Naturkatastrophen:Wo die Retter an Grenzen stoßen

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Auf dem Militärstützpunkt Istres in Südfrankreich warten französische Helfer. Ihr Frachtflugzeug hat Hilfsgüter für Libyen geladen. (Foto: Daniel Cole/AP)

Nach dem Erdbeben in Marokko und der Flutkatastrophe in Libyen bieten viele Organisationen und Länder Hilfe an. Die Koordination ist schwierig - und nicht das einzige Problem.

Von Nicolas Freund und Paulina Würminghausen

Erst das Erdbeben in Marokko, dann die Überschwemmungen in Libyen: zwei verschiedene Katastrophen, Tausende Kilometer voneinander entfernt. Bei beiden entstand aber der Eindruck, dass die internationalen Hilfsmaßnahmen nicht voll ausgeschöpft werden. Dabei ist es nicht so, dass die Ressourcen fehlen würden. Alleine das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hat den eigenen Anspruch, innerhalb von 72 Stunden nach einer Katastrophe bis zu einer Million Geflüchtete versorgen zu können.

Dafür werden an mehreren Orten auf der Welt Vorräte gelagert, Helfer können sehr schnell mobilisiert werden. Auf nationaler und internationaler Ebene gibt es viele Hilfsorganisationen, darunter das Rote Kreuz, der Rote Halbmond und Ärzte ohne Grenzen. Aber nicht immer sind die Hilfsangebote die richtigen - oder die gewünschten. Und manchmal stößt diese Hilfe auch an ihre Grenzen.

Aus Marokko hieß es zuletzt, dass auch mehrere Tage nach dem Beben in manchen Bergdörfern noch keine Hilfe angekommen sei. Die marokkanische Regierung hatte nur zögerlich auf internationale Angebote reagiert und erst spät die Hilfe einzelner Staaten wie Spanien und Großbritannien angenommen. Andere Angebote, wie zum Beispiel ein bereitstehendes Flugzeug des Deutschen Roten Kreuzes mit Zelten und Isolationsmatten, die in den Bergregionen gebraucht werden könnten, sind bisher nicht wahrgenommen worden. Warum ist das so?

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Es sei ein normaler und auch guter Reflex von Ländern wie Deutschland, umgehend Hilfe anzubieten, sagt Susanne Fries-Gaier, die Beauftragte für humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt. Ihr zufolge sei es verständlich, wenn Länder Hilfsangebote nach Priorität sortieren und erst nach einiger Zeit abrufen. Schließlich müssten sich die Länder erst mal koordinieren und schauen, was sie überhaupt benötigen.

Die Entscheidung, was gemacht wird und was nicht, fällen Staaten selbst. Manchmal wissen die betroffenen Länder gar nicht, was sie mit all den Hilfsangeboten anfangen sollen. "Wie schnell und ob Hilfe ankommt, hängt maßgeblich von guter Koordinierung ab: Wo werden die Helferinnen und Helfer gebraucht, wie werden die Hilfsgüter verteilt", sagt Fries-Gaier. Wichtig sei aus ihrer Sicht auch Prävention als ein Teil der möglichen Hilfsmaßnahmen. Deswegen helfe die Bundesregierung beispielsweise dabei, Frühwarnsysteme aufzubauen.

Ob Marokko nach dem Erdbeben genug Hilfe angenommen hat oder nicht, dazu gibt es verschiedene Meinungen. Gerade in Regionen wie Nordafrika spielen auch postkoloniale Strukturen nach wie vor eine Rolle. So wurde in dem ehemaligen französischen Protektorat bereits eine Nachricht des französischen Präsidenten Emmanuel Macron "an die Marokkaner" kritisiert, denn eine solche Ansprache stehe nur dem marokkanischen König zu.

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In Marokko gibt es aber zumindest klare staatliche Strukturen, an die sich internationale Hilfsorganisationen wenden können. In Libyen, wo zwei Führungen und Milizen um die Macht ringen, gibt es dagegen nicht einmal einheitliche Zahlen zu den Opfern der Überschwemmungen. Dazu kommen, wie oft nach Naturkatastrophen, logistische Probleme durch die zerstörte Infrastruktur. "Die Lage ist dort extrem unübersichtlich", sagt Christian Katzer, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen. Durch den lang anhaltenden Krieg existierten wenige bis keine Strukturen, auf die das Land in einem Krisenfall zurückgreifen könne. Die Behörden seien überfordert. Überhaupt habe es in anderen Ländern bereits Komplikationen bei der Einreise gegeben: "Bürokratische Auflagen wie Einreisegenehmigungen behindern uns teilweise", sagt Katzer. Immerhin: In Darna ist die Organisation mit einem Notfallteam vor Ort. Zwei von der Bundeswehr und dem Technischen Hilfswerk organisierte Transportflüge mit Zelten, Feldbetten, Wasserfiltern und anderen Hilfsgütern sind in dieser Woche zudem in Libyen angekommen.

Aufwendig sind neben der Bürokratie und dem Transport der Güter manchmal auch die Absprachen unter den Hilfsorganisationen oder mit untergeordneten staatlichen Stellen: "Bei einer Naturkatastrophe sind wir als Teil des UN-Systems bereit, unsere Unterstützung zu leisten", sagt Matthew Saltmarsh, Sprecher des UN-Flüchtlingskommissariats für den Nahen Osten und Nordafrika. "Aber es sind immer viele verschiedene Akteure beteiligt." Teilweise unterstützen die UN das Rote Kreuz, manchmal muss sich die Organisation mit dem Roten Halbmond koordinieren. In Libyen müssten derzeit viele bilaterale Absprachen mit lokalen Verwaltungen getroffen werden, erklärt Saltmarsh.

All das kostet wertvolle Zeit. Oft finden aufwendige Planungen unter extremem Zeitdruck statt. Manches bürokratische Verfahren könnte vereinfacht werden. Denn während die Hilfsorganisationen und Staaten über Regularien verhandeln, warten die betroffenen Menschen in den Katastrophengebieten auf Hilfe.

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