Koalitionsverhandlungen:Das Pokern hat begonnen

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"Wir können noch nicht sagen, wann er fertig ist", sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock über den Ampel-Vertrag. (Foto: Andreas Gebert/AP)

Nach ihrem betont harmonischen Beginn sind die Ampel-Gespräche nun ins Stocken geraten. Vor allem die Grünen sind mit dem bisherigen Verlauf unzufrieden. Und ihr Ärger hat Gründe.

Von Constanze von Bullion, Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin

Es hat jetzt also das Pokern begonnen bei den Verhandlungen für eine Ampel-Regierung. Bloß keine Erschütterung zeigen, man sehe den Dingen gelassen entgegen, trotz allem, hieß es bei SPD, Grünen und FDP. Hinter den Kulissen aber haben einige jetzt angefangen, ihrem Ärger Luft zu machen.

Begonnen haben damit die Grünen. Nach wochenlangem Gut-Wetter-Programm und einem optimistischen Aufbruch in die Regierungsgespräche mit SPD und FDP hat die Partei am Donnerstag die Bremse gezogen: Der Zeitplan, wonach in der Woche vom 6. Dezember Olaf Scholz (SPD) zum Kanzler gewählt werden soll, sei nicht zu halten, wenn es bei den bisherigen Verhandlungsergebnissen bleibe. Die Parteichefin Annalena Baerbock legte am Freitag nach. "Wir können noch nicht sagen, wann er fertig ist", sagte sie im RBB-Inforadio. Gemeint war der Koalitionsvertrag.

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Eigentlich sollte er am 22. November fertig sein, nun könnte es auch Anfang Dezember werden, ist bei den Grünen zu hören. Weil sie anders als SPD und FDP über den Vertrag nicht auf einem Parteitag abstimmen lassen, sondern bei einer digitalen Urwahl, seien zehn Tage zwischen Koalitionsvertrag und Kanzlerwahl nötig. Das werde schwierig, wenn es inhaltlich so zäh bleibe, gab Baerbock zu verstehen. "Wir müssen noch ein bisschen intensiver tagen." Gerade die Baustelle Verkehr sei "riesenriesengroß".

Die Ampel-Verhandlungen stocken aus der Sicht der Grünen. Es hakt bei Klima und Finanzen, aber offenbar auch bei der Frage, wie Autos mit Verbrennungsmotor durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden. Kompliziert sollen auch das Thema Bundesverkehrswegeplan und Förderung der Industrie beim Klimaumbau sein. Ähnliches gilt für die Grundsicherung für Kinder, den Artenschutz, die Landwirtschaft und offenbar auch die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.

Die grünen Verhandler stehen unter Druck

Nur drei von 22 Ampel-Arbeitsgruppen hätten befriedigende Verhandlungsergebnisse, hieß es bei den Grünen. Ob das stimmt, lässt sich nicht überprüfen, da die Verhandler nichts Substanzielles verraten wollen. Was jedoch nach außen dringt, riecht für manche Grüne bisweilen schweflig. Sie stehen unter Druck.

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Acht Klima- und Umweltverbände haben der Grünen-Spitze einen Brief geschrieben. Das Sondierungspapier der Ampel sei zu vage, um Klimaschutz voranzubringen. Die Parteiführung schrieb zurück, man bleibe dran. Erreicht wurde allerdings zu wenig, befanden führende Grüne. Ganz zerschlagen wollen sie das Ampel-Porzellan nicht, aber mit dem Warnruf, dass der Zeitplan wackelt, ein Zeichen setzen. Dass es ein Fehler gewesen sei, der FDP in den Sondierungen zu viele Zugeständnisse zu machen, um ihr den politischen Lagerwechsel zu erleichtern, weisen Grünen-Kreise zurück. Es sei nötig gewesen, der FDP anfangs entgegenzukommen, sonst sei das Bündnis gleich gescheitert.

Aber noch jemand scheint den Grünen die Laune zu verderben: die SPD. In der Klimapolitik habe man von Olaf Scholz wenig zu erwarten, hieß es schon vor den Verhandlungen. Inzwischen aber stelle sich die SPD auch beim Themen wie Flucht oder Mietrecht gegen die Grünen. Ihre Grundannahme bröckelt, der SPD politisch näher zu stehen als der FDP, mithin eine natürliche Verbündete zu haben und der FDP deshalb weit entgegenkommen zu können.

Sozialdemokraten reagieren genervt

Alle wichtigen Reformen habe man schon in der Vergangenheit gegen die SPD erkämpfen müssen, ist da auch zu hören: das Erneuerbare-Energien-Gesetz, den Naturschutz, die Ehe für alle. Es sei also keine Überraschung, dass die Genossen an Bekanntem festhielten, während die Grünen verändern wollten. Man nehme das aber, so wird betont, gelassen. Es werde schon Bewegung in die Sache kommen, bei den anderen.

In der SPD reagierten Verhandler mit Verwunderung, teils sogar genervt: Die Grünen verbreiteten schlechte Stimmung. Man wolle den Ärger aber nicht weiter anheizen. Die Grünen stünden "halt total unter Druck", so ein Insider. Aber der Eindruck, dass es zu wenig substanzielle Fortschritte gebe bei den Gesprächen, spiegele nicht die tatsächliche Stimmung wider.

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Überhaupt scheint die SPD eine andere Herangehensweise zu haben als die Grünen. Schon das Wahlprogramm hatte die SPD knapper und deutlich vager gehalten als in den Jahren zuvor. Ginge es allein nach Scholz, stünden im Koalitionsvertrag nur die wirklich zentralen Vorhaben. Im Regierungsalltag komme ohnehin so vieles auf die Partner zu, wovon man noch nichts wisse. Außerdem will er, dass die Ampel mehr wird als die Abarbeitung eines Vertragswerks. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zeigte sich "sehr zuversichtlich", bei den Koalitionsverhandlungen im Zeitplan zu bleiben. "Es ist ganz normal, dass während der Verhandlungen mal die eine oder die andere Partei mal zufriedener oder unzufriedener ist", sagte sie im ZDF-Morgenmagazin.

Ein Rollentausch zeichnet sich ab

Und auch in der FDP ist Gelassenheit zu vernehmen angesichts des Bremsmanövers der Grünen. Nach wie vor gibt es dort wohl den Willen, den Verhandlungspartnern nicht auf die Füße zu treten. Vielleicht gehört es ja zur Ironie der Ampel-Verhandlungen, dass sich im Vergleich zu den Jamaika-Sondierungen von 2017 nun ein Rollentausch abzeichnet. Damals waren es die Liberalen, die sich über den Tisch gezogen fühlten von Union und Grünen. Weil damals die Grünen als Einzige das politische Lager wechseln sollten, versuchte die Union, ihnen das mit einer Extraportion Zugewandtheit schmackhaft zu machen. Dieses Mal sind die Vorzeichen umgekehrt: Es sind die Liberalen, denen der Lagerwechsel mit Zugeständnissen erleichtert wurde, während die Grünen rudern. Wie die Sache gelöst wird, vermag noch niemand zu sagen.

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