Flucht und Migration:Ratschlag von ganz oben

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"Es geht nicht ohne gemeinsame europäische Regeln": Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit seinem italienischen Kollegen Sergio Mattarella. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Auch der Bundespräsident deutet an, dass es bei der Aufnahme Geflüchteter Grenzen gibt. Neue Zahlen zeigen, wie hoch die Anerkennungsquote bei Asylbewerbern tatsächlich liegt.

Von Jan Bielicki und Tim Frehler

Eigentlich liegt die Rolle des Bundespräsidenten jenseits des politischen Tagesgeschehens. Sein Einfluss im täglichen Klein-Klein ist schließlich stark begrenzt. Was ihm aber bleibt, ist die Macht des Wortes. Und davon hat Frank-Walter Steinmeier nun Gebrauch gemacht: Bei seinem Besuch in Italien hat sich der Bundespräsident dazu geäußert, wie das derzeitige Migrationsproblem aus seiner Sicht in den Griff zu bekommen ist. "Es geht nicht ohne gemeinsame europäische Regeln", sagte Steinmeier in Syrakus. Dorthin hatte ihn das italienische Staatsoberhaupt Sergio Mattarella eingeladen.

Syrakus liegt auf Sizilien, einerseits Heimat Mattarellas, andererseits werden dorthin viele Flüchtlinge gebracht, nachdem sie auf der Mittelmeerinsel Lampedusa angekommen sind. Lampedusa ist in den vergangenen Tagen zum Hotspot der Migrationsproblematik geworden. Wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtet, kamen dort allein am Donnerstag mehr als 700 Menschen an. Vergangene Woche waren es mehr als 5000 Menschen - am Tag. Das Erstaufnahmelager ist überfüllt, die Insel hat den Notstand ausgerufen.

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Deutschland hat den Solidaritätsmechanismus vorerst ausgesetzt

Noch vor seiner Abreise nach Italien am Mittwoch hatte Steinmeier der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera ein Interview gegeben. Darin forderte er, die Lasten in Europa gerechter zu verteilen und die europäischen Außengrenzen strenger zu überwachen. "Das verbrecherische Geschäft der Schleuser müssen wir entschieden bekämpfen." Deutschland sei wie Italien "an der Belastungsgrenze". Es müssten sich daher alle anstrengen, "damit die Lasten tragbar bleiben und die Zahlen der Ankommenden wieder sinken".

Doch die Zusammenarbeit zwischen den Staaten gestaltet sich zunehmend schwierig. Deutschland beispielsweise hat kürzlich den freiwilligen Solidaritätsmechanismus vorerst ausgesetzt, mit dem die Bundesrepublik Migranten aus Italien aufnimmt. Hintergrund ist, dass sich die Italiener ihrerseits weigern, Geflüchtete nach den Dublin-Regeln der EU zurückzunehmen, und in Deutschland immer mehr Menschen Zuflucht suchen, die bereits in Italien und anderen EU-Staaten registriert waren. Nach den EU-Regeln ist im Grundsatz jener Mitgliedstaat für einen Flüchtling verantwortlich, den dieser zuerst betreten hat.

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Steinmeier sagte dem Corriere della Sera, Deutschland habe über diesen freiwilligen Solidaritätsmechanismus mehr als 1000 Flüchtlinge aus Italien aufgenommen, "mehr als alle anderen europäischen Staaten". Damit es aber nicht bei diesem freiwilligen System bleibe, solle in den Verhandlungen über das Gemeinsame Europäische Asylsystem "ein dauerhafter Solidaritätsmechanismus geschaffen werden". Die EU-Staaten hatten sich im Juni auf eine Reform des Asylsystems verständigt - im Grundsatz.

Mit seinen Äußerungen befeuert der Bundespräsident eine Debatte, die mit zunehmender Vehemenz geführt wird und in deren Mittelpunkt die Frage rückt, wie die hohen Zuwanderungszahlen herunterzubekommen sind. Neue Daten geben indessen Aufschluss darüber, woher die Menschen sich auf den Weg nach Deutschland machen - und wie ihre Bleibechancen sind. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kamen 60 Prozent der 204 000 Schutzsuchenden, die in den ersten acht Monaten dieses Jahres erstmals Asyl beantragten, aus nur drei Ländern: aus Syrien (60 000), aus Afghanistan (36 000) und aus der Türkei (29 000). Tausende von ihnen mussten nicht einmal die Grenze überschreiten: Fast 12 000 Asylanträge betrafen im ersten Halbjahr im Amtsjargon sogenannte "Nachgeborene", die als Babys von Geflüchteten in Deutschland zur Welt gekommen sind. Weitere 10 000 Antragsteller lebten bereits mit Aufenthaltstitel oder Duldung legal im Land.

Zahlen, mit denen das Bundesinnenministerium eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Clara Bünger beantwortete und die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, zeigen auch: Der Anteil derer, deren Schutzgesuch das Amt anerkannte, ist weiterhin hoch. 71,3 Prozent der Menschen, über deren Anträge das Bundesamt im ersten Halbjahr entschied, bekamen einen Schutzstatus und dürfen legal bleiben. Bei Syrern liegt die Quote sogar bei 100 Prozent, bei Afghanen immer noch bei 99,1. In beide Länder wird wegen der dortigen Lage nicht abgeschoben.

"Land und Kommunen sind am Limit", sagt auch Thüringens Ministerpräsident Ramelow

Dagegen erkannte das Amt nur 21,9 Prozent der türkischen Asylbewerber an. Georgier, Moldauer und Inder erhielten nur in wenigen Einzelfällen Schutz, mehr als 99 Prozent der Gesuche lehnte das Bamf ab. Georgien und Indien will die Bundesregierung als "sicherere Herkunftsstaaten" einstufen. Bei Asylbewerbern aus anderen Ländern, die FDP und CDU/CSU noch in dieser Liste sehen wollen, war die Schutzquote etwas höher: Bei Tunesiern lag sie bei 4,5, bei Algeriern bei 6,1 und bei Marokkanern bei 15,6 Prozent.

Fragestellerin Bünger findet das eine "enorm hohe Schutzquote". Debatten über eine Begrenzung der Fluchtmigration nennt sie "rechtswidrig, realitätsfern und inhuman". Stattdessen müssten die Fluchtgründe angegangen werden. "Dazu gibt es menschenrechtlich keine Alternative", sagt die linke Abgeordnete.

Ihr Parteifreund Bodo Ramelow hingegen gehört zu denen, die diese Debatte führen wollen. "Land und Kommunen sind am Limit", sagte Thüringens Ministerpräsident der Rheinischen Post. Kontrollen an den deutschen Grenzen im Osten, wie sie etwa Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) vehement forderte, lehnte Ramelow jedoch ab: "Nur zu Show-Zwecken noch Polizei im Thüringer Wald einzusetzen, bringt nichts."

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