Myanmar:Flucht oder Tod

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Flucht vor den Kämpfen in Myanmar: Rohingya-Flüchtlinge landen in der westindonesischen Provinz Aceh, bereits mehr als 1000 binnen weniger Tage. (Foto: AMANDA JUFRIAN/AFP)

Der Bürgerkrieg in dem südostasiatischen Land eskaliert so, dass immer mehr Menschen in Nachbarstaaten fliehen. Die Rebellen melden weitere Fortschritte ihrer Offensive "1027", doch freiwillig wird das Militär nicht von der Macht lassen.

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Eskalation des Bürgerkriegs in Myanmar hat mittlerweile Auswirkungen auf die gesamte Region. Hunderte Ausländer, die meisten aus den Nachbarländern Thailand, China und Indien, wurden von den Kämpfen eingeschlossen, die seit dem 27. Oktober zwischen dem Militär und den Widerstandsgruppen entbrannt sind. Insbesondere im Shan-Staat an der nordöstlichen Grenze zu China und im Kayah-Staat an der östlichen Grenze zu Thailand. Peking forderte am Montag seine Staatsangehörigen erneut auf, die Konfliktgebiete zu verlassen. Mehr als 250 Thailänder, sechs Philippiner und ein Singapurer trafen bereits am vergangenen Wochenende in Thailand ein, nachdem sie aus dem Norden Myanmars über China aus dem Land gebracht worden waren, wie das thailändische Außenministerium mitteilte.

Dienstagnacht landeten wiederum 200 Rohingya auf der Flucht im indonesischen Aceh. Damit hat sich die Zahl der Rohingya-Flüchtlinge innerhalb weniger Tage auf mehr als 1000 erhöht. Sie versuchen auf klapprigen Booten in Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit zu gelangen, nach Bangladesch, Malaysia und Indonesien. Miftach Cut Adek, Chef einer Fischergemeinde auf Aceh, erklärte der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Gelandeten, zumeist Frauen und Kinder, "schwach und ohne Nahrung" angekommen seien. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden seit dem Putsch mehr als eine Million Menschen vertrieben.

China verfolgt seine eigenen Interessen in der Region

Ebenfalls am Dienstag lieferte Myanmar 31 000 Verdächtige an China aus, die an einem riesigen Betrugsring in der Telekommunikation beteiligt sein sollen. Beide Länder versuchen seit September mit Razzien, der massenhaften Online-Betrügereien Herr zu werden, die von Myanmar aus in China verübt werden. Der stellvertretende chinesische Außenminister Nong Rong hatte bei einem Besuch vor zwei Wochen erklärt, China wolle mit Myanmar bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität zusammenarbeiten. Bei dieser Gelegenheit sagte Nong auch, dass China Myanmar bei der Aufrechterhaltung der Stabilität an der gemeinsamen Grenze helfen möchte. Peking hält zwar die Hand über die Junta, unterstützt angeblich aber auch die "Ethnic Armed Organisation" (EAO) im nördlichen Shan-Staat, der für Chinas Pipelines wichtig ist.

Viele der auf Booten Geflohenen erreichen Indonesien in geschwächtem Zustand. (Foto: AMANDA JUFRIAN/AFP)

Die Junta, die die Macht in Myanmar in der Nacht auf den 1. Februar 2021 an sich gerissen hat, sieht sich derzeit allerdings mit Angriffen an mehreren Fronten konfrontiert, da sich eine Allianz von mehreren EAO und prodemokratischen Kämpfern, den sogenannten Peoples Defense Forces (PDF), zusammengeschossen hat, um die Herrschaft des Militärs zu brechen. Die PDF werden von Myanmars Untergrundregierung, dem "National Unity Governement", unterstützt, die die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nach wie vor als Staatschefin führt.

Je länger die Operation läuft, desto stärker werden die Rebellen

Am 27. Oktober startete diese Allianz die "Operation 1027", koordinierte Angriffe auf Militärposten, sie nahmen mehrere Städte an der Grenze zu China ein und besetzten Straßen. Die Rebellen griffen aber auch im Rakhine-Staat an, sowie im Kayah-Staat an der Grenze zu Thailand und im Chin-Staat an der Grenze zu Indien. Im Gespräch mit der SZ sagte ein Offizier einer PDF vergangene Woche: "Die Operation 1027 ist tatsächlich ein Game-Changer, eine politische Wende." Die Widerstandsallianz verpflichtete sich ebenfalls zur Bekämpfung der Online-Betrugszentren an der Grenze. Ein klares Signal in Richtung Peking, dass man sich um die Anliegen Chinas kümmern werde, sollte man siegen.

Obwohl die Kämpfe seit der Machtübernahme der Generäle nie ganz zur Ruhe kamen, stellt das Ausmaß dieser Offensive eine große Bedrohung für die Junta dar, nicht nur politisch, sondern psychologisch. Die Rebellen haben die langsame Reaktion der Armee und die eigene Beweglichkeit genutzt, um Dutzende Posten einzunehmen, die unmotivierte Soldaten rasch aufgegeben haben. Dabei beschlagnahmten die Rebellen Kleinwaffen und Munition, aber auch Maschinengewehre und gepanzerte Fahrzeuge. Sie werden also stärker, je länger die Operation läuft, auch wenn internationale Unterstützung nach wie vor fehlt.

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Dass die Junta die Macht rasch abgibt, ist nicht zu erwarten. Das Militär verfügt weiterhin über deutlich mehr Feuerkraft und Ressourcen, einschließlich Luftstreitkräften und Artillerie, und wird versuchen, die Rebellion umso entschlossener niederzuschlagen. Ein wahrscheinliches Szenario wäre, dass die Junta die Kontrolle über einige Grenzregionen verliert, aber im Zentrum an der Macht bleibt. Ein solches Ergebnis wäre für die Nachbarn Indien, Thailand und China hinnehmbar, weil es die Flüchtlingskrise eindämmen könnte.

Das Thema Myanmar ist auch weiter ein beherrschendes Thema der Nachbarstaaten im Asean-Verbund. "Es gibt viele Impulse der Asean, diesen Konflikt zu lösen. Aber es ist ein sehr, sehr schwieriges Problem", sagte Ferdinand Marcos, Präsident der Philippinen, am vergangenen Sonntag. Die humanitären Kosten des Konflikts seien in den vergangenen Jahren "exponentiell gestiegen", wobei auch die Philippinen betroffen seien, da ihre Bürger zu den Opfern des Menschenhandels in Myanmar gehören. Die südostasiatische Staatengemeinschaft will sich eigentlich als rein wirtschaftlicher Zusammenschluss präsentieren. Sie hat aber den Generälen Myanmars die Teilnahme an ihren Treffen untersagt, solange sie sich nicht auf einen zwei Jahre alten Friedensfahrplan festlegen, der nun in noch weitere Ferne gerückt ist.

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