Es ist 20.30 Uhr im Bundestag. Viel los ist hier nicht mehr. Auf der Tribüne sitzen Jugendliche, die wohl eher zufällig genau an diesem Abend und genau zu diesem Thema hier gelandet sind. Leni Breymaier (SPD), Mitglied im Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, tritt ans Rednerpult, blickt nach oben und grüßt sie. Mädchen und Teenagerinnen denken an vieles, sagt sie. An Musik etwa, an Klamotten und Sport, "aber eher nicht ans Heiraten". Um dieses Thema aber geht es jetzt: Kinderehen.
Die Rechtslage zur Heirat ist in Deutschland eigentlich klar: Wer heiraten will, muss volljährig sein. Was ist aber mit Paaren, die im Ausland rechtskräftig als Minderjährige eine Ehe schlossen und nun in Deutschland leben?
Bis 2017 sah das deutsche Recht vor, dass entsprechende Ehen im Einzelfall geprüft und dann aufgehoben werden konnten. Die große Koalition verschärfte diese Regelung mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen: Seitdem werden Ehen, bei denen mindestens einer der Ehepartner zum Zeitpunkt der Eheschließung unter 16 Jahre alt war, automatisch als unwirksam behandelt- also so, als hätte es sie nie gegeben.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Gesetz von 2017 für verfassungswidrig
Nach einem Rechtsstreit urteilte das Bundesverfassungsgericht 2023 jedoch, dass diese Regelung verfassungswidrig ist - ein pauschales Verbot von im Ausland geschlossenen Kinderehen sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Richter bemängelten, dass es an Regelungen etwa für Unterhaltsansprüche mangele, und gaben dem Gesetzgeber auf, das Gesetz bis zum 30. Juni 2024 nachzubessern.
Im konkreten Fall ging es um ein Ehepaar, das aus Syrien nach Deutschland geflohen war. Zum Zeitpunkt der Eheschließung war das Mädchen erst 14 Jahre alt, der Mann 21. Als sie nach ihrer Flucht in Deutschland ankamen, wurden die beiden getrennt, die Minderjährige kam in die Obhut eines Jugendamtes. Nachdem der Ehemann beim Familiengericht die Zusammenführung beantragt hatte, ging der Fall letztlich bis vor das Bundesverfassungsgericht.
Es wird in Berlin also schon länger um eine Neuregelung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen gerungen. Mit Flüchtlingen kommen weiterhin auch minderjährig verheiratete Mädchen und Frauen, Jungen und Männer nach Deutschland. Die Union drängt nun auf die Reform, die das Verfassungsgericht fordert - schließlich endet deren Frist in drei Monaten.
Sollten alle Kinderehen einzeln überprüft werden oder pauschal unwirksam sein?
Aus dem Justizministerium (BMJ) ist zu hören, dass bereits im Herbst 2023 dem Kanzleramt und den Regierungsfraktionen ein Gesetzesentwurf vorgelegt wurde. Im Wesentlichen sah der Vorschlag eine Regelung nach dem Modell der Aufhebbarkeitslösung vor. Demnach sollten Ehen von unter 16-Jährigen wieder vor dem Familiengericht einzeln geprüft und im Regelfall aufgehoben werden.
Mit dieser Lösung seien laut BMJ aber nicht alle Regierungsfraktionen zufrieden gewesen. Vor allem in der SPD-Fraktion habe es erhebliche Sorgen gegeben: Wenn Ehen mit Partnern unter 16 Jahren nicht mehr länger pauschal für nichtig erklärt würden, könne das von der Opposition als Legitimierung von Kinderehen dargestellt werden.
Also drehte das Justizministerium unter Marco Buschmann (FDP) das Ruder erneut herum und landete wieder beim bisherigen Modell, der sogenannten Unwirksamkeitslösung. Nun allerdings ohne die vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Mängel. "Der neue Vorschlag des BMJ wird umfassende Vorkehrungen dagegen enthalten, dass betroffene Frauen durch die Unwirksamkeit ihrer im Ausland geschlossenen Ehe in eine prekäre Lage geraten", heißt es aus dem BMJ. Man werde den Regierungsfraktionen den neuen Vorschlag bald zur Verfügung stellen - grundsätzlich sei man aber offen für beide Modelle gewesen.
Die Union hat Zweifel an den Plänen der Ampel
Im Bundestag erklärt Lamya Kaddor (Grüne), die neue Lösung sehe unter anderem vor, Unterhaltsansprüche zu erhalten, zudem solle es Paaren ermöglicht werden, ihre Ehe auf Wunsch nach deutschem Recht weiterzuführen, sobald beide volljährig sind.
Und Sonja Eichwede (SPD) bestätigt der SZ, dass sich die Koalition einig ist. "Wir haben uns als SPD dafür eingesetzt, dass das Kindeswohl bei der Nachbesserung des Gesetzes im Zentrum der Reform steht. Der Schutz der Minderjährigen steht für uns im Vordergrund." Auf die aus Reihen der Union geäußerte Sorge, die Regierung sei zu spät dran, versichert die Bundestagsabgeordnete und Richterin bestimmt: "Wir bekommen das bis zur Frist hin."
Im Bundestag steht nun Silvia Breher (CDU) am Redepult. Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion ist nicht zufrieden mit den Erklärungen der Ampel. "Wenn ich Ihren Reden zuhöre, muss ich sagen: Über Inhalte wissen wir nichts, und widersprüchlich ist es außerdem." Zudem vermisst sie eine Erklärung der Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die sich bisher nicht zu dem Thema geäußert habe.