Nahost:Die Sorge vor einem Krieg in Libanon wächst

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Menschen versammeln sich in LIbanon vor einem zerstörten Lagerhaus, das bei einem israelischen Luftangriff auf Ghazieh angegriffen wurde. (Foto: Bilal Hussein/dpa)

Israel und die Hisbollah liefern sich seit Monaten Gefechte nahe der Grenze. Doch nun schlagen israelische Raketen auch im Landesinneren ein.

Von Dunja Ramadan

Der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz verlegt sich zunehmend ins Landesinnere von Libanon: Israelische Angriffe trafen Anfang der Woche die Küstenstadt Ghazieh nahe Sidon, 60 Kilometer nördlich von der israelischen Grenze entfernt. Anwohner teilten Bilder, in denen zwei riesige schwarze Rauchwolken zu sehen waren, im Hintergrund das Meer. Getroffen wurde offenbar ein Industriegebiet, in dem nach Angaben des israelischen Militärs zwei Waffendepots der Hisbollah gewesen sein sollen. Lokale Medien widersprechen, sie sagen, es handele sich unter anderem um ein Öllager. Es soll mehrere Verletzte gegeben haben.

Zuvor hatte die israelische Armee Trümmer einer Drohne der Hisbollah im Norden Israels nahe Tiberias am Galiläasee, etwa 20 Kilometer südlich der Grenze, gefunden. Bereits in den Tagen zuvor kam es zu einer neuen Eskalationsstufe. Israelische Luftangriffe trafen die Stadt Nabatieh in Südlibanon. Dabei wurden der hochrangige Hisbollah-Kommandeur Ali Muhammad Aldbas getötet sowie sein Stellvertreter Ibrahm Issa. Auch Zivilisten waren unter den Opfern. Zuvor wurde eine israelische Soldatin bei einem Hisbollah-Angriff getötet. Zehntausende Menschen in beiden Ländern haben bisher ihre Heimatorte verlassen müssen.

Bürger überfallen Banken, um an Ersparnisse zu kommen

In der libanesischen Gesellschaft wächst angesichts der jüngsten Eskalation die Sorge vor einem Krieg. Das Land leidet aufgrund jahrelanger Korruption und Misswirtschaft an der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. In den vergangenen Monaten häuften sich Fälle, in denen Bürger Banken überfielen, um an ihre Ersparnisse zu kommen. Es gibt keine funktionierende Regierung, die von Iran unterstützte Hisbollah ist ein Staat im Staate.

Die Küstenstadt Ghazieh liegt nur etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt Beirut entfernt. Die libanesische Autorin Karen Boustany schreibt auf der Plattform X mit Blick auf die israelischen Angriffe in Ghazieh, dass solche Waffenlager der Hisbollah sicher auch am Rande Beiruts stehen und oft in Wohngebieten angesiedelt seien. Sie wirft die Frage auf, welche Rolle die Regierung noch spiele, um die Zivilisten in Libanon zu schützen. Libanesische Oppositionelle wie die Partei der Libanesischen Streitkräfte (LF) mahnen die Hisbollah, die UN-Resolution 1701 einzuhalten, die nach dem Krieg zwischen der Miliz und Israel im Sommer 2006 beschlossen wurde.

Experten befürchten, dass die von Iran unterstützte Hisbollah-Miliz auf die jüngsten israelischen Luftangriffe in Ghazieh scharf reagieren könnte. Diskutiert wird im libanesischen Sender al-Hadath etwa über einen möglichen Hisbollah-Angriff auf Israels Offshore-Gasplattformen im Mittelmeer nordöstlich der Stadt Haifa. Diskutiert wird auch darüber, dass die Hisbollah ein ausgefeiltes Tunnelsystem hat, das nun vermehrt zum Ziel israelischer Angriffe werden könnte.

Die Hisbollah ist aus Sicht der Expertin weder militärisch noch finanziell für einen Krieg bereit

Seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober hat sich Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah mehrmals zu Wort gemeldet. In den Reden wurde allerdings deutlich, dass die Hisbollah keinen Krieg mit Israel möchte. Dafür gibt es mehrere Gründe, wie Hanin Ghaddar schreibt, Expertin für schiitische Politik in der Levante am Washington Institute. Einerseits will die Hisbollah ihre Ressourcen nicht für eine mögliche Rettung der Hamas verschwenden. Sie hat die Zerstörungskraft der israelischen Armee und deren tatkräftigen Unterstützung durch die USA genaustens beobachtet.

Hinzu komme, dass die Hisbollah weder militärisch noch finanziell für einen Krieg bereit sei. Die Finanzen sind durch die Sanktionen gegen Iran beschränkt, die arabischen Golfstaaten würden dieses Mal nicht daran interessiert sein, Libanon wieder aufzubauen, glaubt Ghaddar.

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Außerdem sei die Hisbollah derzeit damit beschäftigt, die Quellen der israelischen Geheimdienste zu identifizieren und ihre Schwachstellen innerhalb der eigenen Sicherheitsstrukturen zu finden. Grund dafür ist die Zielgenauigkeit, die Israels Armee bei der Tötung von Hamas-Führer Saleh al-Arouri oder Hisbollah-Elitekommandeur Wissam al-Tawil im vergangenen Januar unter Beweis gestellt hat.

"Die Zaghaftigkeit der Hisbollah hat wiederum dazu beigetragen, dass die israelischen Streitkräfte vorherige rote Linien überschreiten", schreibt Ghaddar. Der Hamas-Angriff vom 7. Oktober hat das Sicherheitsgefühl Israels stark erschüttert. Die Hisbollah soll langfristig von der Nordgrenze ferngehalten werden. Tausende Israelis wurden in den vergangenen Monaten aus Dutzenden Ortschaften in Sicherheit gebracht. Zahlreiche Experten gehen deshalb davon aus, dass noch in diesem Frühjahr ein echter Krieg erwachsen könnte.

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