Dass es im Berliner Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linken, schon seit geraumer Zeit keine Wahlpartys mehr gibt, hat einen einfachen Grund: Es kann sich kaum einer daran erinnern, wann es hier letztmals was zu feiern gab. Am frühen Sonntagabend stand der Co-Parteivorsitzende Martin Schirdewan dort aber besonders einsam an der dunkelroten Pressewand, vor weniger als einer Handvoll Berichterstatter kommentierte er das, was sich ohnehin abgezeichnet hatte: Die Linke hat es weder in Bayern noch in Hessen in den Landtag geschafft. "Ich will ehrlich sagen, das Ergebnis ist für meine Partei ein herber Rückschlag", sagte Schirdewan.
Wobei zumindest das bayerische Ergebnis bei den Linken niemanden schockieren dürfte. Dort hat es die Partei nie geschafft, so etwas wie eine Basis aufzubauen. Die Linke wird in Bayern nicht als ernstzunehmende Kraft wahrgenommen und verschwindet nun endgültig im nicht mehr wahrnehmbaren Bereich der Sonstigen.
Ganz anders sieht es in Hessen aus. Dort gab es durchaus einiges zu verlieren für die Partei. Hessen war immer eine Hochburg der Linken im Westen. Seit 2008 gehörte sie ununterbrochen dem Wiesbadener Landtag an. Nachdem die Partei im vergangenen Jahr aber bereits die Fünfprozenthürde im Saarland unterboten hatte, ist sie nun in keinem westlichen Flächenland mehr im Parlament vertreten. Das hat selbstverständlich auch große Auswirkungen für die Bundespartei: die Geschichte des Niedergangs der Linken geht damit ungebrochen weiter.
Man sei offensichtlich nicht ausreichend durchgedrungen, sagte Schirdewan am Sonntagabend - es klang ein bisschen so, als spule er die Kassette von den vergangenen Wahlniederlagen noch einmal ab. "Die Linke kann ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerade nicht gerecht werden", sagte Schirdewan. Die programmatische Erneuerung sei zu lange aufgeschoben worden. Daraus zog er den Schluss: "Wir müssen unseren Weg der Erneuerung hin zu einer modernen Gerechtigkeitspartei jetzt weitergehen. Und zwar mit aller Entschlossenheit."
In Hessen musste die Partei ohne ihre prominenteste Figur auskommen
Hessen ist aber nicht zuletzt auch der Landesverband von Schirdewans Co-Parteichefin Janine Wissler, die in der ARD von einem "bitteren Abend" sprach und das wahrscheinlich auch persönlich meinte. Denn dass die hessische Linke in den zurückliegenden 15 Jahre verhältnismäßig stabil wirkte, das war auch Wisslers Erfolgsgeschichte. Sie hatte ihr Politikstudium noch nicht beendet, als sie dort 2009 zur Vorsitzenden einen kleinen, aber durchaus wahrnehmbaren Oppositionsfraktion aufstieg. Und es ist zweifellos Wisslers Popularität in ihrer Heimat zu verdanken, dass die Linke dort viermal hintereinander den Einzug in den Landtag geschafft hatte - auch deshalb wurde sie 2021 von großen Hoffnungen begleitet an die Spitze der Bundespartei gewählt.
In diesem Karrieresprung war aber das Scheitern von Hessen praktisch schon angelegt. Denn dieses Mal musste die dortigen Linken ohne ihre prominenteste Figur auskommen. Man kann aber auch nicht sagen, dass die Parteivorsitzende von Berlin aus eine große Stütze gewesen wäre. Zunächst einmal grundsätzlich nicht, weil Wissler die hohen Erwartungen, die sie einst in der hessischen Landespolitik geweckt hatte, in der Hauptstadt bislang nicht erfüllen konnte. Am Ende aber auch ganz praktisch nicht, weil sie krankheitsbedingt ausgerechnet im Wahlkampf-Endspurt ausfiel.
Herausgekommen ist dabei nun ein hessisches Ergebnis, dass den ohnehin schon schlechten Bundestrend nach ersten Hochrechnungen noch einmal unterbietet - irgendwas zwischen drei und vier Prozent.
Dabei wollten einige unverbesserliche Optimisten zuletzt sogar eine hauchzarte Trendwende nach oben wahrgenommen haben. Seit die Ampel-Parteien im Bund eine Asyl- und Migrationspolitik mittragen, für die sie die frühere Bundesregierung unter Angela Merkel vor einigen Jahren noch scharf kritisiert hätten, glaubte die Linke endlich wieder ein Thema gefunden zu haben, um ihre Kernklientel mobilisieren zu können.
Der Sahra-Wagenknecht-Effekt dürfte eine Rolle gespielt haben
Der Rechtsruck sei nun auch im Westen angekommen, sagte Schirdewan am Sonntag. Und die Leute an der linken Basis hätten zuletzt "wie die Löwen gekämpft", um dem etwas entgegenzusetzen. Auch die Tatsache, dass die frühere hessische SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti angekündigt hatte, diesmal die Linke zu wählen, wurde im Karl-Liebknecht-Haus hoffnungsfroh registriert: Eine kämpferische linke Basis und frustrierte Sozialdemokraten - das müsse doch für fünf Prozent in Hessen reichen, war in den vergangenen Tagen zu hören. Offenbar hat beides aber nicht den gewünschten Effekt gehabt.
Der Sahra-Wagenknecht-Effekt dürfte dagegen sehr wohl ins Gewicht gefallen sein. Ohne ihren Namen den Mund zu nehmen, sagte Schirdewan: "Zur Wahrheit gehört eben auch, dass es in der Partei eine Gruppe von Leuten gibt, deren Ziel offenbar darin besteht, ständig Integrität und Glaubwürdigkeit der Linken zu beschädigen. Das ist unanständig und es zerstört die Partei von innen." Wagenknecht ist drauf und dran, sich von der Linken abzuspalten und ihre eigenes politische Projekt aufzubauen. Und dabei verpasst sie in der Tat keine Gelegenheit, ihren ehemaligen Parteifreunden das Leben so schwer wie möglich zu machen.
An einer Stelle lässt sich ihr aber schwer widersprechen: Wenn es die Zukunftsstrategie der Linken sein sollte, um enttäuschte Grünen-Wähler zu werben - wo hätte die dann bitteschön aufgehen sollen, wenn nicht in Hessen? In dem Land also, in dem die Grünen seit einem Jahrzehnt mit der CDU regieren und dabei auch bittere politische Zugeständnisse machen mussten, etwa beim Autobahnausbau im Dannenröder Forst.
Man muss deshalb kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass der Konflikt zwischen Wagenknecht und der Linkspartei nach dieser Hessenwahl in die nächste und vielleicht auch entscheidende Runde geht. Den Anfang machte am Sonntagabend der stellvertretende Parteivorsitzende Ates Gürpinar mit der Forderung, Wagenknecht solle "aus Respekt vor unseren Mitgliedern" aus der Partei austreten und ihr Mandat zurückgeben.
Die Bundestagsfraktion ist seit Wochen praktisch führungslos
Sahra Wagenknecht wiederum wird das Desaster von Wiesbaden zum Anlass nehmen, um einmal mehr zu betonen, dass eine Linke unter der Führung von Wissler und Schirdewan aus ihrer Sicht eine bedeutungslose Linke ist - und ihr deshalb kaum eine andere Wahl bleibe, als ein eigenes Ding zu machen. Nahezu alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Wagenknecht noch im Oktober, spätestens aber Anfang November ihre lange erwartete Entscheidung bekannt gibt. Zumal seit Freitag auch bekannt ist, dass von Leuten aus ihrem Umfeld bereits ein Verein namens "BSW - Für Vernunft und Gerechtigkeit" gegründet wurde, der die Vorstufe für eine Wagenknecht-Partei sein könnte.
Die endgültige Spaltung der Linkspartei würde wohl auch das Ende der Linksfraktion im Bundestag bedeuten. Diese Fraktion ist seit Wochen praktisch führungslos und vergeblich auf der Suche nach einer mehrheitsfähigen Lösung für ihre neue Doppelspitze. Was nicht weiter verwundert, denn es handelt sich um zwei der unattraktivsten Jobs, die derzeit im politischen Berlin zu vergeben sind: Wer das jetzt übernimmt, der dürfte ahnen, dass es vor allem darum gehen wird, die eigene Fraktion abzuwickeln.
Man will nicht in der Haut dessen strecken, der in dieser Situation etwas zur Linken sagen muss, das irgendwie positiv klingt. Aber Martin Schirdewan hat es am Sonntagabend trotzdem redlich versucht. Es gebe viele Menschen in dieser Partei und in ihrem Umfeld, die "sich den Hintern für diese Linke aufreißen", sagte er. "Meine Partei wird das schaffen. Unser Comeback beginnt heute". Etwa ein halbes Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörer war live dabei im Karl-Liebknecht-Haus.