienischen Aktivisten Vittorio Arrigoni durch die noch radikaleren Salafisten hat gezeigt, wie angreifbar das Hamas-Regime ist.
Auch die Islamisten müssen den Menschen Fortschritte bieten, sonst droht die Radikalisierung oder der Aufstand. Außerdem stellt der arabische Aufstand jahrzehntelange Allianzen in Frage. Die Fatah von Palästinenserpräsident Machmud Abbas hat in Mubarak einen Verbündeten verloren. Die Hamas schaut beunruhigt nach Syrien, wo das Regime von Baschar al-Assad versucht, den Aufstand durch Panzer zu brechen. Das Hauptquartier der Exil-Hamas liegt in Damaskus, Assad ist eine Stütze der Hamas. Aber wie lange noch?
Israel will mit einer neuen palästinensischen Übergangsregierung unter Hamas-Beteiligung nicht verhandeln und schlimmstenfalls sogar die Auszahlung von Steuern an die palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland zurückhalten. Aber Israel kommen die Verbündeten abhanden: Mubarak ist Geschichte. Amerika und der Westen sind - abgesehen vom Ausnahmeeinsatz in Libyen - Zaungäste.
So wenig Washington, Brüssel oder Berlin die innere Eruption der arabischen Staaten lenken können, so begrenzt, das zeigt sich nun, ist ihr Einfluss auf die zwischenstaatliche Dynamik. Amerikas kühle Aufnahme der Versöhnung von Fatah und Hamas, sowie die Warnung, Hilfsgelder in Millionenhöhe für die Fatah im Westjordanland zu überprüfen, ändern daran wenig.
Die Akteure der neuen arabischen Diplomatie, wie etwa Ägypten, treten aggressiver, vielleicht populistischer auf, sie sehen sich als Revolutionsregierungen, vom Volk legitimiert, dem Westen gegenüber offen, aber nicht dienend. Und sie suchen genuin arabische Lösungen: wie etwa die saudischen Vermittlungsversuche im Jemen. Niemand weiß, wie die Region auch nur in der nächsten Woche aussehen wird. Seriös prognostizieren lässt sich derzeit einzig der Wandel. Fast 100 Jahre hat der Westen im Nahen Osten Grenzen gezogen, Völker geteilt und Regime gekauft. So leicht wird er seine Interessen nicht mehr durchsetzen.