Die Linke:Neuwahl der Fraktionsspitze fällt aus

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Parteichefin Janine Wissler verzichtet offenbar auf eine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz, weil sie sich einer Mehrheit nicht sicher sein konnte. (Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Mangels Kandidaten wird die Linke am Montag doch keine neuen Fraktionschefs wählen. Der Termin wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Amtsinhaber Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch machen notgedrungen vorerst weiter.

Von Boris Herrmann, Berlin

Es gibt sicherlich Leichteres als den Aufstieg an die Spitze einer Bundestagsfraktion. Aber manchmal kann es noch schwerer sein, diesen Job wieder loszuwerden. Über den Sommer hatten zunächst Amira Mohamed Ali und dann auch Dietmar Bartsch verkündet, sich vom Fraktionsvorsitz der Linken zurückziehen zu wollen. Beide sagten, sie würden bei der anberaumten Wahl am 4. September nicht wieder antreten. Beide werden nun einstweilen im Amt bleiben müssen.

Am Mittwochnachmittag beschloss die Linke bei ihrer Fraktionsklausur, am kommenden Montag doch nicht zu wählen und den Termin auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Das folgt einer einfachen Erkenntnis: Wenn niemand da ist, der sich zur Wahl stellt, kann auch niemand gewählt werden.

Das Führungsvakuum in der kleinsten Fraktion des Bundestags weitet sich damit auf dramatische Weise aus. Unter ihren Abgeordneten scheint es derzeit schlichtweg niemanden zu geben, der diese Aufgabe übernehmen möchte. Das hat auch mit der allseits erwarteten Spaltung zu tun. Sobald die Abgeordnete Sahra Wagenknecht wie angekündigt aus der Partei austritt - und mit ihr mindestens zwei ihrer Gefolgsleute - würde die Linke ihren Status als Fraktion verlieren. Und dann bräuchte es auch keine Fraktionsvorsitzenden mehr. Die zu vergebenden Planstellen sind also alles andere als attraktiv.

Im Wagenknecht-Lager ist von "Offenbarungseid" die Rede

Für die Besetzung der Fraktionsspitze haben die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan ein Vorschlagsrecht, von dem sie am Mittwoch aber keinen Gebrauch machten. Hinten den Kulissen sollen die beiden in den vergangenen Tagen nach einer tragfähigen Lösung gesucht haben. Wissler sagte zu Beginn der Woche öffentlich, sie habe eine "persönliche Präferenz" im Kopf. Gleichzeitig ließ sie erkennen, dass sie sich selbst nicht als Teil dieser Präferenz begreift.

Im Gegensatz zu Schirdewan gehört Wissler dem Bundestag an, sie hätte also selbst kandidieren können. Offenbar hat sie auch deshalb darauf verzichtet, weil sie sich nicht sicher sein konnte, in der Fraktion eine Mehrheit hinter sich zu bringen. Eine gescheiterte Kandidatur in der Fraktion hätte aber auch ihre Autorität als Parteivorsitzende schwer beschädigt.

Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte sagte am Mittwoch, die Entscheidung zur Verschiebung der Wahl sei "einmütig" gefallen. Auch Korte wollte sich eigentlich in der kommenden Woche von seinem Posten zurückziehen und muss nun erst einmal weitermachen. Mit reichlich Zweckoptimismus sagte er: "Wir haben eine stabile Seitenlage hinbekommen", jetzt gehe es darum, "den Laden wiederaufzurichten".

Im Lager Wagenknechts scheint aber wenig Interesse an Stabilität zu herrschen. Dort ist nun von einem "Offenbarungseid" die Rede. Die Parteivorsitzenden hätten monatelang auf einen Wechsel an der Spitze der Fraktion hingewirkt. Und nun, da der Wechsel anstehe, stünden sie ohne Personalvorschlag da, sagte der Abgeordnete Christian Leye, ein enger Vertrauter Wagenknechts.

In die peinliche Situation, eine angekündigte Wahl mangels Kandidaten wieder absagen zu müssen, ist die Linksfraktion sehenden Auges hineingeschlittert. Das Drama nahm bereits im Frühsommer seinen Lauf, mit einem Streit bei der Terminsuche. Bartsch und Mohamed Ali sind formell bis Mitte Oktober gewählt, eigentlich gibt es also keinen Zeitdruck. Dass diese Wahl überhaupt auf den 4. September, also den ersten Tag nach der parlamentarischen Sommerpause gelegt wurde, ist eine Hinterlassenschaft der scheidenden Fraktionsspitze.

Das Ringen um den Wahltermin: schwer durchschaubar

Vor allem Bartsch soll sich vehement für diesen Termin eingesetzt haben. Wissler hatte vergeblich darum gekämpft, zumindest die Landtagswahlen in Bayern und Hessen Anfang Oktober abzuwarten. Warum es Bartsch mit der Neuwahl des Fraktionsvorstandes so eilig hatte? Da rätseln viele - umso mehr, seit er zur großen Überraschung der meisten Insider bekannt gab, bei dieser Wahl gar nicht mehr anzutreten.

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Dieser Tage zählten sie in den Führungszirkeln der Linken noch einmal durch. Sie haben von den 39 Abgeordneten nach dem Ausschlussprinzip alle gestrichen, die entweder kein Interesse an dem Chefjob haben oder keine Mehrheit zusammenbrächten. Übrig blieben am Ende: null. Einer, der schon sehr lange dabei ist, sagt: "So eine Situation hatte ich auch noch nicht."

Für den langjährigen Fraktionschef Bartsch, dessen Motivation für seinen angekündigten Rückzug weiterhin nebulös bleibt, birgt die jüngste Entwicklung auch einen stillen Triumph. Vorerst ist damit dokumentiert, dass die Linksfraktion ohne Bartsch mindestens so orientierungslos ist wie mit ihm.

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