Faschismus in Italien:Die Opfer waren Italiener. Manche Täter auch?

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Das historische Bild zeigt einen Polizisten, der die Ardeatinischen Höhlen bewacht. (Foto: IMAGO/Pond5 Images)

Vor 80 Jahren erschossen NS-Besatzer in den Ardeatinischen Höhlen in Rom 335 politische Gefangene und Zivilisten. Deutschland bekennt sich zu seiner Schuld, Kulturstaatsministerin Claudia Roth reist eigens nach Italien. Doch manch italienischer Politiker tut sich schwer mit dem Gedenken.

Von Marc Beise, Rom

Natürlich wird der italienische Staatspräsident kommen an diesem Freitag und an den Fosse Ardeatine die Erinnerung an die deutschen Gräueltaten lebendig halten. Aber Sergio Mattarella, den man das gute Gewissen Italiens nennen kann, wird auch innenpolitisch das faschistische Erbe Italiens einordnen; so wie er das stets macht, wenn es darauf ankommt.

Die antiken Katakomben im Süden der Ewigen Stadt, wo einst Juden und Christen außerhalb der Stadtmauern ihre Toten beerdigten, sind heute ein beliebtes Ziel für Touristen. Eine der unterirdischen Anlagen, die Ardeatinischen Höhlen, sind aber auch eine Erinnerung an das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Hauptstadt Rom kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Am Eingang des 1949 eröffneten Mausoleums steht eine überdimensionale Skulptur dreier gefesselter Figuren: "I Martiri", die Märtyrer.

Eine stundenlange Tortur, die mit der Sprengung der Höhlen endete

Dort töteten am 24. März 1944 deutsche SS-Leute 335 italienische Zivilisten und politische Gefangene - ein Kriegsverbrechen aus Vergeltung. Eine kommunistische Widerstandsgruppe hatte am Tag zuvor in Roms Innenstadt einen Bombenanschlag auf das vorbeimarschierende Polizeiregiment "Bozen" verübt, sorgsam geplant zum 25. Gründungstag der "Schwarzhemden" des zu diesem Zeitpunkt gestürzten und nach Norden geflohenen Faschistenführers Benito Mussolini. Von 156 Soldaten kamen 33 ums Leben, ferner zwei italienische Zivilisten.

Es war der größte Anschlag italienischer Partisanen gegen deutsche Besatzer im Zweiten Weltkrieg - und entsprechend groß würde die Vergeltung sein, erdacht vom Kommandeur der Sicherheitspolizei in Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, und abgesegnet von der Wehrmachtsführung. Für jeden bei dem Attentat getöteten Deutschen sollten zehn Italiener erschossen werden. Weil die Insassen in den Todeszellen der SS-Gefängnisse nicht ausreichten, leistete Italiens faschistischer Polizeichef mit 50 Insassen römischer Gefängnisse und Straflager grausame Hilfe, hinzu kamen 75 Juden, die für die Deportation in die Vernichtungslager vorgesehen waren. Am Ende wurden 335 Männer zwischen 15 und 74 Jahren in den Höhlen durch Genickschuss hingerichtet. Eine stundenlange Tortur, ehe die Höhlen gesprengt wurden.

Claudia Roth gedenkt der Opfer der NS-Gewaltherrschaft

Es war nicht das einzige Massaker der NS-Besatzer an Italiens Zivilisten in jenem späten Kriegsjahr 1944, als die deutschen Truppen sich unter dem Druck der aus dem Süden vorrückenden Alliierten und unter Angriffen italienischer Partisanen nach Norden zurückziehen mussten. Später gab es grauenvolle Ereignisse beispielsweise im toskanischen Dorf Sant'Anna di Stazzema oder in Marzabotto bei Bologna. Aber die Ardeatinischen Höhlen sind zum Symbol geworden für das, was Deutsche italienischen Zivilisten antaten.

Es gibt in Italien seit Jahren aber auch eine Diskussion darüber, ob Italiener nur Opfer waren oder nicht einige von ihnen Mittäter. Das ist spannend erst recht, seitdem mit den Fratelli d'Italia eine Partei mit neofaschistischer Vergangenheit die Regierung anführt, die im Parteisignet nach wie vor die ewige Flamme des Grabmals des Duce stilisiert führt und in der führende Köpfe ihre Sympathie für Mussolini nur schwer verbergen können. Partei- und Regierungschefin Giorgia Meloni selbst äußert sich, seit sie im Regierungsamt ist, nicht mehr dazu und hat den Faschismus sozusagen für erledigt erklärt, sie vermeidet aber auch die Aufarbeitung dieser Vergangenheit.

In ihrem Umfeld ziehen sich viele darauf zurück, dass es sich hier um eine Tat der Deutschen handelte, bei der Italiener starben. Andere betonen die Mitverantwortung italienischer Faschisten, die mit den Deutschen zusammengearbeitet haben; das entspricht dem Stand der Forschung. Es wird deshalb in diesem Jahr vermutlich besonders aufmerksam beobachtet, was Mattarella sagt und was andere sagen, wer zur Gedenkfeier kommt und wer fernbleibt, weil er anderswo "Termine" hat.

Von deutscher Seite hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wiederholt Verantwortung übernommen, in diesem Jahr kommt Kulturstaatsministerin Claudia Roth nach Rom. Sie hatte sich bei ihrem letzten Besuch in der Hauptstadt Anfang des Jahres recht gut mit Italiens Kulturminister Gennaro Sangiuliano verstanden, einem getreuen Gefolgsmann Melonis, der die Deutsche damals spontan zu einem gemeinsamen Auftritt in der Gedenkstätte eingeladen hatte. Nun werden beide am kommenden Sonntag an den Höhlen einen Kranz niederlegen, anschließend ins historische jüdische Viertel fahren und abends an einem Gedenkkonzert teilnehmen im Auditorium Parco della Musica "Ennio Morricone" unter der Leitung von Riccardo Muti. Das wird zwar nicht zeitgleich mit dem Staatspräsidenten sein, aber dafür am Jahrestag selbst, und symbolträchtig ist es obendrein.

Salvini ruft die Rechtspopulisten nach Rom

Zumal sich zwischen den beiden Terminen auch noch Matteo Salvini ins Bild drängt, der Vizeministerpräsident und Führer der Rechtspopulisten. Er steht der einst kraftstrotzenden Lega vor, die derzeit in Regionalwahlen eine Niederlage nach der anderen einfährt und im einstelligen Prozentbereich festhängt. In italienischen Medien wird er als zunehmend "nervös" beschrieben und über seinen Sturz im Falle eines erneut schlechten Ergebnisses bei den Europawahlen im Juni spekuliert. Jedenfalls braucht Salvini ein zündendes Thema, mit dem er womöglich den Abstand zu der weit an ihm vorbeigezogenen Meloni verkürzen kann, und er wildert dabei zusehends in der ganz rechten Programmatik.

So hat Salvini just für den kommenden Samstag zu einem Treffen der Fraktion Identität und Demokratie (ID) im Europäischen Parlament nach Rom geladen, jener Gruppe rechtspopulistischer, nationalistischer und rechtsextremer Parteien, zu denen seine Lega zählt. Dort tummelt er sich unter anderem mit der Partei von Marine Le Pen aus Frankreich und der deutschen AfD.

Das sind zwei Gruppen, von denen ausgerechnet Meloni als Parteichefin der Postfaschisten sehr bewusst Abstand hält. Die Regierungschefin versucht gerade, sich als Führerin der ganz Rechten in Europa zu positionieren, ohne aber den Kontakt zu den Konservativen abreißen zu lassen. Außenpolitisch steht sie fest im von den USA angeführten westlichen Lager, absolviert ihre G-7-Präsidentschaft allgemein anerkannt und achtet auf ein gutes Einvernehmen mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Davon ist Salvini weit entfernt. Am Montag fiel er erst mal dadurch auf, dass er das Wahlergebnis für Russlands Machthaber Putin mit den Worten kommentierte: "Wenn ein Volk wählt, hat es immer recht", und im Übrigen auf ein "friedvolles Jahr 2024" hoffte - während Außenminister Antonio Tajani von der Berlusconi-Partei Forza Italia die Wahlen als von Gewalt geprägt abqualifizierte. Gerade also sortieren sich die Parteien in Italien im Vorfeld der Europawahlen, und die Veranstaltungen am kommenden Wochenende werden wohl weiteren Aufschluss darüber geben, wer wo steht.

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