Großprojekte sind im Leben immer mit besonders vielen Risiken behaftet, in der Politik zumal. Im Laufe der jahrelangen Planung und Umsetzung warten unzählige bürokratische Hemmnisse, und fast schon gesetzmäßig sind Milliarden Euro schneller ausgegeben, als eine Regierung neues Geld besorgen kann. Trotzdem nehmen immer wieder gestaltungssüchtige Politiker Anlauf, sich ein Denkmal zu setzen. Männer wie Matteo Salvini aus Mailand, 51, Vorsitzender der rechtspopulistischen Lega, im Ausland bekannt als Putin-Freund und Migrantengegner.
Als Innenminister 2018/2019 kriminalisierte er die Seenotretter, damals war er auf dem Höhepunkt seiner Macht. Die Lega, die er einige Jahre zuvor auf dem absoluten Tiefstand übernommen hatte, wurde dank ihm mit 34 Prozent stärkste Partei, und Salvini sah sich schon als nächsten Ministerpräsidenten. Dann aber tauchte eine junge Postfaschistin namens Giorgia Meloni auf, führte ihre Partei, die Fratelli d'Italia, bei den Parlamentswahlen 2022 auf Platz 1 und ist seitdem Regierungschefin. Salvini stürzte auf unter neun Prozent, ihm blieb als Trostpreis der Titel des Vize-Ministerpräsidenten und das Verkehrs- und Infrastrukturministerium.
Genau das richtige Amt, um ein Jahrzehnte altes Projekt wiederzubeleben, eine Brücke über die Straße von Messina zwischen dem italienischen Festland und Sizilien. Ein Mammutprojekt, an dem sich schon ein anderer Egomane verhoben hat, der damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi, mittlerweile verstorben. 2012 musste er das Projekt aufgeben, da waren bereits Milliarden Euro ausgegeben, aber nichts gebaut. Salvini scherte das nicht, er sah Chancen, auf der Basis der damaligen Planung weiterzumachen. Es ist sein großes Ding, geschätzt einmal in der Woche gibt es neue Bilder von ihm mit dem Modell der Brücke. Bedenken wischt er grundsätzlich zur Seite. Umweltprobleme, Erdbebengefahr, das Geld, die Mafia - alles egal.
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Ob seine Brücke jemals kommt, ist offener denn je
Seine Ministerkollegen im Kabinett und Meloni selbst stehen pflichtschuldigst hinter dem Projekt, äußern sich aber auffällig selten dazu - warum auch, sie müssen ja nur warten, bis Salvini sich daran verhebt. Dem ist er in dieser Woche deutlich näher gekommen. Ausgerechnet aus der eigenen Regierung bekam die Brücke gewaltigen Seitenwind: Das Umweltministerium unter Gilberto Pichetto Fratin vom dritten Koalitionspartner, der Berlusconi-Partei Forza Italia, hat einen Katalog von 237 Ungereimtheiten zusammengestellt, verbunden mit der Gesamteinschätzung, dass das Projekt liederlich vorbereitet sei. Die Rede ist von fehlenden, unklar datierten und teilweise unleserlichen Dokumenten. Auch das Kulturministerium hat Bedenken. Salvini will das zwar alles binnen 30 Tagen klären, aber ob die Brücke wirklich kommt, ist offener denn je.
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Zumal der Minister vielleicht gar nicht mehr lange genug im Amt ist, um wenigstens den Spatenstich zu zelebrieren. Denn der einstige Retter ist in der Partei zunehmend umstritten, seitdem er diese nach ihrem Höhenflug wieder in den einstelligen Prozentbereich runtergewirtschaftet hat. Sein Konzept, die im Norden als Separatistenpartei entstandene Lega auf ganz Italien auszuweiten und gnadenlos nach rechts zu führen, der Flirt mit dem rechtsextremen französischen Rassemlement National und der deutschen AfD, all das hilft ihm bei Umfragen bisher nicht. Wenn er bei der Europawahl am 9. Juni ähnlich schlecht abschneidet wie zuletzt bei diversen Regionalwahlen, droht ihm die Absetzung. Viel beachtet wurde, dass der frühere Parteichef Umberto Bossi, 82, Salvini jetzt ungeniert öffentlich zur Disposition gestellt hat: "Die Lega braucht einen neuen Leader - einen, der wieder die Interessen Norditaliens ins Zentrum stellt." Wer so denkt - und immer mehr äußern sich dahin gehend -, der braucht auch keine Brücke nach Sizilien.