Familienpolitik:Kita-Krise belastet Eltern

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Ein Mädchen mit seinem Laufrad vor dem Eingang einer städtischen Kindertagesstätte in Hannover. Ausfälle in der Betreuung belasten viele Familien schwer. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Sehr viele Kindertagesstätten blieben in den vergangenen drei Monaten zeitweise geschlossen, weil nicht genug Personal da war. Eine neue Studie zeigt, was das für den Alltag der Familien bedeutet.

Von Meredith Haaf

Über die Hälfte der berufstätigen Eltern, deren Kinder eine Kita oder Tagespflege besuchen, hat in den vergangenen drei Monaten erlebt, dass eine Einrichtung wegen Personalmangels geschlossen oder nur verkürzt geöffnet wurde. Ein Großteil der Eltern gibt an, durch die Schließungen belastet zu sein, ein Drittel hat wegen der Umstände die eigene Berufstätigkeit reduziert. Das zeigt eine aktuelle, bisher unveröffentlichte Befragung durch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI).

Bettina Kohlrausch, Leiterin des WSI, spricht von einem "Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Realität", was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere für Frauen, angeht. Damit bestätigen erstmals Daten, wie stark sich der Personalmangel in der Kita-Landschaft inzwischen im Alltag von Familien niederschlägt.

Laut der repräsentativen Befragung glichen Eltern den Betreuungsausfall größtenteils selbst aus, etwa indem sie Überstunden abbauten oder Urlaub nahmen. Fast die Hälfte der betroffenen Eltern konnte auf Verwandte oder Freunde zurückgreifen, nur fünf Prozent engagierten eine private Zusatzbetreuung. Der Befund des WSI deckt sich mit Angaben des Deutschen Kitaverbands. Demnach sind 69 Prozent der Träger dazu übergegangen, Personalmangel durch reduzierte Öffnungszeiten zu bewältigen. In zahlreichen Einrichtungen werden pädagogische Angebote wie Ausflüge oder Sport reduziert, der Mangel beeinträchtigt also auch die Bildung der jüngsten Kinder.

Die Ausfälle haben Folgen für die Wirtschaft

Dass ein Drittel der betroffenen Eltern sich gezwungen sieht, die eigene Arbeitszeit zu reduzieren, hat gesamtwirtschaftliche Folgen: Auf dem Arbeitsmarkt verringere sich das Fachkräfteangebot weiter, kritisiert der Ökonom Wido Geis-Thöne vom Institut der deutschen Wirtschaft. Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten und zu verbessern, ist ein erklärtes Ziel der Bundesregierung. Insbesondere berufstätige Mütter sollen gefördert werden, in größerem Umfang erwerbstätig zu sein.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus betont das "Riesenpotenzial berufstätiger Mütter", das den Fachkräftemangel lindern könnte, wenn die Frauen mehr Zeit für ihren Beruf hätten. Drei Viertel der Mütter in Deutschland sind erwerbstätig, die Mehrheit arbeitet allerdings in Teilzeit, insbesondere wenn jüngere Kinder im Haus sind.

Aus der Befragung des WSI ergibt sich zudem, dass vor allem Mütter für den Fachkräftemangel im pädagogischen Bereich aufkommen. 63 Prozent der männlichen Befragten gaben an, die Partnerin sei eingesprungen, 33 Prozent der Frauen nannten den Partner als denjenigen, der übernommen habe. "Schon in der Pandemie haben wir beobachtet, dass die Belastung der Mütter extrem zugenommen hat", sagt Kohlrausch.

Die Hans-Böckler-Stiftung führt seit 2020 im Rahmen ihres Erwerbspersonenpanels regelmäßige Befragungen zur Arbeitsbelastung in der Bevölkerung durch, bereits im März war dabei ein deutlicher Verlust des Vertrauens in die Politik bei Müttern festgestellt worden. Kohlrausch befürchtet, dass sich dieser fortsetzt: "Die Grundlagen, auf der viele Familien ihren Alltag organisieren, sind nicht mehr garantiert." Die Politik leiste hier nicht ihren Anteil, es brauche eine Ausbildungsoffensive, um neue Fachkräfte heranzuziehen. Geis-Thöne vom DIW fordert, auch pädagogisch weniger geschultes Personal verstärkt einzusetzen.

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Die Befragung bezieht sich ausdrücklich auf den Zeitraum nach Auslaufen der letzten Corona-Schutzmaßnahmen. Während des ersten Pandemiejahres waren mehrfach Kinderbetreuungseinrichtungen über Wochen flächendeckend geschlossen worden. Bis zum Sommer 2022 waren Einrichtungen in vielen Bundesländern bei nachgewiesenen Infektionen zur temporären Schließung verpflichtet. Bekannt ist, dass die Pandemie zu einem Fachkräfteverlust im pädagogischen Bereich geführt hat, viele Erzieherinnen und Erzieher wechselten auf Grund des Infektionsrisikos den Beruf.

Nach Expertenschätzungen fehlen derzeit etwa 98 600 Erzieher im Kitabereich, bis 2030 könnte es über 230 000 unbesetzte Stellen geben.

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