Die Linke:Der kleinste gemeinsame Gysi

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Ist sein Ego noch groß genug, um sich auf eine so kleine Karrierechance einzulassen? Der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi. (Foto: Jürgen Heinrich/Imago)

Die Linke sucht dringend neue Fraktionsvorsitzende. Doch es drängt sich niemand auf. Warum das Kandidatenfeld so überschaubar ist.

Von Boris Herrmann, Berlin

In der Linkspartei hat eine höchst seltsame Personaldebatte begonnen. In dieser Debatte, die bislang hauptsächlich hinter den Kulissen geführt wird, kloppen sich nämlich ausnahmsweise nicht zu viele Kandidaten um zu wenige Führungsämter. Vielmehr scheint es so zu sein, dass es zu viele freie Ämter für zu wenig Interessierte gibt.

Mit wem man bei den Linken auch spricht nach der Rückzugsankündigung des langjährigen Fraktionschefs Dietmar Bartsch, alle sagen sinngemäß das Gleiche: Puh, da fällt mir niemand ein, der das jetzt machen könnte.

Diesem Anfang wohnt ein Ende inne

Die Bundestagsfraktion der Linken steht im Moment in dreierlei Hinsicht führungslos da. Neben Bartsch hat ja nicht nur dessen bisherige Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali angekündigt, bei der für den 4. September angesetzten Vorstandswahl nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Auch Jan Korte, der lange Jahre als der natürliche Bartsch-Nachfolger galt, will sich aus der Führungsverantwortung zurückziehen. Korte war bislang Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und mithin höchst einflussreich. Auch für ihn wird nun dringend eine Nachfolgelösung gesucht.

Die Linksfraktion steht also vor einem kompletten Neuanfang. Aber der alte Klokalenderspruch, wonach jedem Anfang ein Zauber innewohnt, hat in diesem Fall schon deshalb keine Gültigkeit, weil die Fraktion ja gleichzeitig auch vor ihrem kompletten Niedergang steht. Diesem Anfang wohnt ein Ende inne. Es wird für den Tag erwartet, an dem sich Sahra Wagenknecht endlich entschieden hat, ob sie mit ihrem Gefolge die Fraktion verlässt - und damit liquidiert, wie es im Fachjargon heißt. Kurzum: Die Linke sucht Bewerberinnen und Bewerber für drei Schleudersitze von Sahras Gnaden. Muss man sich da wundern, dass das Kandidatenfeld überschaubar ist?

Womöglich ist es sogar noch kleiner als überschaubar. Ein intimer Kenner der Fraktion sagt, wenn er unter den 39 Abgeordneten nach dem Ausschlussprinzip vorgehe und alle abziehe, die entweder keine Mehrheit oder keinen Bock hätten, dann lande er: bei null.

Komplizierte Machtarithmetik

Die schlüssigste Lösung wäre auf den ersten Blick natürlich, wenn nun Parteichefin Janine Wissler auch den Fraktionsvorsitz übernehmen würde. Im Gegensatz zu Martin Schirdewan, mit dem sie die Partei führt, sitzt sie ja im Bundestag. Wissler hat das zuletzt nicht komplett ausgeschlossen, ihre zögerliche Haltung scheint aber gute Gründe zu haben. Sie würde - um sich als Parteichefin nicht nachhaltig zu beschädigen - sicherlich erst dann nach dem Fraktionsvorsitz greifen, wenn sie sicher wüsste, dass sie auch gewählt werden würde. Dafür bräuchte sie 20 Stimmen. Und es gibt in der Fraktion große Zweifel, dass sie die umstandslos zusammenbekäme.

Das hängt mit der besonderen Machtarithmetik zusammen. Die Fraktion lässt sich grob in drei konkurrierende bis verfeindete Lager unterteilen. Da sind zunächst die Leute von Wagenknecht, auch "die wilden 13" genannt. Dann die sogenannten Bewegungslinken, tendenziell jung, urban und klimabewegt, denen auch Wissler angehört und die in Kreisen der ersten Gruppe "die Bekloppten" genannt werden. Und schließlich das übrige Drittel, dessen Identität sich hautsächlich darauf gründet, von den anderen beiden Dritteln gleichermaßen genervt zu sein. Dieser Gruppe wird unten anderem die alte PDS-Garde um Bartsch und Gregor Gysi zugerechnet sowie einige freischwebende Flügellose.

Wer auch immer bei der Vorstandswahl auf 20 Stimmen kommen will, müsste mindestens die Hälfte eines anderen Lagers hinter sich bringen. Mathematisch am wahrscheinlichsten ist es derzeit, dass diese Person aus der dritten Gruppe kommt.

Immer mal wieder fällt der Name von Susanne Ferschl. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende aus Bayern hat sich aus Flügelkämpfen stets so gut es eben ging herausgehalten und könnte eine Konsenskandidatin sein. Sie scheint aber ihr Desinteresse intern schon signalisiert zu haben. Als halbwegs ambitioniert gilt der Leipziger Abgeordnete Sören Pellmann, der mal erklärt hatte, nicht gegen Bartsch antreten zu wollen. Das müsste er jetzt ja nicht mehr.

Bundestagsvizepräsidentin Pau würde wohl gewählt, aber will sie sich das antun?

Pellmann gilt aber auch als einen Tick zu Wagenknecht-nah, um eine realistische Chance zu haben. Caren Lay, die schon einmal Fraktionschefin werden wollte, aber in einer Kampfabstimmung gegen Mohamed Ali verlor, dürfte dagegen eine stabile Mehrheit gegen sich haben, die sie für zu bewegungslinks hält. Dem recht beliebten, aber auch ein bisschen unscheinbaren Christian Görke aus Brandenburg trauen einige zu, Korte als Parlamentarischen Geschäftsführer zu beerben. Aber die große Chefrolle? Da sinkt die Zutrauensrate rapide. Es gibt in dieser Fraktion durchaus einige fähige Leute, die auch öffentlichkeitswirksam reden können: die frühere Parteichefin Gesine Lötzsch etwa oder auch Heidi Reichinnek und Clara Bünger. Aber sie scheinen sich derzeit alle gegenseitig im Weg zu stehen.

Auf Petra Pau könnte sich sicherlich eine Mehrheit einigen. Bloß: Warum sollte Pau ihre Position als Bundestagsvizepräsidentin aufgeben, um sich einen der undankbarsten Jobs zu schnappen, die derzeit in Berlin zu vergeben sind?

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Man mag es kaum aussprechen, aber manch einer tut es hinter vorgehaltener Hand doch: Gysi! Der vielleicht kleinste gemeinsame Gregor, den die Linke im Moment noch hat. Gregor Gysi ist allerdings 75 Jahre alt und nicht nur deshalb halten es Vertraute für nahezu ausgeschlossen, dass sein Ego noch groß genug ist, um sich auf eine so kleine Karrierechance einzulassen.

Wenn beim Skat keiner das Spiel übernehmen will (oder kann), dann wird ein Ramsch geklopft. Ein bisschen sieht es in den ersten Tagen nach Bartsch so aus, als würde die Linksfraktion im Deutschen Bundestag auf einen Ramsch mit 39 Spielern zusteuern.

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