Reaktionen auf Linnemann-Vorschlag:Je schneller, desto besser?

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Wer öffentlichkeitswirksam nach einer zügigen Strafverfolgung rufe, müsse die Justiz dann aber auch personell besser ausstatten, hält der Richterbund dem Vorschlag von Linnemann entgegen. (Foto: istock/Gettyimages/SZ)

Nach Ausschreitungen in Berliner Freibädern fordert der designierte CDU-Generalsekretär Linnemann beschleunigte Verfahren für Gewalttäter. Das stößt nicht überall auf Zustimmung.

Von Constanze von Bullion und Julia Hippert

Freibäder sollen ein Ort der Abkühlung sein. In einigen Berliner Freibädern erhitzten sich die Gemüter in letzter Zeit allerdings eher. Am Sonntag wurde ein Mann im Prinzenbad in Berlin-Kreuzberg bei dem Versuch verletzt, zwei sich streitende Jugendliche zu trennen. Der Mann habe Verletzungen am Kopf und dem Oberkörper davongetragen. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert, konnte später aber wieder entlassen werden, wie eine Polizeisprecherin am Montag sagte. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen, ein weiterer konnte identifiziert werden.

Zum schnellen Fahndungserfolg könnte die seit vergangenem Samstag geltende Ausweispflicht beigetragen haben. Nach mehreren Vorfällen gewaltsamer Auseinandersetzungen ist der Eintritt in Berliner Freibäder nur noch mit einem Ausweis möglich.

Wer mittags im Freibad Menschen angreift, soll abends vor dem Richter sitzen

Die Ausweispflicht geht dem kommissarischen CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann allerdings nicht weit genug. Er forderte am Wochenende die konsequente Bestrafung von Gewalttätern noch am Tattag. Er erwarte "ganz einfach" die "Durchsetzung unserer Gesetze", sagte Linnemann der Bild am Sonntag. "Es braucht Schnellverfahren gegen Gewalttäter, das Justizsystem muss entsprechend organisiert werden." Wer mittags im Freibad Menschen angreife, müsse abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden. "Auch am Wochenende." Die Strafprozessordnung gebe das her. Auch das Strafmaß müsse voll ausgeschöpft werden, bis hin zu Haftstrafen.

Der Deutsche Richterbund wandte ein, ohne zusätzliches Personal sei das nicht zu leisten. "Es ist wenig überzeugend, wenn Politiker am Sonntag mit entschlossener Pose nach dem starken Rechtsstaat rufen, Montag bis Samstag aber zu wenig dafür tun", sagte der Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Wer öffentlichkeitswirksam nach einer zügigen Strafverfolgung rufe, müsse die Justiz dann aber auch personell besser ausstatten.

Die Strafprozessordnung ermöglicht es Staatsanwaltschaften, einen Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zu stellen, wenn die Sache aufgrund der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Bei Straftaten, die an einem Wochenende verübt werden, ist dafür allerdings mancherorts nicht immer eine Richterin oder ein Richter greifbar. Das Schnellgericht darf Beschuldigte maximal zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilen.

Bei einer Massenschlägerei ist die Beweislage oft unklar

Auch aus dem FDP-geführten Bundesjustizministerium kamen darum zurückhaltende Reaktionen auf Linnemanns Forderung. Grundsätzlich gelte bei Strafverfahren der Beschleunigungsgrundsatz, hieß es hier. Für die Möglichkeit des beschleunigten Verfahrens eigneten sich aber "vor allem Fälle mit einfachem Sachverhalt" und klarer Beweislage. "Bei unübersichtlichen Situationen mit vielen Beteiligten und sich widersprechenden Aussagen kommt dieses Verfahren grundsätzlich nicht in Betracht." Eine solche Situation, das wurde nicht dazugesagt im Hause Buschmann, dürfte gegeben sein, wenn es zu einer Massenprügelei in einem Freibad kommt. Auch beschleunigte Verfahren müssten rechtsstaatlichen Anforderungen genügen.

Der FDP-Rechtsexperte Stephan Thomae sieht das ähnlich. "Natürlich müssen Straftäter zur Verantwortung gezogen werden. Je schneller, desto besser. Eine Abkürzung der Verfahren darf aber nicht zu einer Kürzung rechtsstaatlicher Mindeststandards führen", sagte er der SZ. "Wenn eine strafrechtliche Verurteilung deswegen scheitert, schadet es dem Rechtsstaat mehr, als es nützt."

Linnemanns Forderung folgte mehreren gewaltsamen Auseinandersetzungen in Freibädern in Berlin-Neukölln und Kreuzberg. Mitte Juli war das Columbiabad in Neukölln zum wiederholten Mal geräumt worden. Danach war das Bad für eine Woche geschlossen. Zu viele Beschäftigte hatten sich krankgemeldet. An diesem Montag öffnete das Bad wieder.

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Die Vorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, nannte Linnemanns Vorstoß populistisch. Das Problem der meisten Menschen in Bezirken wie Berlin-Neukölln sei, "dass kein Schwimmbad mehr in erreichbarer Nähe ist, dass viele Kinder nicht mehr schwimmen können", sagte sie im ARD-Sommerinterview. "Das ist doch ein viel größeres Problem, als dass es vereinzelt zu Schlägereien in Freibädern kommt."

Auch Dirk Wiese, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, attestierte Linnemann mangelnde Kenntnis des Rechtsstaats. "Hier entscheiden aus gutem Grund nicht Politiker, wie schnell einzelne Verfahren zu laufen haben oder wer wie bestraft wird, sondern Gerichte."

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