Umwelt:Unser kranker Freund, der Baum

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Kranke Bäume: Ein Waldstück im Harz ist vom Borkenkäfer befallen (Foto: dpa)

Naturschützer klagen über das "Waldsterben 2.0", Agrarministerin Klöckner kündigt ein Programm zur Aufforstung an. Aber was bringt das in Zeiten des Klimawandels? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Jan Bielicki, München

Dem deutschen Wald geht es nicht gut. "Einen vergleichbaren Waldverlust hat es in der Vergangenheit kaum gegeben", schlug Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in dieser Woche Alarm. Der Wald sei "in weiten Teilen am Sterben, und kaum einer redet davon", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Der BUND Naturschutz in Bayern (BN) sprach vom "Waldsterben 2.0". Und während der Bund Deutscher Forstleute einen "Marshallplan für den Wald" fordert, will Klöckner ein "Mehrere-Millionen-Bäume-Programm" auflegen, um mit Aufforstung den Verlust an Waldfläche auszugleichen. Aber wie krank sind die Wälder wirklich? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie viel Wald verliert Deutschland?

Das ist schwierig festzustellen. 90 Milliarden Bäume stehen im Land. 11,4 Millionen Hektar, also 32 Prozent Deutschlands, sind mit Wäldern bedeckt. Und tendenziell sind sie in diesem Jahrtausend eher etwas größer als kleiner geworden: Die Zahlen der Bundeswaldinventur ergeben in den Jahren von 2002 bis 2017 eine geringe Zunahme an bewaldeter Fläche. Allerdings wird dieser Zuwachs immer kleiner: Kamen zu Beginn des Jahrtausends beispielsweise in Nordrhein-Westfalen noch jährlich um die 600 Hektar an neuem Wald hinzu, waren es 2016 nur noch 40 Hektar.

Warum spricht Klöckner dann von "Waldverlust"?

Die Ministerin bezieht sich auf das Trockenjahr 2018. Laut einer Abfrage ihres Ministeriums bei den Bundesländern sind im vergangenen Jahr in den deutschen Wäldern 32,4 Millionen Kubikmeter "Kalamitätsholz" angefallen, wie in der Förstersprache kranke und beschädigte Bäume genannt werden. Ein Drittel davon rissen Stürme um, zwei Drittel befiel der Borkenkäfer. Das entspricht etwa der Hälfte des jährlichen Einschlags durch die Forstwirtschaft. Bis Ende März 2019 kamen weitere 13 Millionen Kubikmeter Schadholz hinzu, wie das Forstministerium auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion antwortete. Da die Waldbesitzer geschädigte Bäume abholzen müssen, sind nach vorläufigen Schätzungen Freiflächen in einer Gesamtgröße von 114 000 Hektar entstanden, die wieder aufgeforstet werden müssen.

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Ist das besonders viel?

Das Ministerium nennt das Dürrejahr 2018 "das viertschwerste Schadensereignis in der deutschen Forstwirtschaft der letzten 30 Jahre". Noch mehr Schaden richteten etwa die Stürme Lothar 1999 und Kyrill 2007 an. Nachdem Kyrill durch die deutschen Mittelgebirge gefegt war, lagen dort 37 Millionen Kubikmeter geknickter Bäume am Boden, der Schaden ging in die Milliarden. Die betroffenen Wälder erholen sich zwar, aber das braucht Zeit. Immer noch sind etwa an den bewaldeten Hängen des Hochsauerlands große, von den Einheimischen " Kyrill-Flächen" genannte Abschnitte zu sehen, auf denen nur Jungbäume heranwachsen oder Weihnachtsbaumplantagen entstanden sind.

Wieso macht das Dürrejahr 2018 den Förstern besonders große Sorgen?

Weil es wohl Vorbote einer Zukunft ist, in der das Klima in Deutschland deutlich wärmer sein wird als heute. Es zeigt, wie sehr Hitze und Trockenheit hiesigen Bäumen schaden und in welch großem Ausmaß vorgeschädigte Bäume Schädlingen wie dem Borkenkäfer zum Opfer fallen. An bewaldeten Mittelgebirgshängen sind immer noch vielerorts rotgraue Flecken im dichten Grün zu erkennen. Es sind oft ganze Baumgruppen, zumeist Fichten, aber auch Kiefern und andere Arten, deren Kronen durch Schädlingsbefall oder Krankheiten gelichtet sind. Nordrhein-Westfalens aktueller Landeswaldbericht meldet für das Jahr 2018 den "schlechtesten Waldzustand", der je registriert wurde. Nach diesen Berechnungen waren 39 Prozent der Baumkronen deutlich gelichtet, nur 22 Prozent der Bäume trugen normal dichte Kronen.

Macht Aufforstung die Wälder wieder gesünder?

Natürlich müssen die Wälder sich verjüngen und zerstörte Waldflächen wieder aufgeforstet werden - mit den richtigen Bäumen. Aber gerade die verbreiteten Fichten-Monokulturen sind viel hitzeempfindlicher als etwa Laubmischwälder. Ein Umbau ist aber arbeitsintensiv und teuer, weshalb sich Klöckner im Kabinett für "zusätzliche Maßnahmen" - sprich: mehr Geld - "zum Klimaschutz für den Wald starkmachen" will, wie eine Ministeriumssprecherin sagt. Einer Aufforstung außerhalb bestehender Waldgebiete stehen Naturschützer eher skeptisch gegenüber. "Dafür gibt es die Flächen gar nicht", sagt der BN-Waldexperte Ralf Straußberger. Der Flächenfraß, der dazu führt, dass zuletzt jeden Tag fast 60 Hektar Boden unter Siedlungs- und Straßenbau verschwinden, betrifft Wälder nur zu einem geringen Teil. Als Ausgleich und Ersatz für solche Eingriffe in die Natur, wie er gesetzlich vorgeschrieben ist, wünschen sich Naturschützer statt der Pflanzung neuer Bäume eher öfter den Wiederaufbau von gefährdeten Ökosystemen wie Magergrasflächen oder Streuobstwiesen.

Was hilft dem Wald dann?

Das eigentliche Problem ist der Klimawandel selbst. Zwar hatte der Wald immer schon mit Orkanen oder saisonaler Hitze und Trockenheit zu tun. Doch steigen die Temperaturen dauerhaft, treten nicht nur solche Extremwetterlagen öfter auf. Es sei auch "undenkbar, dass unsere einheimischen Baumarten sich in wenigen Jahrzehnten auf ein Klima wie heute am Mittelmeer einstellen können", sagt Straußberger. Die Politik müsse - "und zwar schnell" - gegen den Ausstoß klimaschädlicher Gase vorgehen, "den Wald zum Klimaretter hochzustilisieren reicht nicht".

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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