Deutschland und Großbritannien:Eine skeptische Kanzlerin auf Abschiedstour

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Hochherrschaftliche Kulisse: Der britische Premier Boris Johnson empfing Kanzlerin Angela Merkel in Chequers. (Foto: David Rose/Reuters)

Bei ihrer letzten Reise ins Vereinigte Königreich als Regierungschefin hat Angela Merkel ein eng getaktetes Programm. Und nicht nur die Delta-Variante und die hohen Zuschauerzahlen in Wembley machen ihr Sorgen.

Von Alexander Mühlauer und Michael Neudecker, London

Die Bilder, die aus Chequers in die Welt verschickt werden, sind meist gute Bilder, Motive wie aus dem Handbuch für Politiker-Präsentation, dem britischen jedenfalls. Die Briten haben ein gewisses Faible für jahrhundertealtes Mobiliar, und der herrschaftliche Bau gut 60 Kilometer nordwestlich von London wurde im 16. Jahrhundert errichtet. Am Freitag nun gab es für Boris Johnson endlich wieder die Gelegenheit, in den blau überzogenen Sesseln vor dem Kamin zu posieren, neben der Kollegin aus Deutschland, die die britischen Boulevardzeitungen bisweilen "Frau Merkel" nennen.

Es war nur ein kurzer Ausflug, den Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag ins Vereinigte Königreich unternahm, was seine Bedeutung aber nicht schmälerte. Merkel war nun bereits das 22. Mal auf UK-Besuch während ihrer 16 Jahre im Amt, aber dieser war ihr erster nach dem vollzogenen Brexit - und wohl ihr letzter als Kanzlerin. Das Programm war eng getaktet, unter anderem schalteten sich Merkel und Johnson der Kabinettssitzung zu, was Merkel zur ersten Regierungschefin seit Bill Clinton 1997 macht, der diese Ehre zuteil wurde. Nach einem Mittagessen und einem Spaziergang im sicher schönen Garten von Chequers fuhr Merkel nach Windsor, für eine Audienz bei der Queen. Sie empfing die Kanzlerin in einem grüngeblümten Kleid. Dass die Königin die Kanzlerin nur Wochen nach dem G-7-Gipfel erneut traf, wurde in Großbritannien als besondere Geste gedeutet.

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Politisch aber war natürlich das Gespräch mit Johnson das wichtigste. Es haben sich in letzter Zeit ja doch einige Themen angesammelt, das Nordirland-Protokoll etwa, das die Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in der Irischen See regeln soll, aber auch die Reisebeschränkungen zwischen den beiden Ländern und die vielen Zuschauer bei den Fußballspielen in London.

Sie sei optimistisch, dass sich in den nächsten drei Monaten eine Lösung in der Nordirlandfrage finden ließe, sagte Merkel, als sie mit Johnson zu einer gemeinsamen Pressekonferenz am Kamin auftrat, man müsse aber "Schritt für Schritt" vorgehen, "wir sollten uns alle nicht überfordern". Die Reisebeschränkungen würden demnächst geändert, nachdem sich die Delta-Variante nun in beiden Ländern ausgebreitet hat, allerdings sehe sie die Zuschauerzahlen in Wembley "mit großer Skepsis", sie habe das "dem Premierminister auch gesagt". Der wiederum bekräftigte einmal mehr die hohe Impfquote im Königreich, es gebe hier einen "Wall des Winderstands" gegen das Virus.

Audienz in Windsor Castle: Angela Merkel unterhält sich freudig mit der Queen. (Foto: WPA Pool/Getty Images)

Ungeachtet der Meinungsverschiedenheit in mindestens diesem Thema betonten beide die Bedeutung der Beziehung beider Länder, "die wir in den vergangenen Jahren vielleicht nicht so sehr gepflegt haben, wie wir das hätten tun können", sagte Johnson. Es sei nun die Gelegenheit, "ein neues Kapitel zu eröffnen", sagte Merkel. Vor ein paar Tagen unterzeichneten die beiden Außenminister, Heiko Maas und Dominic Raab, eine Absichtserklärung, die Zusammenarbeit zu intensivieren, dokumentiert mit einem jährlichen Dialog.

Das ist schon deshalb wichtig, weil es nach dem Brexit nicht mehr so einfach ist, ins Gespräch zu kommen. Als die Briten noch EU-Mitglied waren, gab es regelmäßige Treffen. Da waren die Gipfel der Staats- und Regierungschefs, vor allem aber die Ministerräte. Einmal im Monat bot sich die Gelegenheit, dass etwa der britische Finanzminister sich mit seinem deutschen Amtskollegen am Rande eines Treffens in Brüssel austauschte. Oder sich am Vorabend eines Ministerrats zum Dinner traf. Es sind diese Vier-Augen-Gespräche, die jetzt mitunter fehlen.

Nun müssen neue Gesprächskanäle aufgebaut werden, und wie schwierig das ist, merken die Briten vor allem in Brüssel. Dort wurde die Vertretung vor Ort zwar nach dem Brexit personell aufgestockt, aber es ist für die Briten sehr viel schwieriger geworden, an Informationen zu kommen. Seit sie nicht mehr mit am EU-Tisch sitzen, müssen sie im Grunde wie Journalisten recherchieren. Sie müssen versuchen herauszufinden, was hinter verschlossenen Türen im Kreis der EU besprochen wurde. Denn in den meisten Fällen stimmen auch die Deutschen ihre Positionen zunächst im Kreis der EU-Partner ab - erst danach sprechen sie mit Drittstaaten. Und ein solcher ist Großbritannien nun einmal seit dem Brexit.

Umso wichtiger war nun Merkels Besuch bei Johnson. Am Ende wurde die Kanzlerin noch gefragt, ob sie beschreiben könne, wie sie Johnson als Persönlichkeit wahrnehme, da schüttelte Johnson etwas irritiert den Kopf. "Die Zusammenarbeit hat sich sehr gut entwickelt, sonst würden wir heute nicht hier stehen", sagte Merkel. Und fügte an, leicht lächelnd: "Aber das beruht auch darauf, dass wir uns gegenseitig keine Zeugnisse ausstellen, sondern wir schauen uns an, wie unterschiedlich die Menschen sind und machen das Beste draus."

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