Klimaschutz:Genug gedämmt

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"Enorm gefährlich": Die Ampelkoalition hat sich von ihren ursprünglichen Ambitionen beim Klimaschutz von Altbauten verabschiedet - Wohnhäuser in Berlin. (Foto: Sabine Gudath/IMAGO)

Noch vor einem Jahr wollte die Bundesregierung die geplante EU-Gebäuderichtlinie sogar verschärfen. Warum sie es sich jetzt sehr anders überlegt hat.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Die Ministerin hat noch einmal den Ton gesetzt, bevor es im Oktober zur Sache geht. Es soll offenbar niemand befürchten, dass sich die Bundesregierung schon wieder mit den Hauseigentümern anlegt, nach dem Desaster mit dem deutschen Heizungsgesetz in diesem Frühjahr. "Wir müssen uns für den Klimaschutz nun wirklich nicht auf jedes kleine Häuschen stürzen", sagte Klara Geywitz (SPD) vor wenigen Tagen der Neuen Osnabrücker Zeitung mit Blick auf die Reform der EU-Gebäuderichtlinie. Ihr Kabinettskollege, FDP-Chef Christian Lindner, hält das Gesetz gar für "enorm gefährlich" und sorgt sich um den sozialen Frieden.

Schließlich geht es in dieser Richtlinie erneut darum, wie viel man den Bürgern zumuten darf, um das Klima zu schützen und den Energieverbrauch zu senken. Wann es zu viel wird, wo die Grenze verläuft, von der an ein kritischer Teil der Hauseigentümer die Lust daran verliert, Kohlendioxid einzusparen, weil es ihnen zu teuer wird, sie die Kosten fürchten oder ihre persönliche Freiheit zu stark beschnitten sehen. Ob das am Ende von Fakten gedeckt ist, spielt keine Rolle. Klimapolitik ist ein emotionales Geschäft - und in die eigenen vier Wände der Wähler hineinzuregieren, eine heikle Angelegenheit. Es zeichnet sich ab: Der Beitrag des Gebäudesektors zum Klimaschutz in der EU wird viel kleiner ausfallen als einst erdacht.

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Das mit Abstand größte Einsparpotenzial durch Wärmedämmung entfällt auf Deutschland

Die EU-Kommission hatte die Novelle der Gebäuderichtlinie im Dezember 2021 vorgestellt, als Teil des Grünen Deals, mit dem die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden soll. Fast 40 Prozent des Energieverbrauchs und mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen in Europa entfallen auf den Bereich "Gebäude", der deshalb neben der Industrie, dem Energie- und dem Verkehrssektor ein entscheidendes Objekt der Klimapolitik ist. Bislang werden laut Kommission pro Jahr lediglich ein Prozent der Gebäude in der EU energetisch saniert. Auf dem Weg zum Null-Emissions-Kontinent ist das zu wenig.

Mit der neuen Richtlinie sollen erstmals einheitliche Energieeffizienz-Klassen für alle Gebäude gelten. Vorbild ist die Ökodesign-Richtline, aus der die bekannten Energielabel für Elektrogeräte hervorgingen, mit Noten von A bis G. Bis 2030 sollen alle von da an errichteten Neubauten emissionsfrei sein. Alle jetzt schon bestehenden Gebäude sollen dieses Ziel 2050 erreichen. Auf dem Weg dahin sollen deren Eigentümer stetig steigende Mindeststandards bei Wärmedämmung und Heizung erfüllen. Im Unterschied zu einer direkt bindenden Verordnung müssten die 27 Mitgliedsländer die Richtlinie noch in nationales Recht übertragen, mit einigem Spielraum bei der Umsetzung.

Im Oktober 2022 einigte sich der Ministerrat auf eine gemeinsame Position zu dem Gesetz; im vergangenen März verabschiedete das EU-Parlament seine Position, inklusive einer verschärften Sanierungspflicht für Gebäude mit schlechter Energiebilanz. Nach dem Wunsch des Parlaments müssten EU-weit alle Wohngebäude bis 2030 die Energieeffizienzklasse "E" erreichen und drei Jahre später die Klasse "D". Sinn ergibt das, weil die ineffizientesten Gebäude zugleich das größte Einsparpotenzial haben und in ihnen tendenziell eher ärmere Menschen leben, die am meisten den Schwankungen der Gas- und Ölpreise ausgeliefert sind. Daneben geht es auch darum, die Abhängigkeit von Energieimporten weiter zu senken.

Ihre ursprünglichen Ambitionen hat die Berliner Ampel aber inzwischen einkassiert. Damit steht jetzt eine Koalition von mindestens 16 EU-Staaten, die das Gesetz entkernen wollen. Von dem gefürchteten "Sanierungszwang" wird deshalb absehbar nicht viel übrig bleiben, prognostizieren EU-Diplomaten.

Dabei hätte gerade Deutschland einen großen Hebel. "Wenn alle Wohngebäude in der EU besser isoliert würden, könnte das den Energieverbrauch um 44 Prozent senken. Allein durch Wärmedämmung", sagt Oliver Rapf, Chef des Buildings Performance Institute Europe, eines auf Gebäudeenergie spezialisierten Thinktanks. "Das mit Abstand größte Einsparpotenzial entfällt auf Deutschland." Tatsächlich wurden 63 Prozent der Wohngebäude in Deutschland vor dem Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung im Jahr 1979 gebaut, hat die Deutsche Energie-Agentur Dena ermittelt. Viele davon sind kaum oder überhaupt nicht energetisch saniert.

Das EU-Parlament wird viele Zugeständnisse machen müssen

Ende Juni trafen sich Kommission, Rat und Parlamentsvertreter erstmals zu den sogenannten Trilog-Verhandlungen, wenige Tage nach der Einigung im deutschen Heizungsstreit. Unter Verweis darauf sagt ein mit den Gesprächen im Rat vertrauter Diplomat, die Bundesregierung habe in den vergangenen Monaten "sehr viel Kontakt mit der Realität gehabt". Und so lehnt sie eine Sanierungspflicht jetzt mehrheitlich ab, nachdem ihr der Kompromiss im Rat im vorigen Jahr noch nicht weit genug gegangen war. Eine Sanierung sei "ein Riesenakt, den wir nicht gesetzlich erzwingen dürfen", sagte Geywitz der NOZ.

Die nächsten Trilog-Verhandlungen sind nun für den 6. Oktober terminiert. Auf der Tagesordnung werden unter anderem die Mindeststandards stehen und auch eine neue, detailliertere Version der Energieausweise von Häusern. Immerhin das ist ein wenig umstrittener Punkt: mehr Transparenz zu schaffen über die Energiebilanz von Gebäuden. Das Gegenstück zum Sanierungszwang ist die Maximalforderung einiger Mitgliedstaaten, Wohngebäude und damit drei Viertel aller Immobilien in der EU komplett auszuklammern.

Wie ein Kompromiss aussehen könnte, ist noch offen - und ob sich die Verhandlungspartner bis zum Europawahlkampf im kommenden Frühjahr einig werden, nicht abzusehen. Die Vertreter des Parlaments werden viele Zugeständnisse machen müssen.

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