Juso-Bundeskongress:"Ein bitteres Armutszeugnis für die SPD"

Lesezeit: 2 min

Philipp Türmer während seiner Bewerbungsrede auf dem Juso-Bundeskongress in Braunschweig. (Foto: Moritz Frankenberg/dpa)

Die Jusos wählen den Hessen Philipp Türmer zum neuen Vorsitzenden. Der will sich künftig lauter am Kanzler abarbeiten - und geht Scholz in seiner Rede hart an.

Von Philipp Saul, Braunschweig

Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, macht sich nicht auf den Weg nach Braunschweig. Offiziell aus Termingründen, aber es wäre definitiv keine angenehme Reise für ihn. In der niedersächsischen Stadt tagen an diesem Wochenende die Jusos bei ihrem Bundeskongress, und sie sind mehrheitlich wütend und enttäuscht. Das wird gleich in den ersten Stunden deutlich, als sich am Freitagnachmittag die beiden Kandidaten vorstellen, die den Parteinachwuchs künftig anführen wollen.

"Ändere deinen Kurs", ruft etwa Philipp Türmer in Richtung des abwesenden Kanzlers, "falls dich in deiner Burg, in deinem Berliner Kanzleramt noch irgendetwas erreicht, falls du dich noch daran erinnerst, für welche Partei du angetreten bist." Kein Wort habe Scholz im Bundestagswahlkampf so häufig in den Mund genommen wie "Respekt". Aber es entsetze ihn, so Türmer, wie wenig sich der Kanzler für die Menschen ins Zeug lege, für die die Sozialdemokraten eigentlich Politik machen wollten. "Das ist ein bitteres Armutszeugnis für die SPD."

Türmers Konkurrentin Sarah Mohamed wirft den Regierenden "rassistische Hetze" vor

Nach einer kämpferischen Rede seiner Konkurrentin Sarah Mohamed über ihre Erfahrungen mit Rassismus und Sexismus spricht Türmer über den Kampf gegen Nazis und die Verantwortung für die Menschen, die auf deren "Abschussliste" stünden. Den aus seiner Sicht abschiebefreudigen Kanzler ermahnt er, die Sozialdemokratie dürfe niemals nach unten treten. "Ihr verliert euch in einem Abwärtsstrudel." Mohamed wirft den Regierenden gar "rassistische Hetze" vor.

Obwohl die Bonnerin Mohamed den großen Juso-Landesverband aus Nordrhein-Westfalen hinter sich hat, gewinnt der gut vernetzte Offenbacher Türmer am Ende die Wahl. Er ist seit zehn Jahren bei den Jusos, seit sechs Jahren im Bundesvorstand, und er hat seine Kampagne lange vorbereitet.

Mit dem neuen Chef soll bei den Jusos ein Selbstverständnis wieder aufleben, das zuletzt nicht allzu hörbar war. Seine Vorgängerin Jessica Rosenthal war als Bundestagsabgeordnete arg eingeengt in ihrem Rollenkonflikt: einerseits Vorsitzende der kritischen Parteijugend, andererseits Mitglied der Regierungsfraktion, die den Kanzler stellt und stützt.

In einer Videobotschaft freut sich die hochschwangere Rosenthal zwar über zahlreiche Projekte der Ampelkoalition: Die Jusos hätten sich etwa bei der Abschaffung des Paragrafen 219a, der Cannabis-Legalisierung, der Einführung des Bürgergelds oder der Ausbildungsplatzgarantie durchgesetzt. Doch obwohl die Jungsozialisten 2021 nach der Wahl 49 der 206 SPD-Abgeordneten stellten, blieb der linke Aufstand aus. Sie waren zwar jung, aber nicht allzu wild.

In so einem reichen Land wie Deutschland dürfe es kein armes Kind geben, sagt Türmer

Rosenthals Nachfolger Türmer dürfte sich in den verbleibenden zwei Jahren der Legislaturperiode stärker an Scholz abarbeiten. Seine großen Themen sind Umverteilung und der Kampf gegen den Kapitalismus. Der 27-Jährige hat erst Wirtschaft studiert, ist dann zu Jura gewechselt und promoviert jetzt im Strafrecht.

In so einem reichen Land wie Deutschland dürfe es kein armes Kind geben, sagt Türmer und ruft: "Verteilt endlich um!" Das "Versagen" der Regierung in der Sozialpolitik sei fatal und treibe die Menschen in die Arme der AfD. Scholz müsse den Kampf gegen Armut und für Verteilungsgerechtigkeit zur "Chefsache" machen.

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Am Ende einer Woche, in der der Bundesregierung nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts plötzlich 60 Milliarden Euro für Klimaprojekte fehlen, fordert Türmer: "Kippt endlich diese gottlose Schuldenbremse." Es gebe "keine grüne Null mit der schwarzen Null, und wenn dafür die gelbe Null aus dem Finanzministerium verschwinden muss." Er meint eine ausgeglichene CO₂-Bilanz, einen ausgeglichenen Haushalt und Christian Lindner von der FDP.

Der politischen Linken sei in Teilen eine gemeinsame Idee abhandengekommen, analysiert Türmer. Als Juso-Chef will er "kämpfen für eine Sozialdemokratie, die wieder linke Sammlungsbewegung ist". Die verschiedenen Gruppierungen von der Klimabewegung über Feministinnen bis hin zu Gewerkschaften möchte er "hinter der Verteilungsfrage vereinen".

Nach einem harten Wahlkampf reagierten die Unterstützer von Mohamed enttäuscht, Tränen flossen. Den Jugendverband wieder zu einen dürfte daher eine der ersten Aufgaben des neuen Vorstands sein.

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